Massenflucht aus Hochsicherheitsgefängnis
Fijáte 238 vom 27. Juni 2001, Artikel 5, Seite 5
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Massenflucht aus Hochsicherheitsgefängnis
Guatemala, 22. Juni. Bewaffnet mit Maschinengewehren und Handgranaten, sind am Sonntag, 17. Juni, 78 Gefangene aus dem Hochsicherheitsgefängnis "Canada" in Escuintla, auch bekannt unter dem Namen "Die Hölle", ausgebrochen. Die Geflohenen werden als "sehr gefährlich" eingestuft, unter ihnen befinden sich Mörder, Bankräuber und Mitglieder verschiedener Entführungsbanden. 13 von ihnen sind zum Tode verurteilt. Einmal aus dem Gefängnis heraus, stoppten die Ausbrecher einen Passagierbus und zwangen den Fahrer, ihnen das Steuer zu überlassen. Weitere Gefangene fliohen mit anderen Fahrzeugen oder zu Fuss. Die Polizei, unterstützt vom Militär, startete sofort eine Verfolgungsjagd zu Land und zu Luft, die vom Innenminister Byron Barrientos persönlich geleitet wurde. Bisher wurden 25 der geflohenen Häftlinge wieder eingefangen, zwei kamen auf der Flucht ums Leben. Barrientos gab die Schuld an der Massenflucht den Gefängniswärtern. Die Fliehenden mussten 8 Tore passieren und insgesamt 24 Schlösser öffnen, keines davon war beschädigt. Ausserdem griffen die Wärter nicht zu den Waffen, um die Flucht zu verhindern. Eine Polizistin und ein Wärter, die von den Häftlingen getötet wurden, sowie ein Häftling kamen um. 17 Gefängniswärter sowie die Direktoren des Gefängnisses wurden umgehend verhaftet. Der Direktor der "Hölle", stand bis vor kurzem einem Gefängnis in der Hauptstadt vor, aus dem im Januar zehn Häftlinge ausbrachen. Einer der Häftlinge versicherte, dass das Gefängnispersonal und der Gefängnisdirektor von den Gefangenen mit einer Million US-$ bestochen worden waren. Die Massenflucht wurde vielerseits als Zeichen der Unfähigkeit seitens der Regierung gewertet, den BürgerInnen Sicherheit zu garantieren. Auch die verbreitete Korruption im Strafwesen wurde kritisiert und der Rücktritt von Innenminister Barrientos gefordert. Als möglicher Nachfolger Barrientos wird der Anwalt und ehemalige Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Fernando Linares Beltranena gehandelt. MINUGUA bezeichnete die Massenflucht als einen Rückschritt im Kampf gegen die Straflosigkeit. Die Staatsanwältin Berta Julia Morales zeigte sich frustriert darüber, dass es so schwierig war, die Delinquenten zu verurteilen und dass es ihnen so einfach gemacht wird, wieder aus dem Gefängnis auszubrechen. Der Oberste Gerichtshof (CSJ) gab bekannt, dass der Schutz derjenigen RichterInnen, die für die Verurteilung der geflüchteten Gefangenen verantwortlich waren, erhöht werde, da Racheakte befürchtet werden. Der Schrecken der Bevölkerung über die Massenflucht aus dem Gefängnis "Canada" ist noch präsent und schon doppelt die Regierung nach: Präsident Portillo rief am Montag, 18. Juni einen landesweiten Alarmzustand aus. Dieser wurde am 20. Juni vom Kongress bestätigt und soll 30 Tage dauern. Solange der Alarmzustand herrscht, werden die Artikel 6, 9 und 26 der guatemaltekischen Verfassung ausser Kraft gesetzt. Dies bedeutet, dass die staatlichen Sicherheitskräfte Personen verhaften und verhören können, die ihnen "auffällig" erscheinen, ohne dass sie einen richterlichen Haftbefehl brauchen. Ausserdem ist die Bewegungsfreiheit eingeschränkt, das heisst, die Sicherheitskräfte können Ausgangssperren verhängen oder den BürgerInnen den Zugang in gewisse Zonen verbieten. Nach oben |
VertreterInnen von Menschenrechts- und Indígenaorganisationen reichten eine Verfassungswidrigkeitsklage ein. Drei elementare Menschenrechte würden mit der Ausrufung des Ausnahmezustandes verletzt, begründen sie ihre Klage. Das Zentrum für die Verteidigung der Verfassung (CEDECON) bezeichnete die Ausserkraftsetzung dieser drei Artikel als verfassungswidrig. Sie dürften laut Verfassung nur suspendiert werden, wenn eine Invasion von aussen drohe, oder der Frieden oder die innere Sicherheit gefährdet seien. Die Frage ist durchaus berechtigt, ob dies die einzige, bzw. richtige Massnahme ist, um die geflohenen Häftlinge wieder einzufangen. Es wurde verschiedentlich auf die Gefahr hingewiesen, dass die Regierung den Alarmzustand ausnutze, um in diesem Klima der allgemeinen Unsicherheit und Panik ihre eigenen Interessen durchzusetzen, beispielsweise die erneut aufs Tapet gebrachte Erhöhung der Mehrwertsteuer. Mindestens der Polizei kommt der Alarmzustand entgegen. So löste sie eine Demonstration von 500 Personen gewaltsam auf, mit der Begründung, "Zusammenrottung" sei unter dem Alarmzustand nicht erlaubt. Es handelte dabei um eine friedliche Demonstration von Menschen, die entlang der Bahngeleise der Pazifikstrecke wohnen und von der Räumung bedroht werden, obwohl sie letztes Jahr von Präsident Portillo die Zusicherung bekammen, dass sie bleiben könnten. Und während die nordamerikanische Botschaft ihren Landsleuten Verhaltensregeln für den Alarmzustand zukommen lässt, lanciert das guatemaltekische Militär eine Grossoffensive an der Südküste, um die geflohenen Ausbrecher einzufangen. An der Offensive nehmen sowohl die 'normalen' Armeeeinheiten teil, wie auch die Spezialtruppe Kaibiles sowie Polizeieinheiten jeglicher Schärfe. |
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