Kaffeekrise ohne Zukunftsperspektive
Fijáte 242 vom 22. Aug. 2001, Artikel 1, Seite 1
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Kaffeekrise ohne Zukunftsperspektive
Immer wieder haben wir im ¡Fijáte! kleinere Meldung über die Situation der KaffeebäuerInnen und über die fallenden Kaffeepreise veröffentlicht. Meist war der Grundtenor dieser Meldungen "es ist so schlimm wie noch nie". Wir möchten mit dem folgenden Artikel von Luis Hernández Navarro einen Blick hinter die Tagesmeldungen von sinkenden Preisen und entlassenen ArbeiterInnen werfen. Er erschien Mitte Juni in der mexikanischen Tageszeitung La Jornada. Zwar beziehen sich die erwähnten Beispiele auf die Situation in Mexiko, doch könnten sie gerade so gut aus Guatemala stammen. Nicolás González, ein kleiner Kaffeebauer aus Chiapas, hat dieses Jahr rund 1800 mexikanische Pesos aus dem Verkauf des Kaffees erwirtschaftet, den er auf seiner Parzelle von einer Hektar Grösse anbaute. Bevor der Kaffeepreis so extrem gesunken ist, hat er dafür jeweils das doppelte bekommen. Jetzt muss er seine Familie bis zur nächsten Ernte mit 5 Pesos täglich über die Runden bringen. (1 US-$ = 9.1 mexikanische Pesos) Ein Kilo gerösteter und gemahlener Kaffee kostet im Detailhandel in Mexiko Stadt zwischen 80 und 100 Pesos. Nicolás bekommt auf dem Kaffeemarkt für ein Kilo Kaffeebohnen rund 6 Pesos. Aus einem Kilo Kaffee ergeben sich gut 90 Tassen Kaffee. Eine Tasse servierten Kaffees kostet in einer noblen Cafeteria in der Hauptstadt etwa 9 Pesos. Dieses Jahr war für González und die rund 250'000 KaffeeproduzentInnen in Mexiko fatal. Niemand blieb verschont, es traf alle: Die kleinen und die grossen Fincas, indigene BäuerInnen und deutschstämmige GrossgrundbesitzerInnen, unabhängig davon, ob sie in den Bergen oder in den Ebenen anbauten. Die Kaffeepreise an der Börse in New York sind im Moment unter 60 US-$ pro Zentner, halb soviel wie noch vor kurzem. Die GewinnerWährend Jahren existierte ein Abkommen zwischen den in der Internationalen Kaffeeorganisation (OIC) zusammengeschlossenen kaffeeproduzierenden und -konsumierenden Ländern. Mit dem Abkommen wurde ein Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage geschaffen. Auf diese Weise hatten die ProduzentInnen ein gesichertes Einkommen und dafür wurde der Markt nicht überschwemmt mit schlechtem Kaffee, den niemand will und der nur die allgemeine Qualität verschlechtern würde. 1989, mitten in der neoliberalen Euphorie, wurde dieses Abkommen von einigen Staaten aufgekündigt. Seither ist der Kaffeepreis willkürlichen Schwankungen ausgesetzt. Die einzigen, die dabei gewinnen, sind die grossen Handelsunternehmen sowie diejenigen, die an der Londoner und New Yorker Börse spekulieren. Für die KaffeebäuerInnen ist der freie Markt kein gutes Geschäft. Seit zwei Jahren sind die Preise ständig am Sinken, die Kaffeeindustrie befindet sich in einer grösseren Krise als 1992/93, den Jahren, die dem zapatistischen Aufstand vorausgingen. Die damalige Krise wurde als 'vorübergehend' eingeschätzt, in der heutigen gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Preise in absehbarer Zeit wieder steigen. Der Einkommensrückgang der ProduzentInnen hat aber auch die KonsumentInnen nicht begünstigt, wie dies hätte angenommen werden können. Laut Daten der OIC, ist der durchschnittliche Kaffeepreis im Detailhandel nur um ca. 15% gesunken. In den Vereinigten Staaten - wo jährlich rund 10 Millionen Kilo Kaffee konsumiert werden - sogar noch weniger. Wenn also das 'Rohmaterial' immer billiger gehandelt wird, die KaffeetrinkerInnen aber auch nicht viel günstiger davonkommen, muss irgend jemand anders daran verdienen - und zwar sehr viel. Nestlé, einer der Hauptabnehmer auf dem Kaffee-Weltmarkt, hatte im Februar 2001eine Umsatzverbesserung von 20% zu vermelden. Starbucks, eine der grössten Cafeteria-Ketten der Vereinigten Staaten und in Teilen Kanadas, verzeichnete in den ersten drei Monaten dieses Jahres eine Gewinnsteigerung von 41 %. Ähnlich geht es grossen Handelsunternehmen wie z.B. Phillip Morris. Die ProduzentInnen erhalten rund 8 Milliarden US-$ von einem Geschäft das 50 Milliarden US-$ generiert - weniger als den sechsten Teil davon. ÜberproduktionDer Weltmarkt für Kaffee ist mehr als gesättigt. Rund 9 Millionen der insgesamt 115 Millionen Säcke Kaffee, die weltweit geerntet werden, sind überschüssig, die Produktion steigt schneller als der Konsum. Allein in den kaffeekonsumierenden Ländern steht ein Vorrat von ca. 18 Millionen Säcke in Lagern herum. Die Produktionssteigerung ist kein ungewollter Zufall. Sie wurde von den multinationalen Organisationen und den Wirtschaftsmächten wissentlich vorangetrieben und von den armen Ländern akzeptiert, welche auf die Devisen angewiesen sind, um ihre Kreditschulden zurückzubezahlen. Eine zentrale Rolle in dieser Krise spielt Vietnam. Erst seit zehn Jahren wird in Vietnam Kaffee angebaut, innerhalb kurzer Zeit konnte die Produktion von 5 Millionen auf 13 Millionen Säcke gesteigert werden und heute ist es der zweitgrösste Kaffeeexporteur der Welt. Das "Wunder von Vietnam" ist das Ergebnis von Förderungsprogrammen der Weltbank und Frankreichs sowie geringen Produktionskosten (niedrige Löhne und staatseigenes Land). Laut Oxfam ist die Produktionssteigerung auch ein Resultat der Programme der Vereinten Nationen in Kolumbien und Bolivien, mit denen die BäuerInnen dazu gebracht werden sollen, vom Coca- auf den Kaffeeanbau umzusteigen. Auch Angola bekam von der OIC beachtliche Kredite, um den Kaffeeanbau zu fördern. Kurioserweise wird keine dieser Aktionen, deren Ziel es ist, die Produktion anzukurbeln, von auch nur einer Massnahme begleitet, um den Kaffeekonsum zu steigern, damit die Sache wieder etwas ins Gleichgewicht kommt. Das weltweite Überangebot war die Grundlage, aus der die produzierenden Länder vorschlugen, 20% des Kaffees auf dem Weltmarkt zurückzubehalten und die schlechtere Qualität zu zerstören, um so die Preise wieder ansteigen zu lassen. Als diese Massnahmen diskutiert und im Juni letzten Jahres durchgeführt wurden, betrug der Kaffeepreis noch 95 US-$ pro Sack. Heute ist er trotz allem auf 60 US-$ heruntergefallen. Dies hat verschiedene Gründe: Laut der Vereinigung der kaffeeproduzierenden Länder, (APPC), war die Ernte grösser als ursprünglich kalkuliert und nicht alle Länder führten die ausgehandelte Massnahme durch. Daran gehalten haben sich unter anderem El Salvador, Guatemala, die Elfenbeinküste, Indien und Uganda und teilweise Mexiko. Mexiko hat bis heute nur 74 Tausend Säcke zurückgehalten, das sind 13% von dem, was das Land versprochen hatte. Als Argument bringt Mexiko vor, dass die landesweite Produktion im letzten Jahr geringer war als erwartet. Nach oben |
Für Alfonso Carreón, der als Berater verschiedener kleiner und mittlerer Kooperativen im Norden von Chiapas arbeitet, gilt dieses Argument nicht. Die internationale Gemeinde habe schon lange das Vertrauen in Mexiko verloren, das für sein Nicht-Einhalten von Abkommen bekannt sei, meinte er. Wolle das Land endlich seinen Ruf retten und etwas zur Verbesserung der Kaffeepreise beitragen, müsse es sich an das Abkommen halten. Nationale MechanismenIm vergangenen Jahr haben die mexikanischen KaffeeproduzentInnen verschiedene Protestaktionen unternommen. In verschiedenen Städten wurden die Büros des Landwirtschaftssekretariats besetzt und gefordert, die Unterstützungsbeiträge an KaffeeproduzentInnen zu erhöhen. In jüngster Zeit beschränken sich die Aktionen jedoch auf Demonstrationen und Meetings. Mit der neuen Regierung wurde für dieses Jahr ein Unterstützungsbeitrag von 750 Pesos pro Hektar angepflanzten Kaffees ausgemacht, höchstens aber 3'750 Pesos pro ProduzentIn. Mit dieser Unterstützung konnten gerade mal 12% der Verluste der ProduzentInnen gedeckt werden. Der mangelnde Wille der mexikanischen Regierung wird die weitere Durchführung solcher Unterstützungsprogramme behindern. Ausserdem sprechen organisierte ProduzentInnen davon, dass ein Teil dieser Beiträge der Korruption zum Opfer falle. Verschiedene Teilstaaten führten Listen mit doppelt so vielen Namen darauf als überhaupt kaffeeproduzierende BäuerInnen in der Region wohnten. Das Geld kam den regionalen Behörden gerade recht, war es doch die Zeit des Wahlkampfes. In Chiapas wurden auch verschiedene Funktionäre des Landwirtschaftsministeriums beim Verteilen der Unterstützungsgelder entführt. Auf der mexikanischen Landkarte sind die Gebiete mit der höchsten Armut identisch mit denjenigen des Kaffeeanbaus und denjenigen der protestierenden BäuerInnen und des bewaffneten Widerstandes. Das Unglück kommt Schlag auf SchlagDie Korruption bei der Verteilung der Unterstützungsbeiträge bekamen am meisten die KaffeebäuerInnen in Chiapas zu spüren. Dort wurden insgesamt gerade noch 340 Pesos pro ProduzentIn und Hektar ausbezahlt, anstatt der versprochenen 750 Pesos. Die Aufwertung des Pesos war für die ProduzentInnen auch von Nachteil. Die Kosten für Transporte, Düngemittel, TaglöhnerInnen sind im Verhältnis mehr gestiegen als der Peso aufgewertet wurde. Dadurch verlieren die ProduzentInnen rund weitere 30% ihres Einkommens. In den kaffeeproduzierenden Gemeinden sind die Leute aufgebracht, traurig und verzweifelt. Die familiären Situationen sind prekär, die Organisationen am Auseinanderfallen oder in grossen finanziellen Schwierigkeiten. Die einzigen, die in diesen Gemeinden von der Situation profitieren, sind die coyotes, Menschen, die für teures Geld die illegale Einreise nach (in diesem Fall) den Vereinigten Staaten organisieren. In gewissen kaffeeproduzierenden Gemeinden sind bis zu 70% der EinwohnerInnen in die USA ausgewandert. Etwas anderes anzupflanzen lohnt sich für sie nicht, auch die Preise für Orangen und Mandarinen sind auf dem Weltmarkt schlecht. Meist sind es die Männer, die gehen, die Frauen und Kinder bleiben zurück und kümmern sich um Haus und Hof. Oftmals mieten die Exilierenden einer Gemeinde zusammen einen Lastwagen, der sie alle an die Grenze fahren soll. Ein Autobusunternehmen in Oaxaca offeriert bereits direkte Reisen ohne Halt nach Ciudad Juárez, einer mexikanischen Grenzstadt zu den USA. Als Folge dieser Migrationsbewegung wird auch eine allgemeine Zunahme der Kriminalität und vermehrte Überfälle auf den Strassen festgestellt. Die Abwanderung hat auch die Landpreise sinken lassen, unterdessen werden bearbeitete Parzellen von 10 Hektaren für 50'000 Pesos gehandelt. Die Regierung Fox hat formal die Forderungen der nationalen Organisationen anerkannt: Restrukturierung des Mexikanischen Kaffeerates, finanzielle Unterstützung für die Ernte, Neuregelung der Besteuerung, um die Vermarktung des Kaffees zu verbessern, Qualitäts- statt Quantitätsverbesserung und die Einführung eines Stabilisierungsfonds. Bisher hat die Regierung ihre Versprechen jedoch nicht eingehalten. Düstere AussichtenSo sehen denn auch die Zukunftsaussichten für die mexikanischen KaffeebäuerInnen nicht gut aus. Im nächsten Haushaltsjahr will die Regierung ihre Unterstützungsbeiträge für die KaffeeproduzentInnen um 30% kürzen. Ein Zeichen dafür, dass die neue Administration keine Bereitschaft zeigt für die Lösung der Probleme, mit denen sie konfrontiert ist. Es darf dabei nicht vergessen werden, dass der eigentliche Schlüssel zur Verbesserung der Situation auf internationalem Terrain zu suchen ist Doch Mexiko ist an der heutigen Situation nicht unschuldig: Einerseits hat es den Vorschlag zur Zerstörung eines Teils der Ernte unterstützt und andererseits hat es sich nicht an diese Abmachung gehalten. Gleichzeitig nimmt der Unmut der ProduzentInnen zu. Ende April hat diskutierte der Regionale Kaffeerat die Durchführung eines Streiks. Diese Idee wird nun in den Gemeinden und Ejidos analysiert und besprochen. "Müssen wir jetzt auch beginnen, anderes zu pflanzen, um die Wichtigkeit des Kaffees zu in Erinnerung zu rufen?" fragte sich ein Kaffeebauer aus Guerrero, als er von den Programmen für die Coca-BäuerInnen in Bolivien und Kolumbien hörte. "Wie viele Tote muss es beim Durchqueren der us-amerikanischen Grenzwüsten noch geben, damit die Situation der mexikanischen Kaffeebauern ernst genommen wird?", fragte sich ein anderer. |
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