Erstarken paramilitärischer Kräfte
Fijáte 239 vom 10. Juli 2001, Artikel 3, Seite 3
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Erstarken paramilitärischer Kräfte
Guatemala, 8. Juli. Die Ausrufung des Alarmzustandes hatte eine unmittelbare Militarisierung des ganzen Landes und eine Repressionswelle zur Folge. Unter dem Vorwand, die entlaufenen Häftlinge des Hochsicherheitsgefängnisses in Escuintla 'einzufangen' starteten das Militär und die Polizei flächendeckende Razzien, an denen sämtliche Spezialtruppen der beiden Institutionen teilnahmen. Aber auch die paramilitärischen Kräfte fühlen sich in der momentanen Situation gestärkt. Kaum trat der Alarmzustand in Kraft, kam es in verschiedenen Gemeinden mit einer konfliktiven Geschichte zu Angriffen gegen die organisierte Zivilbevölkerung. Purhulá, Baja VerapazIn Purhulá versuchte am 22. Juni eine Gruppe Ex-PAC-Mitglieder den Bauernleader Carlos Morales zu lynchen. Morales gehört der BäuerInnenvereinigung von Baja Verapaz (UVOC) an und war in Begleitung von zwei Mitgliedern der selben Organisation sowie von zwei JournalistInnen des Institutes für politische, wirtschaftliche und soziale Studien (IPES) und einer Vertreterin eines deutschen Hilfswerkes. Die sechs waren auf dem Weg ins Dorf El Repollal Suquinal, wo sie vier Familien, die von ihrem Land vertrieben worden waren, einen Solidaritätsbesuch machen wollten. Bevor sie aber dort ankamen, wurden sie von den rund 40 Ex-PAC-Mitgliedern angehalten, die zwei Personen von IPES und Morales wurden als Geiseln genommen und es wurde damit gedroht, Morales bei lebendigem Leib anzuzünden. Obwohl die beiden anderen Mitglieder von UVOC unmittelbar die Polizei verständigten, griff diese erst ein, als der Direktor von IPES mit dem Innenministerium Kontakt aufnahm. Die drei Geiseln wurden dann von den Ex-PAC der Polizei übergeben, Morales musste mit traumatischen Symptomen ins Spital überführt werden. Beim Konflikt in El Repollal handelt es sich um Landstreitigkeiten zwischen ehemaligen ArbeiterInnen der Finca El Repollal I und 70 Familien ehemaliger Mitgliedern der PAC, die die Finca vor 18 Monaten ihrem Besitzer abkauften. Von diesem heisst es aber, er habe sie auf illegale Weise erstanden. Für Daniel Pascual, Generalsekretär der nationalen BäuerInnenkoordination (CNOC) ist der Vorfall ein klares Zeichen für die Macht der lokalen Behörden und Fincabesitzer. Die Bevölkerung sei von diesen gegen Carlos Morales aufgehetzt worden. Morales habe sich nie davor gescheut, Fälle von Geldveruntreuung seitens der Gemeindebehörde, illegalen Drogen- und Holzhandel in der Region oder sonstige Korruptionsgeschäfte anzuzeigen. Los Cimientos, Chajul, QuichéAm 25. Juni griff eine Gruppe von ca. 30 bewaffneten ehemaligen Mitgliedern der Zivilpatrouillen (PAC) die BewohnerInnen der Gemeinde Los Cimientos, Chajul, an. 86 Häuser wurden niedergebrannt, drei Frauen vergewaltigt, sieben Kinder entführt und Vieh getötet. Die entführten Kinder tauchten einen Tag später wieder auf. Diego Itzep, Vertreter der Geschädigten, bezeichnete den Angriff als Racheakt gegen die Gemeinde, einer FlüchtlingsrückkehrerInnengemeinde, die in einem seit Jahren andauernden Landstreit mit den umliegenden BäuerInnen steht. Der Überfall erfolgte genau einen Tag nachdem die nationale Kommission für Landkonflikte (CONTIERRA) eine Untersuchung veröffentlichte, worin das Gemeindeland von Los Cimientos klar den RückkehrerInnen zugeschrieben wird. Diese mussten während der Repression der 80-er Jahre ihre Gemeinde verlassen. Die Ex-Patrouillisten siedelten sich auf einem 45 ha grossen Landstück an, auf dem früher eine Militärkaserne stand und für das die RückkehrerInnen von Los Cimientos Landtitel besitzen. Rund 160 BewohnerInnen von Los Cimientos flüchteten in die Nachbargemeinde San Marcos Cumlá. Dort wurden sie erneut von den Ex-PAC bedroht und in eine dritte Gemeinde, Xeputul, vertrieben, wo sie nun auf das Eingreifen der Behörden warten. Einige Familien flüchteten auch in 'die Berge', wie sie das vor zwanzig Jahren schon einmal machen mussten. Nach oben |
Die Regierung sandte eine Kommission in die Region, der VertreterInnen des Friedenssekretariates, des Sekretariats für strategische Analysen (SAE) und CONTIERRA angehören. Drei Journalisten, die über den Konflikt recherchierten, erhielten zuerst vom Anführer der Ex-PAC bereitwillig Auskunft ("Hier kommt niemand rein, weder die Polizei noch MINUGUA und wer es versucht, wird umgebracht."), wurden dann aber selber unter Androhung von Waffengewalt vertrieben. Ihr Fotomaterial wurde beschlagnahmt. Der Bürgermeister von Chajul, Antonio Laínez, Angehöriger der Demokratischen Front Neues Guatemala (FDNG) stritt ab, dass es in Los Cimientos zu den beschriebenen Vorfällen kam. Es handle sich lediglich um einen 'Streit unter Nachbarn'. Es gäbe in der Region weder aktive PAC-Gruppen, noch sei es zur Entführung von Kindern, geschweige denn zu Vergewaltigungen gekommen, versicherte Laínez. Der ehemalige Chef der PAC, Mateo Hernández, erklärte, sie gingen gegen die BewohnerInnen von Los Cimientos vor, weil diese den "von der Guerilla organisierten Widerstandsdörfern (CPR)" angehörten. Sie hätten dabei die Unterstützung von rund 50 Gemeinden. Santa María Tzejá, IxcánIn Santa María Tzejá wurde am 28. Juni Domingo Us Quixán bei der Feldarbeit erschossen. Leute, die in der Nähe arbeiteten, flüchteten, als sie die Schüsse hörten und wurden dabei selber beschossen, jedoch nicht verletzt. Offenbar sollte es keine ZeugInnen von der Ermordung Us Quixán's geben. Die örtliche Feuerwehr konnte nur noch die Leiche des Ermordeten bergen, die verschiedene Einschüsse im Körper aufwies und mit dem Gnadenschuss 'gekennzeichnet' war. Domingo Us Quixán war Katechet und unermüdlicher Gemeindearbeiter in Chorroxaj, Joyabaj. 1970 war er Mitbegründer der Kooperative Santa María Tzejá, in der er jahrelang als Präsident amtete. Während seines zwölfjährigen Exils in den Flüchtlingslagern in Chiapas und Campeche war er ein Verfechter der Idee der kollektiven Rückkehr. Santa María Tzejá ist eine der Gemeinden, die im Mai 2000 Klage gegen die Verantwortlichen des Völkermordes, konkret gegen Romeo Lucas García und seinen Bruder Benedicto, einreichte. Seither ist die Kooperative diversen Anschlägen ausgesetzt. Diese jüngste Repressionswelle darf nicht unterschätzt werden. In einer Stellungnahme der Menschenrechtsorganisation Rights Action vom 5. Juli heisst es: "Die Repression der vergangenen Tage ist nicht ein vorübergehender Rückschritt in einem sonst positiv verlaufenden Friedensprozess. Sie soll uns vielmehr daran erinnern, dass die Menschenrechtsverletzer der vergangenen vierzig Jahre (inklusive Militär, Polizei, paramilitärische Organisationen und Todesschwadronen, allesamt unterstützt von den Vereinigten Staaten, der Landoligarchie und des internationalen Kapitals), bis heute noch nicht für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen worden sind. Im Gegenteil: Sie machen genau so weiter wie bisher. |
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