Wo waren die Augen?
Fijáte 297 vom 18. Nov. 2003, Artikel 5, Seite 6
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Wo waren die Augen?
Guatemala, 11. Nov. "Die Welt hat ihre Augen auf Guatemala gerichtet" hiess es im Vorfeld der Wahlen vom 9. November. Und tatsächlich haben über 4´500 nationale und internationale WahlbeobachterInnen den Verlauf des Wahlprozesses begleitet. Dazu kamen rund 5´000 Personen, die vom Menschenrechtsprokurat (PDH) gestellt wurden und über Menschenrechtsverletzungen, die im Rahmen der Wahlen begangen wurden, Bericht erstatten sollten. Die Evaluationen der verschiedenen Institutionen und Organisationen, die WahlbeobachterInnen stellten, fielen durchweg positiv aus. "Sehr positiv, abgesehen von vereinzelten Zwischenfällen" hiess es seitens der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), eine "pluralistische Wahl" nannte es Alvaro Pop von der Indigenen Wahlbeobachtungsmission, und "relativ normal" nannte es Jannis Sakellariou von der Europäischen Union. Und Tom Koenigs, Chef von MINUGUA, Mission der Vereinten Nationen für Guatemala: "Es ist erfreulich, dass so viele Leute wählen gegangen sind, und dass sich die schlimmsten Befürchtungen nicht bewahrheitet haben". Die Evaluation der Arbeit der WahlbeobachterInnen durch die guatemaltekische Bevölkerung fiel indes eher negativ aus. Wer immer von seinem oder ihrem "Wahlabenteuer" erzählt, auf die Frage hin, wie sich die WahlbeobachterInnen verhalten hätten, beklagen sich die meisten Leute. Fast in jedem Wahllokal gab es in ihrer grossen Mehrheit sehr junge WahlbeobachterInnen des Mirador Electoral, dem Projekt der Menschenrechtsorganisation CALDH. Viele Wählende störten sich daran, dass diese BeobachterInnen den ganzen Tag neben den Urnen gesessen hätten, die ohnehin schon von den fiscales der verschiedenen Parteien überwacht wurden, anstatt dass sie den Leuten behilflich gewesen wären, ihre Urne zu finden oder versucht hätten, etwas Ordnung in die z.T. chaotischen Zustände in den Wahllokalen zu bringen. Auch hätten sich die miradores viel zu wenig eingemischt, wenn irgendwelche Unregelmässigkeiten auftraten. Man habe sie fast dazu überreden müssen, eine Anzeige aufzunehmen. Ebenfalls kritisiert wurde die Abwesenheit internationaler WahlbeobachterInnen an den Orten, wo aggressive bis gewalttätige Stimmung herrschte. Und die grosse Frage ist, wo die WahlbeobachterInnen an den Tagen nach den Wahlen waren, als es in zwanzig Gemeinden zu gewalttätigen Ausschreitungen kam, sei es wegen der Langsamkeit der Wahlbehörde bei der Stimmenauszählung oder weil die Leute überzeugt sind, dass es in ihren Dörfern Wahlbetrug gab. Das Menschenrechtsprokurat erhielt insgesamt 238 Anzeigen, CALDH vermeldete in ihrem Bericht 214 Anzeigen. Im Folgenden eine Auswahl von gemeldeten "Zwischenfällen": In El Quetzal, (San Marcos) und Cuyotenango (Suchitepéquez) verbrannte die Bevölkerung die Urnen mit den Wahlzetteln, als Folge von Streitereien unter verschiedenen Bürgermeisterkandidaten bzw. Nach oben |
weil sie mit dem Verhalten der Wahlbehörde, die um 16 Uhr die Urnen schliessen wollten, nicht einverstanden waren. In San Antonio Suchitepéquez wurde ein Lastwagen voll Wahlzettel gefunden, die bereits ein Kreuz auf dem Symbol der FRG trugen. In El Rodeo (San Marcos) kam es zu gewalttätigen Zwischenfällen, weil entgegen der Erwartung aller - Parteien und Bevölkerung - die FRG gewann. Die Polizei schritt mit Spezialkräften ein, die kurioserweise bereits um 11 Uhr Stellung bezogen hatten, obwohl der Tumult erst um 2 Uhr stattfand. Das Wahlresultat von El Rodeo wird von den verschiedenen Parteien angezweifelt und eine Wiederholung der Wahlen verlangt. Auch in Camotán (Chiquimula) und La Gomera (Escuintla) schritt die Polizei mit Tränengas und Spezialtruppen ein. Die wohl grösste Unregelmässigkeit war, dass überall im ganzen Land tausende und abertausende von Personen gar nicht wählen konnten, weil, obwohl sie einen gültigen Identitätsausweis und eine Wahlnummer hatten, ihr Name nicht im Wahlregister eingetragen war. Das Suchen nach den Daten dieser Leute verzögerte das Wahlprozedere und hatte Wartezeiten bis zu sieben Stunden zur Folge. |
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