"Ich wünsche mir, es gäbe einen Amokläufer der sich darauf spezialisiert, Militärs umzubringen"
Fijáte 234 vom 2. Mai 2001, Artikel 1, Seite 1
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"Ich wünsche mir, es gäbe einen Amokläufer der sich darauf spezialisiert, Militärs umzubringen"
Die Jugendorganisation HIJOS (Hijos e Hijas para la Identidad y la Justicia contra el Olvido y el Silencio) -'Söhne und Töchter für die Identität und Gerechtigkeit gegen das Vergessen und das Schweigen') wurde am 30. Juni 1999 gegründet und ist Teil der 1994 gegründeten lateinamerikanischen HIJOS-Bewegung. Die Idee kommt aus Argentinien und hat zum Ziel, Söhne und Töchter von Verschwundenen sowie Jugendliche, die auf die eine oder andere Weise vom bewaffneten Krieg oder von der politischen Verfolgung betroffen waren, zu organisieren. Im folgenden Gespräch erzählen zwei Mitglieder von HIJOS von ihrer Organisation und von ihrem Umgang mit Gewalt. Frage: Was macht HIJOS? Paco: Wir begannen vor zwei Jahren mit 17 Mitgliedern. Zuerst ging es uns darum, einen Raum zu schaffen für die Söhne und Töchter der Verschwundenen, aber mit der Zeit kamen auch Jugendliche dazu, die nur indirekt oder gar nicht unter dem bewaffneten Konflikt zu leiden hatten, die aber das Bewusstsein haben darüber, was geschehen ist und die etwas dagegen machen wollen. Eines unserer Hauptziele ist, die individuelle und kollektive Erinnerung an die Opfer aufrechtzuerhalten. Längerfristig wollen wir adäquate Formen und Mittel suchen, um Gerechtigkeit zu einzufordern. Wir veranstalten kulturelle Aktivitäten, mit denen wir andere Jugendliche anzusprechen versuchen, ihnen unsere Geschichte erzählen und in ihnen ein Bewusstsein wecken wollen. Wir versuchen, all unsere Energie, unsere Frustration in Aktionen, in Kunst umzuwandeln. Frage: Mir scheint, dass nur wenige Jugendliche, inkl. StudentInnen in Guatemala wirklich wissen, was geschehen ist. Paco: Das ist ein Problem, mit dem wir immer wieder konfrontiert sind, wenn wir Veranstaltungen machen. Viele Jugendliche kennen die Geschichte des Landes nicht. Aber ich glaube, das hat viel mit dem hiesigen Schulsystem zu tun. In der Schule wird über Pedro de Alvarado, Tecun Uman und über die Spanier gesprochen aber nicht darüber, was in den letzten 70 Jahren geschah. Wir haben kürzlich ein Projekt beendet, das "Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses der Jugend" hiess. In diesem Projekt ging es darum, diese inoffizielle Geschichte Guatemalas bekanntzumachen. Wir gingen in verschiedene Schulen, zeigten Videos und Dias, führten Theater auf und sprachen mit den Jugendlichen. Das Unwissen und die Ignoranz sind weit verbreitet nicht nur unter den Jugendlichen. Viele betroffene Jugendliche sprechen nie über ihre Vergangenheit, weil sie von ihren KollegInnen oft als 'komisch' angeschaut werden. Das führt dann soweit, dass viele gar nicht wissen, dass andere Jugendliche auch betroffen sind. Frage: Könntest du einfach einen Strich unter alles ziehen und von neuem beginnen? Paco: Du meinst, um dann in Ruhe mit den Militärs zusammenzuleben? Nein. Es gibt Jugendliche in HIJOS, deren Eltern verschwunden sind, die zusehen mussten, wie ihre Eltern gefoltert wurden. Wenn ich an all die Geschichten danke, die unseren Angehörigen widerfahren sind, kommt in mir eine Wut hoch, die es mir verunmöglicht zu sagen: "Vergessen wir's". Wir sind Mitglieder von HIJOS, weil wir etwas tun wollen. Das Einfordern von Gerechtigkeit für die Greueltaten der Vergangenheit ist bloss eine Seite der Medaille. Es ist sicher ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Veränderung unserer Gesellschaft. Aber die Zustände in dieser Gesellschaft hier und jetzt sind so miserabel dass es nicht drauf ankommt, ob du direkt vom Krieg betroffen warst oder nicht. Mit dieser Realität, in der du täglich lebst und von der du geprägt wirst, kannst du nicht einfach sagen, gut vergessen wir, was geschehen ist und beginnen wir von vorne. Unabhängig davon, ob du das Geschehene vergessen willst oder nicht, die heutige Realität allein sollte schon ein Grund zum Handeln sein. Frage: Bist du zufrieden mit den aktuellen politischen Entwicklungen? Paco: Ob ich zufrieden bin?! Nein!!! Ich bin einer der ältesten in unserer Gruppe, ich bin 26 Jahre alt. Ich selber bin ziemlich frustriert, weil der Friedensprozess keine Veränderungen für die Mehrheit der Bevölkerung mit sich bringt. Vorher gab es wenigsten noch eine vermeintliche politische Alternative, die Guerilla, die für eine vermeintliche Veränderung der Realität kämpfte. Aber heute gibt es nicht einmal mehr das. Die URNG hat so viele interne Probleme und reproduziert genau das, was sie vorher bekämpft hat. Sie ist auf dem Weg dazu, sich zur politischen Partei einiger weniger zu entwickeln. Wenn wir ehrlich sind, können wir auch eine Spaltung der Volksbewegungen feststellen. Nach einem so langen Krieg ist die Jugend völlig desinteressiert allem gegenüber, was mit Politik zusammenhängt. Das heisst, es gibt heute eigentlich keine Alternativen mehr, es gibt nichts, das die Veränderungen repräsentiert, die ich mir wünschte. Frage: Du hast vorhin erwähnt, dass ihr andere Formen sucht, um eure Frustration und eure Wut auszudrücken, welche Formen sind das? Oder anders gefragt, was machst du, wenn dich diese Wut überkommt? Paco: Willst du die Wahrheit wissen? Ich betrinke mich. Alkoholprobleme sind weit verbreitet in unserer Gruppe, weil, ach... HIJOS hat zweimal das 'Jugend-Festival für die Wahrheit und die Gerechtigkeit' organisiert. Weiter veranstalten wir Kulturnachmittage, mit der Idee, nicht einfach Kunst der Kunst wegen zu machen, sondern um sie als eine politische Ausdrucksform zu gebrauchen. Insgesamt haben wir etwa sechs Wandbilder gemalt. Wir versuchen auch, neuen Wind in die traditionellen politischen Veranstaltungen zu bringen. Wenn wir zu einer Demo gehen, nehmen wir Musikinstrumente mit, führen Strassentheater auf. Manchmal gehen wir auch sprayen. Frage: Wie ist eure Beziehung zu anderen Jugendbewegungen? Paco: Die StudentInnen- oder Jugendbewegung ist sehr schwach. Viele StudentInnenführerInnen wurden ermordet oder entführt und es fehlt heute an guten Leuten. Die AEU (StudentInnenorganisation) hat grosse interne Probleme, es gibt verschiedene Strömungen innerhalb der AEU, mehr oder weniger parallel zu den vier Strömungen innerhalb der URNG. Als HIJOS haben wir es bisher geschafft, ausserhalb dieser Streitigkeiten zu bleiben, obwohl sich einige unserer Mitglieder in der AEU und in der URNG engagieren. Die Kirche hat über die Sozialdiözese viele Jugendliche organisiert, doch die Kirche ist uns zu unpolitisch. Für uns bedeutet Jugendliche organisieren mehr als einfach in der Messe zu singen. Auch CALDH arbeitet mit Jugendlichen, ihre Organisation heisst 'Jugendliche für den Frieden und die Demokratie'. Dann gibt es die FUNDAJU, die Stiftung für die Jugend. Wir haben anfänglich da mitgemacht. Als sich die FDNG von der ANN abspaltete, blieb die FUNDAJU der FDNG treu. Und da in HIJOS Leute sind, die der URNG näher stehen als der FDNG, gab es Probleme und wir haben uns zurückgezogen. Wir wollten nicht von einer bestimmten Partei vereinnahmt werden und wollen das auch in Zukunft nicht. Auch die URNG ist daran, ein Jugendsekretariat zu bilden, wozu sie uns eingeladen haben. Wir gehen da nicht als Gruppe hin, aber unseren Mitgliedern steht es frei, als Einzelpersonen mitzumachen. Nach oben |
Frage: Eure Beziehung zu FAMDEGUA ist sehr eng, ihr habt ja auch hier euer Büro. Wie gestaltet sich diese Beziehung, gibt es so etwas wie 'Generationenkonflikte'? Paco: Natürlich haben wir Probleme. Nicht nur mit FAMDEGUA sondern auch mit anderen Menschenrechtsorganisationen. Ich persönlich bin z.B. nicht damit einverstanden, dass Leute wie Nineth Montenegro oder Mario Polanco ihre Organisation für ihre politischen Ambitionen ausnützen. Ich finde, man muss die Arbeit in der Organisation strikt trennen vom persönlichen Engagement in der Partei. Sie haben alles Recht der Welt dazu, sich parteipolitisch zu engagieren, aber bitte nicht im Namen der Massakeropfer. Frage: Andersrum lässt aber die URNG ein klares Engagement für die Opfer und deren Angehörige vermissen. Paco: Klar ist es wichtig, sich dafür einzusetzen aber gleichzeitig braucht es auch eine gewissen Distanz. Viele der Organisationen entstanden während des Krieges und waren den Richtlinien der URNG unterstellt. Das war zu seiner Zeit auch richtig. Heute, wo sich die Situation verändert hat, braucht es aber eine Ablösung von diesen Strukturen. Die Abhängigkeit von der URNG hat vielen Organisationen in den letzten Jahren bloss geschadet. Für die URNG bedeutet es aber, dass sie es nicht mehr einfach 'ihren' Organisationen überlassen kann, sich für die Menschenrechte stark zu machen. Das und die Tatsache, dass nicht mehr alle Leute mit ihrem Stil einverstanden sind, muss die URNG einfach akzeptieren. Frage: Was machst du nebst deiner Arbeit in HIJOS? Paco: Ich bin arbeitslos. Ich finde keine Arbeit. Für die Arbeit für Hijos bekomme ich kein Geld. Es ist eine Abmachung unter uns, dass alles Geld, das reinkommt, für Aktivitäten bestimmt ist. Frage: Wie finanziert ihr euch? Paco: Das meiste über Spenden oder über kleine Projekte, die aus dem Ausland unterstützt werden. Und wenn es nötig ist, sammeln wir unter unseren Mitgliedern Geld, z.B. für das Essen während unserer Aktivitäten. Wir haben aber auch nicht so viel Ausgaben wie viele Organisationen, eben weil wir keine Löhne bezahlen. (In diesem Moment schloss sich Raúl, ein weiteres Mitglied von HIJOS dem Gespräch an.) Frage: Arbeitet ihr auch auf der Ebene psychosoziale Medizin? Raúl: Für unsere Gruppe ist das ein wichtiges Thema, weil wir ja alle als Kinder Dinge erlebt haben, die unsere psychische Gesundheit beeinträchtigen. Das Problem ist, dass viele von uns Mühe haben mit dem Begriff 'psychosoziale Gesundheit' und sagen "Wir sind ja weder krank noch verrückt". Aber wir sind uns bewusst, dass wir auf diesem Gebiet Hilfe brauchen. Frage: Sprecht ihr untereinander über eure Geschichten? Raúl: Natürlich. Es ist eines der Hauptziele unserer Gruppe, einander zu erzählen, was wir erlebt haben und uns gegenseitig zu helfen, uns gegenseitig das Gefühl zu geben, dass wir nicht alleine sind. Wir hatten auch zweimal ein Treffen mit einer Psychologin. Das war ganz wichtig, um gewisse Mechanismen in uns selber aber auch innerhalb der Gruppe zu verstehen. Frage: Was fühlt ihr, wenn ihr heute in der Zone 1 eine Militärpatrouille antrefft? Paco: Ich ertrage es fast nicht und ich habe oft Lust, sie zu beschimpfen und schlimmeres. Aber ich habe Angst. Die sind bewaffnet und kommen immer in Gruppen daher. Heute morgen haben wir über das Thema Gewalt gesprochen und kamen unweigerlich auf die Selbstjustiz zu sprechen. Jemand sagte: "Als VerteidigerInnen der Menschenrechte müssen wir die Selbstjustiz verurteilen." Ich habe nur gelacht, denn ehrlich gesagt, wenn ich die Möglichkeit hätte, mich an einem Militär zu rächen, ich würde ihn töten, verstehst du? Mich erstaunt es, ehrlich gesagt, dass es nicht vorkommt dass sich die Leute ganz direkt bei ihren Peinigern rächen. Raúl: Viele von uns tragen eine grosse Wut mit sich herum und wenn wir die Gelegenheit hätten, Selbstjustiz auszuüben, wer weiss was geschehen würde. Aber wir trauen uns nicht. Auf eine Art ist das auch ein Ergebnis der jahrelangen Repression. Die Leute auf dem Lande fürchten das Militär noch genauso wie während des Krieges. Und mit der ständigen Erinnerung an die brutalen Morde, die das Militär auf dem Land ausgeübt hat, sind die Leute nicht fähig, sich zu rächen. Einer unserer Kollegen hatte einen detaillierten Plan ausgearbeitet, wie er die Militärs, die in unserer Nachbarschaft leben, umbringen könnte. Er plante auch die Art und Weise, wie er sie umbringen wollte, langsam und unter grossem Leiden. Manchmal kommen einem halt diese Ideen, sich zu rächen. Aber wenn wir darüber sprechen, merken wir, dass es etwas ist, sich das alles auszumalen und etwas ganz anderes, es auch auszuführen und ich glaube, darin unterscheiden wir uns grundsätzlich von "ihnen"(den Militärs), dass sie es konnten und wir können es nicht. Manchmal wünsche ich mir, es gäbe in Guatemala einen Amokläufer, der sich darauf spezialisiert, Militärs umzubringen. Frage: Könnt ihr über all diese Gefühle mit den Leuten von FAMDEGUA sprechen? Paco: Nein. Das ist wohl einer dieser Generationenkonflikte, die du vorhin angesprochen hast. Die Leute von FAMDEGUA finden uns sehr radikal, verstehen unseren schwarzen Humor nicht und finden ihn oft respekt- und geschmacklos. Es gibt Dinge, die uns beschäftigen, über die wir mit ihnen nicht sprechen können. Sicher haben sie zum Teil ähnliche Gefühle der Verzweiflung und Machtlosigkeit, aber sie gehen ganz anders damit um. Aber es ist normal, dass wir uns nicht immer verstehen, denn wenn wir genau gleich wären wie sie, würde es keine Entwicklung geben. |
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