Dialog - mit wem und worüber?
Fijáte 241 vom 8. Aug. 2001, Artikel 1, Seite 1
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Dialog - mit wem und worüber?
Die Frage, ob und mit wem ein breiter, sogenannter 'nationaler Dialog' über die Zukunft des Landes geführt werden soll, wie das die Regierung Portillo vorschlägt, hat in den vergangenen Tagen die Leitartikel und Kolumnen der guatemaltekischen Tageszeitungen und Presseagenturen gefüllt. Dass es einen Dialog braucht, um aus der aktuellen, politisch verfahrenen Situation herauszukommen, darüber sind sich alle einig. Während Gustavo Porras (u.a. ehemaliges Mitglied der Begleitkommission der Friedensabkommen, Privatsekretär und enger Berater von Ex-Präsident Alvaro Arzu) sich für einen Dialog unter den oppositionellen Kräften stark macht, will Héctor Salvatierra vom Institut für politische, ökonomische und soziale Studien (IPES) erst einmal konkrete Beweise der Regierung sehen, dass es ihr mit dem Aufruf zum nationalen Dialog ernst ist. Und während der Politologe Enrique Alvarez in Erzbischof Rodolfo Quezada Toruño quasi den "Retter der Nation" sieht, glaubt die Bischofskonferenz nicht daran, dass unter den gegebenen Umständen ein Dialog erfolgreich sein kann, und ist nicht bereit, einen Mediator zu stellen - womit das Thema auch bereits wieder aus der Presse verschwand, bzw. von den Meldungen im Zusammenhang mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer verdrängt wurde. Dies lässt den Verdacht aufkommen, dass der nationale Dialog nur ins Spiel gebracht wurde, um die Diskussion von der Mehrwertsteuer abzulenken, bis deren Erhöhung vom Kongress verabschiedet war. Die Frage, wie Guatemala aus der wirtschaftlichen Misere und den sozialen Problemen herauskommen soll, ist damit nicht gelöst und wird durch die Reaktionen der Bevölkerung auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer noch an Brisanz gewinnen. Die Einberufung eines nationalen Dialogs ist eine Möglichkeit. Die Einschätzungen über Erfolgschancen eines nationalen Dialogs sind unterschiedlich bis gespalten. Wir drucken an dieser Stelle die vier erwähnten Positionen ab, um einen Eindruck über diese aktuelle Diskussion zu vermitteln. Dialog unter Ausschluss der RegierungSiglo XXI, Gustavo Porras Castejón Die Zeit eilt, die Situation im Land verschlechtert sich täglich und wir zögern immer noch, wirklich in die Opposition zu gehen, was unter den gegebenen Umständen nur eines heissen würde: Den Wechsel der Regierung vorzubereiten, die politische Niederlage der aktuellen (Nicht-)Regierung bei den nächsten Wahlen in die Wege zu leiten und gleichzeitig eine Koalition aufzubauen, in der diejenigen Kräfte vereint sind, die uns aus dem Verderben ziehen können, in das uns die FRG geritten hat. Alles andere bedeutet, Zeit zu verlieren, bedeutet die Verzettelung der spärlichen Kräfte, bedeutet die Nährung falscher Hoffnungen - bedeutet, das Spiel der Regierung mitzuspielen. Zu sagen, dass der Dialog immer und unter allen Umständen positiv ist, bedeutet in der aktuellen Situation, Wasser auf die Mühlen der Regierung zu leiten, deren einziges Ziel es ist, die Gemüter zu beruhigen und Zeit zu gewinnen. Worüber soll man mit dieser Regierung noch einen Dialog führen? Wenn ihre Sorge tatsächlich die Reaktivierung der Wirtschaft ist, welchen Sinn hat ein Dialog, in dem das wichtigste Thema ausgeklammert ist, nämlich die Steuerreform? Ist es tatsächlich ein unerklärbares Mysterium, wie mit der Krise umgegangen werden muss? Ist es eigentlich offensichtlich, aber die Regierung will und kann es nicht? Aber man soll nicht das Unmögliche verlangen... Die Regierung benutzt ihre Macht, um sich zu bereichern und nicht, um irgend jemandem zu helfen. Ihr Ziel ist es, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Als erstes zerstörten sie den Staatsapparat, setzten alle professionellen Leute auf die Strasse, um ihre Stellen mit ihren eigenen Kumpeln zu besetzen. Doch am schlimmsten sind sie selber: unfähig und korrupt. Auch wenn es paradox erscheinen mag, kann unsere mafiöse Regierung mit der Unterstützung der Vereinigten Staaten rechnen. Deren militärische Vorherrschaft erlaubt ihnen die Durchsetzung einer draufgängerischen Wirtschaftspolitik, mit der sie Hampelmänner-Staatchefs begünstigen, die bereit sind, sich ihren Zielen unterzuordnen, auch wenn sie damit ihre Länder in den Ruin treiben. Es geht längst nicht mehr darum, unsere Länder vor dem Kommunismus zu 'schützen' - eine Allianz mit den Vereinigten Staaten kann für uns nur ein Rückschritt bedeuten. Die Hoffnung der vermeintlichen Opposition auf einen Staatsstreich ist ein gefährlicher Traum. Eine wirkliche Opposition muss es als eine Tatsache anerkennen, dass sich die Situation des Landes einzig mit den Wahlen 2003 verändern kann. Und darauf muss sie alle ihre Kräfte setzen! Auch wenn es vielleicht schwierig ist, zu akzeptieren, wissen wir alle, dass an den Präsidentschaftswahlen nur die politischen Parteien teilnehmen können. Was für einen Sinn macht in diesem Zusammenhang die systematische Kampagne der Medien gegen alles und alle, was 'politisch' anmutet? Was nützt es, ein ums andere Mal zu wiederholen, dass es in unserem Land an Leadern fehlt? Was ist der konstruktive Beitrag derjenigen, die eine Mauer errichten zwischen der sogenannten Zivilgesellschaft und den PolitikerInnen? Wobei mit 'PolitikerInnen' diejenigen gemeint sind, die sich effektiv politisch engagieren und exponieren und nicht diejenigen, die den Stein werfen und die Hand verstecken. Wenn wir uns weiterhin um die Felle streiten bevor das Wild geschossen ist, wenn wir die Streitereien, die Vetternwirtschaft und den Egoismus weiterhin über die nationalen Interessen stellen, geben wir der aktuellen Regierung die Chance, unter dem selben Namen oder versteckt hinter einer Maskerade, ihre Macht eine weitere Regierungsperiode auszuüben und dann - viel Glück! Deshalb müssen wir unbedingt einen Dialog führen, jedoch unter Ausschluss der Regierung. Wir müssen einen Dialog führen, dessen Ziel es ist, eine gemeinsame Strategie für die Zukunft unseres Landes zu entwickeln. Wir müssen auch die Bereitschaft zeigen, denjenigen Kandidaten zu unterstützen, der am meisten Chance auf einen Wahlerfolg hat. Ansonsten ist uns die Niederlage gewiss. Auch wenn es jemandem gelingt, auf eigene Faust zu gewinnen, ohne die Unterstützung einer breiten Allianz, wird er keine Chance haben. Ein Gewerkschafter aus Uruguay sagte mir kürzlich: Wenn es so weitergeht wie bisher, wird der Sieger der Wahlen 2003 in Guatemala zum grossen Verlierer werden. Ausser, würde ich hinzufügen, es gewinnen wieder sie selben wie letztes Mal. Welch babylonische Verwirrung!Héctor Salvatierra (IPES) Es sieht nicht danach aus, dass der nationale Dialog Realität werden würde. Im Gegenteil, die Polarisierung und der Konfrontationskurs, den die FRG und Präsident Portillo fahren, verwirren die Situation. Trotz der vielen Worte, die über das Thema verloren werden, scheint es, dass alle Beteiligten eine andere Sprache sprechen und sich gegenseitig nicht verstehen. So wurde der ursprüngliche Vorschlag der Vereinten Nationen, einen nationalen Dialog einzuberufen, völlig verwässert und die FRG mit ihrem Protagonismus und ihrer Dominanz, bestimmt das Szenario. Gestern haben die FRG-Abgeordneten im Kongress die umstrittene Erhöhung der Mehrwertsteuer beschlossen. Gleichzeitig prangerten die PAN-Abgeordneten den "hohen Grad an Korruption innerhalb der Regierung" an. Der Generalsekretär der PAN, Leonel López Rodas, zählte detailliert auf, wer und um wie viel sich aus der Staatskasse bereicherte. Auf der anderen Seite forderte Jorge Briz, Präsident der guatemaltekischen Handelskammer, Präsident Portillo zu einer inhaltlichen Debatte heraus. Dies, nachdem Portillo auf einer Arbeitsreise in Totonicapán seine Komödiantenrolle (die manchmal ins tragikomische abdriftet) weiterspielte und erklärte, er setzte sein Leben aufs Spiel, um seine Ziele zu erreichen. Nach oben |
Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter erstaunlich, dass der neu eingesetzte Erzbischof, Rodolfo Quezada Toruño, sich nicht sehr enthusiastisch darüber zeigt, als eine seiner ersten Amtshandlungen den noch nicht weiter definierten nationalen Dialog zu moderieren. Verständlich, denn das Verhalten der Regierung zeugt nicht von Ernsthaftigkeit, Vertauen und Verantwortung. Dank seiner Rolle, die Quezada Toruño während den Friedensverhandlungen innehatte, wurde er vorgeschlagen, um die Zivilgesellschaft und die Regierung an den Verhandlungstisch zu bringen. Dieser Vorschlag hat in weiten Kreisen grosse Hoffnungen auf einen erfolgreichen Dialog geweckt. Das Problem ist jedoch, dass Portillo zuerst die wichtigen Entscheidungen treffen will, um erst danach mit der organisierten Bevölkerung zu verhandeln. Portillo, General Ríos Montt und deren jeweiligen Gefolgsleute wechseln sich ab in der Rolle, sich an einem Tag flexibel zu zeigen und am nächsten unnachgiebig. Die FRG schafft es ein ums andere Mal, mit ihrer Mehrheit im Kongress ihre Interessen durchzusetzen und hat es nicht nötig, sich andere Meinungen anzuhören. Solange sich die Türen nicht öffnen für eine Diskussion, werden nur der Präsident und seine Partei einen Konsens suchen, während die Unternehmer den Streik ausrufen, die Industriellen damit drohen, ihre Position zu verhärten, die Volksorganisationen auf der Strasse demonstrieren, die Leader der Dachorganisationen nach Transparenz rufen und die Presse Korruptionsfälle auf Regierungsebene aufdeckt...Die Umgebung beweist, dass sich die Regierung irrt - doch diese ändert ihren Kurs nicht. Die Chancen eines nationalen DialogsEnrique Alvarez (IPES) Einer der positiven Nebeneffekte der aktuellen Krise, in die uns Präsident Portillo und die FRG gestürzt haben, sind die zahlreichen Spielräume, die sich für die Zivilgesellschaft geöffnet haben. Diskutiert wird darüber, wie wir aus der ausweglos scheinenden politischen und ökonomischen Krise herauskommen können. Diese zivilgesellschaftliche Beteiligung wird von der Regierung jedoch weder erkannt noch anerkannt. Die Tatsache, dass es diese Spielräume gibt und sie genutzt werden, zeigt auf der einen Seite das Interesse und die Verantwortung der verschiedenen Sektoren der nationalen Problematik gegenüber. Es deckt aber auch die Verzettelung und den Mangel an Artikulationsmöglichkeiten auf, die das soziale Gefüge Guatemalas charakterisieren. Es gibt Versuche, diese verschiedenen Spielräume zu einem gemeinsamen zusammen zu schliessen. Dies ist ein schwieriges Unterfangen, angesichts der historisch unterschiedlichen Rollen, die einzelne AkteurInnen gespielt haben. Zweifellos würde aber eine solche Einheit eine viel grössere Stärke und Macht bedeuten, als in der Aktualität vorhanden. Der Vorschlag des UNO-Abgeordneten Iqbal Riza, durch einen nationalen Dialog eine konstruktive und zivilisierte Lösung für die Krise zu finden und somit den Friedensabkommen neue Gültigkeit zu verleihen, muss von allen Sektoren ernst genommen und als dringend und vorrangig behandelt werden. Uns allen sind die Einschränkungen der Regierung bekannt, zu einem solchen Dialog aufzurufen: Ihre Mobilisierungschancen sind gleich Null und niemand glaubt mehr daran, dass die Regierung umsetzt, was sie verspricht. Aber unabhängig davon, wer zu einem Dialog aufruft, muss die Regierung beweisen, dass es ihr ernst ist, speziell in der Umsetzung unilateraler Versprechen. Unilaterale Versprechen in einem positiven Sinn, um die Bedingungen zu schaffen, die einen solchen Dialog überhaupt erst ermöglichen. Auf den ersten Blick ist klar, dass die ideale Person, um einen derartigen Dialog einzuberufen und zu moderieren, Erzbischof Rodolfo Quezada Toruño ist. Dies hat er bewiesen beim nationalen Dialog, einberufen von der nationalen Versöhnungskommission Ende der achtziger Jahre, als Schlichter bei den Friedensverhandlungen und als Vorsitzender der Vereinigung der Zivilgesellschaft (ASC), die einen wichtigen Beitrag bei der inhaltlichen Gestaltung der Friedensabkommen leistete. Eine andere Person, die die Eigenschaften Quezada Toruños auf sich vereint, wird nicht so schnell zu finden sein. Ein mögliches Hindernis könnte sein, dass es innerhalb der Bischofskonferenz, so wie sie heute zusammengesetzt ist, Opposition gegen eine Beteiligung Quezada Toruños als Moderator am nationalen Dialog geben könnte. Auch wird die katholische Kirche zu Recht auf gewissen Grundbedingungen bestehen, die dem Dialog eine reelle Erfolgschance garantieren. Alles andere wäre ein Kräfte- und Imageverlust, den sich die Kirche nicht leisten kann und will. Problematisch ist auch die Rolle von MINUGUA, deren Kompetenz mit der Einberufung eines nationalen Dialogs weit überschritten würde. Bereits heute wird die Mission eines falschen Nationalismus bezichtigt, ein Argument, das von den zwar wenigen, aber sehr gefährlichen, wirtschaftlich starken Feinden des Friedensprozesses sofort ins Feld geführt würde, falls die internationale Gemeinschaft zum nationalen Dialog aufrufen würde. Sicher wäre es sehr wertvoll, wenn MINUGUA ihre technischen Möglichkeiten für die Durchführung und Begleitung eines solchen Prozesses zur Verfügung stellen würde. Zweifellos braucht es einige Anstrengungen aller Beteiligten, um klare Regeln zu erarbeiten und Mechanismen und Umsetzungsmassnahmen festzulegen. Im Moment ist Quezada Toruño der Wunschkandidat, und falls seine Beteiligung nicht möglich ist, wird es viel Erfindungsgeist und Kreativität brauchen, damit eine andere Instanz erfolgreich zu einem nationalen Dialog aufrufen kann. Stellungnahme der Bischofkonferenz zum nationalen DialogDie Bischofskonferenz hat anlässlich ihrer Sitzung vom 25. Juli die Anfrage des Vizepräsidenten Francisco Reyes bezüglich der Teilnahme als Moderator eines ihrer Mitglieder an einem möglichen nationalen Dialog geprüft. Die Konferenz hat die Meinung verschiedener Sektoren eingeholt und unter Berücksichtigung der sozialen Situation, in der sich unser Land befindet, die Möglichkeiten (oder auch nicht) eines nationalen Dialogs geprüft, an dem die Zivilgesellschaft und die Regierung teilnehmen sollen. Nach einer ausführlichen Reflexion sind die Bischöfe zu folgenden Schlüssen gekommen: Der Dialog ist die einzig richtige Form um Probleme nationalen Ausmasses innerhalb einer demokratischen Gesellschaft zu lösen. Ein solcher Dialog kann aber nur erfolgreich sein, wenn die Einhaltung der abgemachten Übereinkünfte garantiert werden kann. Die Bischöfe kamen zum Schluss, dass diese Voraussetzungen für einen fruchtbaren Dialog im Moment nicht garantiert sind und sieht deshalb auch keinerlei Chance für eine erfolgreiche Mediation. Selbstverständlich ist die katholische Kirche und ihre Bischöfe immer bereit, im Rahmen ihrer Mission zur Lösung der nationalen Probleme beizutragen, die auch uns beschäftigen. Es ist unerlässlich, dass die Regierung die Klagen der Bevölkerung ernstnimmt. Als erstes muss sie beweisen, dass es ihr ernst ist mit der Transparenz im Umgang mit den öffentlichen Finanzen. Zweitens muss die Regierung den von der Bevölkerung geforderten Plan zur Führung der öffentlichen Geschäfte vorlegen und auch einhalten. Und drittens muss sie das Vertauen und die Glaubwürdigkeit wiederherstellen, und der Bevölkerung das Gefühl von Sicherheit sowie eine Zukunftsperspektive geben. Die Bevölkerung, speziell die organisierte Zivilgesellschaft, bitten wir, eine bestimmte, aber gewaltlose Position beizubehalten, die auf den demokratischen und verfassungsrechtlichen Grundsätzen unseres Landes beruhen. Sie soll unter Achtung der politischen Spielräume und Regeln, auf eine verantwortungsvolle und partizipative Weise im Sinne der nationalen Interessen handeln. Wir bitten Gott dafür, dass er uns die Weisheit und die Kraft gibt, mit Vertrauen in die Zukunft zu gehen. |
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