Der Politkrimi
Fijáte 305 vom 10. März 2004, Artikel 4, Seite 4
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Der Politkrimi
Guatemala, 4. März. Mangelhafte Amtsführung und Ignoranz gegenüber Bergers Ultimatum von 24 Stunden für eine erklärende Stellungnahme haben Generalstaatsanwalt Carlos David de León Argueta nun endgültig den Job gekostet. Vorgeworfen wird ihm nicht nur die Tatsache, dass von den im Laufe seiner Amtszeit eingereichten 220´000 Anzeigen lediglich 0,8% zu einem Urteil und 5% zu Ersatzmassnahmen geführt haben, wie ein Bericht des Instituts vergleichender Studien der Politikwissenschaften belegt. Die Myrna Mack-Stiftung hält de León zudem mangelnde Modernisierungsbestrebungen, die Nicht-Institutionalisierung des Weiterbildungsgesetztes und somit mangelnde fachliche Qualifikation des Personals und fehlende Autonomie der Institution vor. Erinnert sei an die Kündigungen, zu denen sich die Sonderstaatsanwältinnen Karen Fischer und Tatiana Morales im Zusammenhang mit der als Geldwäschefall berüchtigten Conexión Panama gezwungen sahen. Nach der Aufsehen erregenden Flucht von Ex-Präsident Alfonso Portillo nach Mexiko (siehe ¡Fijáte! 304) wurde es um die Integrität de Leóns immer düsterer. Als der Stein, der die Diskussion um diesen ins Rollen brachte, erscheint der noch ungeklärte Vorwurf von Rafael Castillo Gándara, Ex-Ehemann von de Leóns ehemaliger Sprecherin Ana Lucía Alejos, der Generalstaatsanwalt sei samt Alejos an einem Attentat gegen ihn, Castillo, und der Ausser-Landes-Schaffung der gemeinsamen Tochter von Alejos und Castillo beteiligt gewesen. Schliesslich forderte Präsident Oscar Berger den nun ehemaligen Generalstaatsanwalt auf, innerhalb 24 Stunden sich zu folgenden, regierungsrelevanten Fällen zu äussern: Der Passivität der Staatsanwaltschaft (MP) gegenüber der illegalen Präsidentschaftskandidatur von Efraín Ríos Montt und den von SympathisantInnen der Republikanischen Partei Guatemalas (FRG) angeführten Unruhen im Juni 2003 ("Schwarzen Donnerstag"), den schleppenden Ermittlungen des MPs im Fall des Hausüberfalls von Journalist José Rubén Zamora sowie den Inhaftierungsumständen des ehemaligen Geschäftsführers des Guatemaltekischen Sozialversicherungsinstituts (IGGS), César Augusto Sandoval Morales. Da de León der Aufforderung zur Stellungnahme nicht nachkam, machte Berger kurzen Prozess und ersetzte den FRG-nahen Generalstaatsanwalt wenige Zeit nach Ablauf des Ultimatums durch den Rechtsanwalt und Notar Juan Luis Florido. Von der Zivilgesellschaft brachte Berger die Absetzung de Leóns Lob, die Ernennung Floridos jedoch Tadel ein. Denn dessen Hintergrund liefert ebenfalls ausreichend Grund zur Kritik: Florido ist gewählter Kongressabgeordneter und Genosse des Movimiento Reformador, einer der drei Koalitionsparteien der Regierungspartei Grosse Nationale Allianz (GANA) gewesen, bevor er kurz vor seiner Ernennung zum Generalstaatsanwalt Kongresssitz und Parteimitgliedschaft aufkündigte. Die Regierungsaffinität und die ihm vorgeworfene mangelnde Erfahrung sind nicht die vertrauenswürdigsten Umstände, mit denen Florido sein neues Amt antritt. Ausserdem ernannte ihn Berger eigenmächtig und nicht, wie es die Verfassung festschreibt, durch ein Auswahlverfahren, in dem auch die Vorschläge der Zivilgesellschaft berücksichtigt würden. Unterdessen wurden denn auch bereits zwei Verfassungsklagen gegen das Ernennungsverfahren eingereicht. ,,Mit der Ernennung von Florido ist die strafrechtliche Verfolgung von korrupten FRG-Funktionären garantiert, doch auch jegliche Hoffnung darauf begraben, dass die Machenschaften von Gruppen und Personen der GANA- Regierung kontrolliert und im Zweifelsfall untersucht werden", schrieb die Kolumnistin Marielos Monzón in der Tageszeitung Prensa Libre. Derweil wurde gegen Carlos de León und Ana Lucía Alejos wegen der Anklage auf versuchte aussergerichtliche Hinrichtung Ausreiseverbot verhängt. Als Nächsten traf es Marco Tulio Abadío Molina, dem obersten Steuerkommissar (SAT). Ihm wurde nachgewiesen, dass er im letzten Jahr mit Hilfe von Familienangehörigen und Bekannten mindestens US-$ 5 Mio. (zum Teil spricht man von der dreifachen Summe) der Steuergelder auf private Konten schaffte. Doch Abadío Molina war nicht nur sich selber gegenüber grosszügig: Am 23. Februar flog auf, dass er dem ehemaligen UNE-Präsidentschaftskandidaten Álvaro Colóm rund US-$ 225'000 "schenkte", um dessen Wahlkampagne zu finanzieren. Colóm stritt dies zuerst ab,verlegte sich zwischendurch auf die Version, Dubón habe sich als erfolgreicher und vertrauensvoller Geschäftsmann präsentiert - wobei dessen öffentliches Amt genuin jegliche anderweitige berufliche Beschäftigung untersagt - unterdessen erklärte er sich aber bereit, die Nationale Einheit der Hoffnung (UNE) werde das Geld zurückzahlen, sollte sich herausstellen, dass es aus illegalen Quellen stamme. Allein dies stellt Colóms politische Unbescholtenheit höcht in Frage. Abadío Molina hatte wohl eine Vorahnung, dass seine Geschäfte bald auffliegen würden und verliess das Land bereits am 9. Februar Richtung Miami. Das Gericht stellte einen internationalen Haftbefehl gegen ihn aus und es gelang, seine Bankkonten zu sperren, bevor er die Millionen abheben oder verschieben konnte. Nach oben |
Doch nicht nur von der Steuerbehörde erhielt die UNE Unterstützung, um ihre Wahlpropaganda zu finanzieren. Auch die staatliche Rechnungsprüfungsstelle (CGCN) liess etwas springen. Via einer Nichtregierungsorganisation namens "Freunde in Aktion" überwies der Rechnungsprüfer Oscar Dubón Palma insgesamt US$ 600'000, teilte diese jedoch unter der UNE und der PAN auf. Dubón Palma, gegen den aufgrund spontaner Flucht ein internationaler Haftbefehl ausgestellt war, wurde am 3. März an der Grenze zwischen Nicaragua und Costa Rica verhaftet und nach Guatemala überführt. Er wird nicht nur wegen des Wahlgelderskandals vor Gericht gestellt, sondern auch wegen seiner Beteiligung am Millionenbetrug im Sozialversicherungsinstitut IGSS und wegen Hinterziehung von Geldern der Telefongesellschaft GUATEL. Gegen insgesamt sieben UNE- und PAN-Leute wurden ebenfalls Haftbefehle ausgestellt, gegen Ex-Präsidentschaftskandidat Colom wurde zumindest ein Ausreiseverbot erlassen. Einordnungsversuch Einerseits muss man es Präsident Berger zu Gute halten, dass er der Korruption verdächtigte Leute der vergangenen FRG-Regierung zur Rechenschaft zieht. Gleichzeitig muss diese Entwicklung auch skeptisch betrachtet werden, scheint es doch ganz so, dass er die Entlassenen einfach durch ihm nahe stehende und der Partei gegenüber loyale Personen ersetzt. Dazu schreit er mit lauter Stimme "Skandal, Skandal!" und unternimmt derweil nichts, um die sozialen Probleme des Landes anzugehen. Auffallend ist auch die Rolle der Presse in diesem Spiel, veröffentlicht sie doch seit Wochen auf ihren Titelseiten fast täglich Exklusivstories über neue Korruptionsgeschichten, die manchmal die Entscheide des Präsidenten kommentieren, manchmal diese erst erzwingen. Zur Rolle der Presse ein Kommentar von Tania Palencia Prado in Siglo XXI: "Herzlichen Glückwunsch an die Presse für ihre Unterstützung beim Aufdecken der FRGKorruption! Doch es grenzt an Manipulation, wenn nicht gleichzeitig hinterfragt wird, welches Vorgehen Berger seinerseits beim Aussuchen seiner Regierungsleute wählt. Es wird mit sehr geringem medialen Interesse verfolgt, was für eine Wirtschaftspolitik die Regierung betreibt, kein Wort darüber, dass diese in erster Linie einem rein finanziellen Interesse entspricht. Berger verspricht Frieden, doch er weigerte sich, ein Gesetz vor den Kongress zu bringen, das die Friedensabkommen in Staatsabkommen umwandeln würde. Seine neu eingesetzten Kommissare haben selten gekannte Macht für gewöhnliche Staatsangestellte und schaffen neue Hierarchien, die stark genug sind, den Staat und seine soziale Funktion zu schwächen. Derweil werden Bestrebungen unterstützt, den öffentlichen Dienst zu privatisieren: Licht, Telefon und Gesundheit, drei Bereiche in denen "Modernisierung" bedeutet, den Geldbeutel der Bevölkerung zu schröpfen. Berger hat einen philanthropischen Kommissar für den "Kampf gegen den Hunger" ernannt, doch die Kaffeekrise ist offensichtlich nicht Problem genug, um ihn zum Handeln zu bewegen. Dies alles stinkt nach einer illustren Elite, die einen dekadenten demokratischen Diskurs führt. Für wen regiert Berger eigentlich?" Für den Analysten Héctor Rosado dagegen ist das, was im Moment stattfindet, nichts anderes als ein legaler und legitimer Machtwechsel, der einfach etwas brüsk vonstatten gehe. "Die FRG muss mit noch Schlimmerem rechnen. Portillo und Co. sind sich nicht sicher, ob sie vor ihrem Weggang aus der Regierung alle Spuren verwischt und alle ZeugInnen zum Schweigen gebracht haben. Was aber passiert, wenn die Wechsel in der Staatsanwaltschaft, in der Steuerbehörde und bei der Rechnungssprüfungstelle Wirkung zeigen und das ganze Ausmass der Korruption während der FRG-Regierung an den Tag kommt? Die Flucht von Portillo ist nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommt. Das Schlimmste was es gibt, ist eine Mafia die ihre Immunität und die Institutionalität verliert, welche den Verantwortlichen Schutz vor dem Gesetz bietet. (...) Die einen werden jetzt auf "lieb Kind" machen und versuchen, in ein Zeugenschutzprogramm zu kommen. Die anderen werden wie eine verletzte Bestie reagieren. Es erstaunt mich z.B. nicht, dass die Tankwagen, die während des Streiks der LKW-Fahrer letzte Woche die Haupteinfahrtsstrassen der Hauptstadt blokkierten, dem ehemaligen Vizepräsidenten gehören. Jetzt wo sie die Sicherheit nicht mehr haben, die ihnen ein Verbleib von Marco Tulio Abadío, Carlos de León und andere boten, bleibt ihnen nur noch, Stunk zu machen. Und wenn es so weitergeht, wird die FRG noch zu ganz anderen Mitteln greifen. Wie gesagt, dies ist erst der Beginn." In dieses Bild passen auch die jüngsten Gerüchte darüber, dass die Informationen über die Geldverschiebung der Steuerbehörde an die UNE von FRG-Leuten weiter gegeben wurden. Mit dem Skandal um die UNE wird das in letzter Zeit allseits gelobte kooperative Verhalten von Álvaro Colom, wie auch die Partei an sich und deren Position im Kongress geschwächt und die FRG kann sich als DIE oppositionelle Partei in Szene setzen. Wobei hier die Rechnung wohl nicht ganz aufgeht, haben doch am 3. März sieben FRG-Kongressabgeordnete die Partei verlassen und sich unabhängig erklärt, womit es insgesamt seit Januar bereits zehn sind, die der ehemaligen Regierungspartei den Rükken gekehrt haben. Zwar ist sie zahlenmässig immer noch die zweitstärkste Partei im Kongress, hat jedoch mit 33 nur noch fünf Sitze mehr als die UNE, die mittlerweile nur noch 28 von vormals 32 Kongresssitze innehat. |
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