"Was Rigoberta geschehen ist, ist ein Spiegel unserer täglichen Realität"
Fijáte 298 vom 3. Dez. 2003, Artikel 1, Seite 1
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"Was Rigoberta geschehen ist, ist ein Spiegel unserer täglichen Realität"
Anlässlich des 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen veröffentlichen wir etwas verspätet zwar das folgende Interview mit Cecilia López Coronado, Koordinatorin der Indígena-Frauenorganisation ,,Nan Ixi'm" ,,Madre Maíz" ,,Mutter Mais", in San Marcos, das wir Anfang November mit ihr geführt haben. Frage: Wer ist und was macht die Organisation ,,Nan Ixi'm"? Cecilia López Coronado: Unsere Organisation ist ganz jung. Wir haben erst seit Juni dieses Jahres ein eigenes Büro, in dem wir zu zweit arbeiten. Ich selber vertrete seit zwei Jahren die Mam-Frauen auf nationaler Ebene im Vorstand der Defensoría de la Mujer Indígena. Während dieser Zeit erhielten wir von der Defensoría sporadisch Geld, um in San Marcos mit den Frauen Kurse durchzuführen. Dabei kam der Wunsch der Frauen hier nach einer konstanteren, kontinuierlichen Arbeit auf. Im Dezember letzten Jahres haben wir uns formal konstituiert und unser eigenes kleines Projekt formuliert, das im Moment von einer norwegischen Organisation finanziert wird. Das Ziel unserer Arbeit ist die Förderung der politischen Einflussnahme der Maya-Frauen auf Departementsebene. Frage: Wie machen Sie das? C.L.C.: Es geht darum, die Maya-Frauen darin zu bestärken, sich auf lokal-politischer Ebene einzubringen. Wir brauchen bewusst den Begriff Maya-Frauen und nicht Mam-Frauen, obwohl diese im Departement San Marcos die Mehrheit bilden. Aber es gibt auch die Sipacapa-Frauen, die eine eigene Gruppe mit eigener Sprache sind. Wir wollen sie nicht ausschliessen, indem wir uns einfach Mam-Frauen nennen. Wir arbeiten in den Gemeinden Comitancillo, Sipacapa, San José Ojetenan und Sibinal. Einmal im Monat gehen wir in diese Gemeinden und machen mit den Frauen Kurse und Diskussionsrunden. Alle unsere Kurse kreisen um das Thema ,,Politische Einflussnahme der Maya-Frauen auf lokaler Ebene". Wir haben mit dem Thema Rassismus in Guatemala begonnen. Dann haben wir über das Selbstbewusstsein der Maya-Frauen gesprochen, das in vielen Fällen sehr schwach ist, aufgrund des täglichen Rassismus, dem die Frauen ausgesetzt sind. Weiter haben wir das Gesetz über die Entwicklungsräte behandelt, das Gemeindegesetz und das Dezentralisierungsgesetz. Das sind drei Gesetze, die kürzlich modifiziert wurden und die sehr wichtig sind auf Gemeindeebene. Im Gesetz über die Entwicklungsräte ist explizit die Teilnahme der Frauen bei allen Entscheidungen auf Gemeindeebene festgeschrieben. Deshalb ist es wichtig, dass die Frauen nicht nur diese Gesetze kennen sondern auch in der Lage sind, von ihnen Gebrauch zu machen. Jetzt vor den Wahlen haben wir auch über die teilnehmenden Parteien und die Möglichkeiten der BürgerInnenkomitees gesprochen. Frage: Worin sehen Sie das Haupthindernis für MayaFrauen, auf politischer Ebene Einfluss zu nehmen? C.L.C.: Der guatemaltekische Staat und die guatemaltekische Gesellschaft waren und sind rassistisch. Die Fähigkeiten der Indígenas werden nicht anerkannt. Indígenas waren immer nur Dienstpersonal und billige Arbeitskräfte. Die Situation der Maya-Frauen auf dem Arbeitsmarkt oder an den Universitäten ist noch viel schwieriger. Der Staat sieht in den Mayas ein Hindernis für den Fortschritt. Unsere Sprachen werden als ein Hindernis für eine einwandfreie Kommunikation betrachtet. Unsere Kleidung soll ein Hindernis für die intellektuelle Entwicklung sein. Bis vor kurzem war es Maya-Frauen verboten, in den staatlichen Schulen die Tracht zu tragen. Frage: Sie sprechen jetzt vom Staat. Aber den täglichen Rassismus spüren die Maya-Frauen in und von der Gesellschaft, von ihren Mitmenschen. Deren Einstellung gilt es doch in erster Linie zu verändern! C.L.C.: Ja, aber es ist der Staat, der das alles gesetzlich legitimiert. Die Gesellschaft funktioniert nach einem Muster, das vom Staat festgelegt wird. In den Gesetzen werden die Männer gegenüber den Frauen bevorzugt. Auch wenn wir die Beteiligung an den Wahlen anschauen: Es gibt fast ausschliesslich Männer als Kandidaten. Es ist nicht einfach nur eine Laune der Männer, dass sie keine Frauen auf die Listen setzen. Diese Diskriminierung ist tief verwurzelt in unserer Gesellschaft und in unseren Gesetzen. Frage: Können Sie in den Gemeinden, wo sie mit den Frauengruppen arbeiten, diesbezüglich schon Veränderungen feststellen? C.L.C.: Die Frauen erzählen uns, dass sie sich als wertvolle und geschätzte Menschen fühlen. Sie fordern das Recht ein, sich versammeln zu dürfen, sich austauschen zu können, was bisher nur die Männer gemacht ha- ben. Sie beginnen, ihre Kinder, Mädchen und Knaben gleichberechtigt zu erziehen. Sie verlangen von den Jungen, dass sie auch bei der Hausarbeit helfen. Frage: Ich höre immer wieder vor allem von Männern dass in der MayaKosmovision Männer und Frauen komplementär seien, zwei Teile eines Ganzen. Damit wird das Argument begründet, dass es die Einheit und die Gesellschaft spaltet, wenn man nur mit Frauen arbeitet. Und deswegen würde jegliche Frauen-Förderungsarbeit abgelehnt. Was meinen Sie zu diesem Argument? C.L.C.: Die Männer haben nicht ganz unrecht mit diesem Argument. Unsere Organisation nennt sich Madre Maiz, bezieht sich also ganz klar auf den weiblichen Teil. Die Gruppe in Comitancillo hingegen nennt sich Zwillingsmaiskolben. Sie bezieht also diese Komplementarität von Mann und Frau mit ein. In dieser Gemeinde sind die Kurse zwar direkt an die Frauen gerichtet, aber es kommen auch Männer. Sie selber haben ihr Interesse an den Themen ausgedrückt, die wir behandeln. Sie wollen lernen, und sie wollen verstehen lernen, wie sie selber sagen. Wir befinden uns mit unserer Arbeit in einer Anfangsphase, und diese richtet sich ausdrücklich an Frauen. Später haben wir aber generell vor, auch mit den Männern zu arbeiten. Die Männer müssen wieder lernen, die Meinung der Frauen zu achten und Entscheidungen in Absprache mit den Frauen zu treffen. In Gemeinden, wo die Mayakultur respektiert wird, sagen Männer und Frauen, bevor sie eine Entscheidung treffen: Ich muss zuerst Zuhause nachfragen. Das ist Gleichberechtigung. Ein Mann darf eine Entscheidung nicht allein treffen, sondern er muss seine Frau konsultieren und umgekehrt auch. Leider ist das aber nicht mehr immer so. Deshalb haben wir uns entschieden, vorläufig mit den Frauen zu arbeiten. Wir wollen in dieser ersten Phase den Freiraum schaffen, wo Frauen lernen und üben können, ihre Meinung zu sagen. Frage: Bezeichnen Sie sich bzw. ihre Arbeit als feministisch? C.L.C.: Ich würde mich selber nicht als Feministin bezeichnen. In Guatemala überwiegt immer noch das Verständnis, dass der Feminismus die Männer absolut ablehnt. Das entspricht nicht unserer Kosmovision in der, wie gesagt, Frauen und Männer einander ergänzen. Wir schauen nicht so sehr darauf, ob jemand eine Frau oder ein Mann ist, sondern es geht darum, wie diese Person ist, wie sie sich anderen gegenüber und in der Gemeinschaft verhält. Frage: Arbeiten Sie nur in Gruppen oder betreuen Sie auch Einzelfälle? C.L.C.: Wir betreuen Einzelfälle, aber es ist nicht unsere Priorität. Wenn eine Frau hierherkommt, um uns ihre Probleme zu erzählen, helfen wir ihr natürlich. Meistens geht es dann darum, sie zur Staatsanwaltschaft oder zum Friedensrichter zu begleiten. In diesen Institutionen arbeiten leider Leute, die nur Spanisch sprechen, was für viele Frauen eine Barriere ist. Solange es kein Gesetz gibt, das verlangt, dass die Angestellten in diesen Institutionen zweisprachig sind, betätigen wir uns halt als Übersetzerinnen. Frage: Wird in den Gemeinden, in denen Sie arbeiten, noch die Maya-Gesetzgebung angewendet? C.L.C.: In einigen Gemeinden ja. Es wird versucht, Konflikte auf der Dialogebene zu klären. Und erst wenn auf diesem Weg keine Lösung gefunden wird, geht man dann zu den staatlichen Instanzen. Frage: Glauben Sie, dass in der Maya-Gesetzgebung die Frauen mehr respektiert werden als vor staatlichen Gerichten? C.L.C.: Ja. Und zwar einerseits, weil die Frau sich in ihrer Sprache ausdrükken kann. Zum anderen ist sie in einer ihr bekannten Umgebung und kennt die Leute, mit denen sie ihr Problem bespricht. In Comitancillo ist es hingegen schon mehrmals vorgekommen, dass eine Frau, die von ihrem betrunkenen Ehemann geschlagen wurde, von der Polizei festgenommen wurde, als sie eine Anzeige erstatten wollte. Der Mann ist ihr zuvorgekommen und hat die Polizisten bestochen. Frage: Wie würde eine solche Situation nach Maya-Gesetzgebung geregelt? C.L.C.: Es gibt ein Treffen mit den Eltern, mit den PatInnen und den Ältesten der Gemeinde, und gemeinsam wird nach einer Lösung gesucht. Der Mann muss sich bei der Frau entschuldigen, muss, soweit das geht, den Schaden wieder gut machen und muss vor versammelter Gemeinschaft versprechen, die Frau nicht mehr zu schlagen. Wenn er sein Versprechen nicht einhält, wird er von der Gemeinschaft sanktioniert. Frage: Ist es nicht sehr schwierig Nach oben |
für eine Frau, die von ihrem Mann geschlagen wird oder von einem Verwandten oder Nachbarn vergewaltigt wurde, mit ihren Eltern und der ganzen Gemeinde darüber zu sprechen? Ist sie damit nicht für den Rest ihres Lebens stigmatisiert? C.L.C.: In einer Gemeinde, in der die Maya-Gesetzgebung noch wirklich funktioniert und angewendet wird, ist es für die Frau einfacher, darüber zu sprechen, als wenn sie ihre Geschichte vor einem Gericht erzählen muss, wo sie niemanden kennt. Die Gemeinde hingegen bringt Verständnis auf. Und wenn der Täter bekannt ist als Trinker oder Schläger, hat er keine Chance, ungeschoren davonzukommen. Zum anderen ist es auch eine Geldfrage. Wenn eine Frau Geld hat, schafft sie es vielleicht, ein staatliches Gericht dazu zu bringen, ihren Peiniger zu verurteilen. Ist sie aber eine Indígenafrau ohne Geld... Vergessen Sie's! Es ist aber schon so, dass die MayaGesetzgebung immer weniger angewendet wird. Diese Tradition geht mehr und mehr verloren. Diesbezüglich setzen wir grosse Hoffnungen in die Friedensabkommen, denn dort werden unsere Rechte und unsere Traditionen geschützt. Hier in San Marcos gab es kürzlich ein Treffen der Indígenaorganisationen mit den Justizverantwortlichen, und es wird eine Zusammenarbeit mit den Friedensrichtern in den Gemeinden angestrebt, damit diese die Maya-Gesetzgebung kennen und respektieren lernen. Die anwesenden Richter waren sehr interessiert an einem Austausch. Frage: Was sind Ihre Forderungen an die neue Regierung in Bezug auf die Rechte der Maya-Frauen? C.L.C.: Unabhängig davon, wer die Wahlen gewinnt denn letztendlich sind alle Parteien gleich fordern wir die Umsetzung der Friedensabkommen. Weiter fordern wir eine Verfassungsänderung, weil dort die Wurzeln aller Diskriminierung vergraben sind. Die meisten unserer Gesetze wurden im Ausland geschrieben und von Guatemala übernommen. Sie haben nichts mit unserer Realität zu tun. Aber unabhängig davon, wer Präsident wird, werden wir unsere Arbeit weiterführen, werden unsere Analysen und Schlüsse ziehen und unsere Aktivitäten machen. Frage: Wie beurteilen sie den verbalen und tätlichen Angriff auf Rigoberta Menchú im Verfassungsgericht seitens Mitglieder der FRG? C.L.C.: Was Rigoberta dort erlebt hat, ist das tägliche Brot der Maya-Frauen in Guatemala. Wir erleben das überall: Auf dem Markt sagt man Maria zu uns, im Bus schickt man uns in die hinterste Reihe. Nicht nur in den Schulen, in den Banken und in allen öffentlichen Institutionen, sondern auch in den Kirchen und evangelikalen Sekten werden die Maya-Frauen diskriminiert. Frage: Wie gehen Sie selber mit diesem Rassismus um? C.L.C.: Wenn ich die Zeit und den Nerv dazu habe, kläre ich die Leute über ein paar Begriffe auf. Manchmal habe ich das Gefühl, die Leute sind sich selber nicht bewusst, was sie sagen. Und dann mache ich mir gerne die Mühe, ih- nen zu erklären, was Sache ist. Wenn ich aber nicht mag, lass ich es einfach über mich ergehen. Aber ich lasse mich von solchen Sprüchen nicht fertig machen, denn ich weiss schliesslich, wer ich bin. Vielen Dank für das Gespräch! |
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