"Niemand hat Interesse an einem Staatsstreich"
Fijáte 257 vom 10. April 2002, Artikel 1, Seite 1
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"Niemand hat Interesse an einem Staatsstreich"
In den letzten Wochen haben sich die schlechten Nachrichten aus Guatemala überstürzt. Korruptionsfälle, Menschenrechtsverletzungen, die zunehmende Wirtschaftkrise sind nur einige der Dauerbrennerthemen in den Medien. Die Regierung verliert nach einem für sie recht positiven Ausgang des Treffens mit der Konsultivgruppe im Februar in Washington täglich an Glaubwürdigkeit - sowohl im In- wie auch im Ausland. Gerüchte über einen möglichen Staatsstreich machten die Runde. Im folgenden Interview beschreibt Oscar Azmitia von Prodessa, wie er die letzten Wochen in Guatemala erlebt hat und skizziert mögliche Alternativen, um aus dem politischen Schlamassel herauszukommen. Prodessa ist eine Nichtregierungsorganisation, die Projekte im Bereich Entwicklung und Erziehung begleitet, die sich speziell an die Mayabevölkerung richten. Frage: Du warst noch vor wenigen Tagen in Guatemala. Wie ist die Stimmung dort? Oscar Azmitia: Obwohl die Friedensabkommen keine wirkliche Veränderung im Land bewirkt haben, muss man anerkennen, dass ein gewisse Ruhe eingekehrt ist, dass die Menschenrechte mehr geachtet werden und dass es mehr Spielraum für politische Beteiligung gibt. Sowohl die Regierung von Alvaro Arzú wie diejenige von Alfonso Portillo haben die Friedensabkommen als Staatsabkommen anerkannt, doch keiner von beiden hat sie als Grundlage für sein Regierungsprogramm genommen. Dies ist, kurz zusammengefasst, der Hintergrund der aktuellen Situation. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass die Mehrheit der Abkommen noch nicht umgesetzt ist. Es gab auch schon während der Regierungszeit Arzú schwierige Momente, aber das Klima, das in den letzten Monaten herrschte, gibt Anlass zur Sorge. Zum einen sind mehrere Korruptionsfälle auf Regierungsebene bekannt geworden und zum andern haben die Menschenrechtsverletzungen drastisch zugenommen. Ein jüngstes Beispiel ist der Überfall auf das Büro von AVANSCO, wenige Tage nachdem die Organisation eine Studie über die FRG-Machtstrukturen auf Gemeindeebene veröffentlicht hatte. Oder die Drohungen gegen Bischof Ramazzini und der Überfall auf sein Büro sowie die Ermordung eines wichtigen Zeugen im Fall der staatlichen Druckerei, in den der Vizepräsident involviert ist. All das hat eine Stimmung von Angst hervorgerufen, Angst davor, in die Vergangenheit zurückzukehren. Die Fälle von Korruption sind zwar unverständlich und nicht zu rechtfertigen, aber Korruptionsfälle gab es auch schon in früheren Regierungen. Doch was wir im Moment erleben, ist schon ein ziemlicher Rückschritt und die Zivilgesellschaft ist sehr beunruhigt und macht sich Gedanken darüber, was für Konsequenzen das haben wird. Es ist schwierig, sich angesichts der Korruption, des Machtapparates des Drogenhandels, in den viele ehemalige Militärs involviert sind, eine Lösung vorzustellen, die in einem institutionellen und demokratischen Rahmen liegt. Niemand möchte sich einen Staatsstreich als Ausweg aus der aktuellen Situation vorstellen, aber irgendwelche Alternativen muss man sich überlegen. Frage: Wer steckt Deiner Meinung nach hinter den Drohungen? O.A.: Ich bin kein politischer Fachmann, um eine tiefgreifende Analyse zu machen, aber die allgemeine Meinung ist, dass hinter diesen Drohungen eine sehr starke Parallelmacht steckt: die Macht der Drogengelder. Hinter dem Drogenhandel stecken häufig Ex-Militärs. Laut Otto Pérez Molina, selber ein Ex-Militär, der diese Institution von innen kennt, sind es Leute wie Ortega Menaldo (siehe ¡Fijáte! 256), Salam Sánchez, (zuständig für Portillos persönliche Sicherheit) und Napoleón Rojas, die diese Parallelstrukturen leiten. Die Frage ist, welches Interesse sie haben, die Regierung zu destabilisieren, auf die sie doch eigentlich einen ziemlichen Einfluss ausüben? Ich glaube, dass sie einfach die Kontrolle über diese Parallelstrukturen verloren haben und die Sache ihnen aus den Händen gleitet. Aber im Grunde genommen sind sie verantwortlich für die Drohungen gegen und Ermordungen von MenschenrechtsaktivistInnen. Frage: Wie war die Stimmung in der Hauptstadt während der letzten Wochen? O.A.: Die Stimmung war von Angst geprägt. Vor allem unter Menschenrechtsorganisationen und sozialen Organisationen spürte ich eine grosse Angst, dass die Vergangenheit sich wiederholt. Frage: Trifft dies nur auf die Organisationen zu, oder ist diese Angst auch unter den 'gewöhnlichen' BürgerInnen zu spüren. O.A.: Die 'gewöhnlichen' BürgerInnen sind vor allem mit ihrem täglichen Überleben beschäftigt. In verschiedenen Umfragen kam eine gewisse Müdigkeit zu Tage, Portillo und Ríos Montt schneiden beim Volk immer schlechter ab. Aber es sind schon vor allem Leute in der Hauptstadt, aus der intellektuellen Elite, die sich ernsthaft Gedanken über die politische Dimension der Krise machen. Damit will ich aber nicht sagen, dass das Volk nicht die Stärke hat, Widerstand zu leisten, es leistet täglich Widerstand, trotzdem sehe ich keine Anzeichen eines organisierten Widerstands. Frage: Als die Existenz von Portillos und Reyes López' Konten in Panama bekannt wurde, hat sich eine Protestbewegung mobilisiert. Wer steckt hinter dieser Bewegung? O.A.: Die Demonstration wurde von der Zivilen Bewegung für Frieden organisiert. Für die Presse sind Alvaro Colom und Otto Pérez Molina die Anführer dieser Bewegung. Alvaro Colom ist der Ex-Kandidat fürs Vizepräsidentenamt der Allianz Neue Nation, und Otto Pérez Molina ist ein Militär, der zur Zeit des Staatsstreichs von Serrano ziemlich erfolgreich die Parallelmacht des Militärs zu neutralisieren vermochte. Ihrem Aufruf haben sich Leute der Allianz gegen Straffreiheit und anderer Organisationen angeschlossen, aber sie wurden in der Presse nicht gross erwähnt. Dies hat den Eindruck hinterlassen, dass die ganze Bewegung eine wahlpolitische Absicht verfolgt was wiederum eine gewisse Diskreditierung und eine Art 'Nicht-ernst-nehmen' der Volksbewegungen und sozialen Organisationen zur Folge hatte. Grundsätzlich finde ich solche Art von Widerstand gut und wichtig für Guatemala, aber ich glaube nicht, dass sich unsere Regierung gross davon beeindrucken lässt. Nach oben |
Frage: Weshalb waren es nicht breitere Bündnisse, wie zum Beispiel die Gruppe Barometer oder das Foro Guatemala, die zu diesen Protesten aufgerufen haben? O.A.: Diese beiden Gruppierungen arbeiten anders: Die Taktik des Foro Guatemala liegt eher in der Analyse und im Dialog. Sie versuchen, auf der Basis der Friedensabkommen umsetzbare Alternativen vorzuschlagen. Die Gruppe Barometer definiert sich selber als eine Art ethisches Gewissen der Nation. Frage: Und weshalb waren es nicht die Volksbewegungen oder die Oppositionsparteien, z.B. die URNG, die zu den Protesten aufriefen? O.A.: Die URNG und die Volksbewegungen haben ihre eigene Basis, die sie ja auch immer wieder mobilisieren können. Dass es jetzt genau dieses Bündnis war, das zur Demo aufgerufen hat, ist wohl eher zufällig und der Aufruf ging ja auch an die Basis der URNG und der Volksbewegungen. Ich selber konnte nicht hingehen, aber ich habe gehört, dass an der ersten Demonstration sehr wenig Leute aus den Volksbewegungen teilgenommen haben, sondern dass es eher Leute aus der Mittelklasse waren. Ganz zuhinterst lief eine Gruppe Indígenas mit. An der zweiten Demo war die Beteiligung insgesamt sehr gering. Ich glaube, man kommt immer mehr zum Schluss, dass Demonstrationen, auch wenn sie von der Presse relativ gut abgedeckt werden, nicht das adäquate Mittel sind, um bei dieser Regierung etwas zu erreichen. Die Regierung kümmert sich überhaupt nicht darum und ist fähig, am nächsten Tag eine viel grössere Demonstration einzuberufen. Es kümmert sie viel mehr, wenn z.B. die Gruppe Barometer versucht, Kontakt zu den internationalen Geldgebern aufzunehmen oder zu Personen innerhalb der Regierung, die nicht zufrieden sind damit, wie die Dinge heute laufen, oder wenn sie im konstitutionellen Rahmen und innerhalb des Kongresses nach alternativen Regierungsformen suchen. Demonstrationen sind in gewissen Momenten gut und notwendig, aber nicht immer. Frage: Wo siehst du den CACIF in diesem Szenarium? O.A.: Der CACIF hat eine enorme Macht und nennt sich selber die einzige Oppositions-'Partei' in Guatemala. Und ich glaube, das stimmt sogar. Der CACIF steht in der Opposition und hat es trotzdem geschafft, die Privilegien der UnternehmerInnen zu schützen. Aktuell geht es beim CACIF vielmehr darum, zu entscheiden, auf welchen Kandidaten er bei den nächsten Wahlen setzen will. Wie es aussieht, sind das im Moment Alvaro Colom und Otto Pérez Molina. Ich habe das Gefühl, es gibt einen neuen Typ von UnternehmerInnen, der weniger 'roh' ist - roh im kapitalistischen Sinne. Das heisst, sie sind bereit, Steuern zu bezahlen, sie sind bereit, sich zu einem Dialog mit der Zivilgesellschaft hinzusetzen. Es gibt auch UnternehmerInnen, die in der Gruppe Barometer sind. Vielleicht bin ich naiv, aber ich habe wirklich den Eindruck, dass es UnternehmerInnen gibt, die ernsthaft Veränderungen anstreben. Insofern bin ich auch überzeugt, dass der CACIF nichts mit den Drohungen gegen MenschenrechtsaktivistInnen zu tun hat. Frage: Glaubst Du nicht, dass es etwas zu gutgläubig ist, so viel Vertrauen in den CACIF zu haben? O.A.: Ich gebe zu, dass das gefährlich werden kann. Aber es ist an der Zeit, dass wir begreifen, dass die Unterzeichnung der Friedensabkommen der erste Schritt einer Annäherung der verschiedenen Sektoren war. Es ist ein Irrtum, sich immer nur mit Gleichgesinnten auszutauschen, das ist eine Art intellektueller Inzest. Wir müssen uns den anderen Sektoren gegenüber öffnen, Brücken bauen zu ihnen! Klar laufen wir damit Gefahr, dass es Leute der Privatwirtschaft gibt, die das ausnutzen werden, aber wir müssen beginnen, mit ihnen zu sprechen in der Hoffnung, etwas an ihrer Einstellung verändern zu können. Vielleicht können sogar wir etwas von den UnternehmerInnen lernen für unsere Arbeit! Dabei darf man aber nie vergessen, woher man kommt, mit wem man verhandelt und wofür man kämpft. Frage: Es gab bzw. gibt Gerüchte über einen möglichen Staatsstreich. Was würde das für Guatemala bedeuten? O.A.: Ich glaube nicht, dass irgend jemand wirklich Interesse an einem Staatsstreich hat, nicht einmal die Militärs sehen darin eine Alternative. Ein Staatsstreich würde von niemanden, auch nicht von den Vereinigten Staaten, unterstützt. Klar denkt man in Momenten der Verzweiflung oder der Frustration daran, aber eine Alternative ist es sicher nicht. Denn was würde geschehen? Wenn Portillo gestürzt würde, übernimmt entweder der Vizepräsident, Reyes López die Macht oder Kongresspräsident Ríos Montt und beide wären noch viel schlimmer als Portillo. Es gibt aber auch AnalytikerInnen, die die Absetzung des Vizepräsidenten als eine mögliche Lösung sehen. Diese Leute gehen davon aus, das Portillo an sich gar nicht so schlecht wäre, dass ihm aber die FRG, und speziell der Vizepräsident, keine Chance lässt zum Regieren. Ich weiss es nicht.... manchmal denke ich, irgend ein Journalist oder ein auch nur ein bisschen politisch denkender Mensch würde es besser machen als diejenigen, die uns heute regieren. Aber ob wir wollen oder nicht, diese Regierung wurde legal gewählt. Die Bevölkerung hat an sie geglaubt und es geht jetzt nicht darum, sie zu diskreditieren, das machen sie selber schon genug. Es geht wirklich darum, im legalen und demokratischen Rahmen alternative Lösungen zu finden. Frage: Was wird in den nächsten Monaten geschehen? O.A.: Ich habe immer noch Hoffnung. Ich glaube daran, dass es Alternativen gibt und es ist die Herausforderung der Zivilgesellschaft, Alternativen zu erarbeiten. Es gibt Leute, die sich Sorgen machen, die Vorschläge erarbeiten. Wir müssen uns mit der internationalen Gemeinschaft zusammenschliessen, um die Regierung unter Druck zu setzen, wir müssen den Dialog suchen. Das ist nicht einfach und ich habe immer wieder auch persönliche Widerstände, mich mit gewissen Leuten der Regierung an einen Tisch zu setzen. Aber wir müssen etwas machen und unsere Hoffnung aufrechterhalten. Die Leute, die Hunger haben, die Leute, die von der Nicht-Umsetzung der Friedensabkommen betroffen sind, haben die Hoffnung, dass sich etwas verändern wird. Doch wir können nicht nur hoffen, wir müssen auch dafür kämpfen, dass sich etwas verändert. |
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