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"Tagebuch" einer Wahlbeobachterin

Fijáte 297 vom 18. Nov. 2003, Artikel 4, Seite 3

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"Tagebuch" einer Wahlbeobachterin

der ihr erlaubt, als Vertreterin der URNG überall hineinzukommen, verloren zu haben. Wir fahren beim Obersten Wahlgericht vorbei. Dort wird uns mitgeteilt, dass wir dieses Problem beim Personenregister in der Innenstadt lösen müssten. Hier steht ebenfalls eine lange Schlange von Leuten, die uns erzählen, dass sie stundenlang in ihrem vermeintlichen Wahllokal anstanden, um dann zu erfahren, dass sie dort nicht im Wahlregister aufgeführt sind. Hier beim Personenregister wollen sie nun herausfinden, wo sie wählen können. Ich nutze meinen Status als Wahlbeobachterin und schleuse Mercedes an den vielen Leuten vorbei. Während Mercedes ihre Angelegenheit regelt, komme ich mit den Frauen ins Gespräch, die hier Auskunft geben und die sich trotz Stress die Mühe machen, mich zu begrüssen und mir zu danken, dass ich als Wahlbeobachterin unterwegs bin. 16.00 Uhr: Noch während wir im Personenregisteramt sind, bekommt Mercedes einen Anruf, dass eines der Wahllokale schliessen will, obwohl noch längst nicht alle Leute gewählt haben und es noch nicht 18.00 Uhr ist. Wir fahren dorthin und merken, dass es vor allem ein Mann ist, der eine aggressive Stimmung im Wahllokal verbreitet und versucht, andere zu einem Aufruhr anzustiften. Sowie er unsere Anwesenheit bemerkt, zieht er sich zurück. Auch hier werden wir Zeuginnen davon, dass viele Leute nicht im Wahlregister eingetragen sind und wieder weggeschickt werden. Ein alter Mann ist völlig verzweifelt: Dies sei bereits der dritte Ort, wohin er geschickt würde, und auch hier weise man ihn zurück. 17.30 Uhr: In einer halben Stunde werden die Wahllokale geschlossen und das Auszählen der Stimmen wird beginnen. Mercedes bittet mich, nach San Antonio zu fahren und bei der Stimmenauszählung der "problematischen" Urne dabeizusein. Während sie beim TSE das Wahlergebnis schriftlich anfechtet, muss der URNG-Stimmenzähler dies vor Ort tun. Die Schlange vor dem Wahllokal ist noch länger als am Mittag, unterdessen wird es dunkel und kalt. Der Eisverkäufer vom Mittag wird von einer Frau abgelöst, die vor dem Wahllokal warmen Kaffee und Brötchen verkauft. Die Leute verlieren langsam die Geduld. Im ersten Moment richten sie ihre Aggression gegen mich. Sie bitten mich, diesen Vorfall publik zu machen. Ich treffe Leute, die seit sieben Stunden anstehen und wohl noch weitere zwei warten müssen, bis sie an der Reihe sind. Zwei Vertreter der Partei Unionista sind ebenfalls vor Ort. Ich kenne sie vom Morgen, wo sie gegen die UNE und ihre Bustransporte protestiert haben. Sie sind sehr "besorgt" darüber, dass die Leute in der Dunkelheit Schlange stehen müssen und schlagen vor, einen Generator zu organisieren. Ich weise sie darauf hin, dass das nicht ihre Aufgabe sei, sondern diejenige des TSE und dass ich, falls sie hier die grossen Helden spielen würden, eine Anzeige wegen Propaganda im Wahllokal machen werde. Sie sind einsichtig und verziehen sich. Beim Herumstehen schnappe ich verschiedene Geschichten über Orte auf, in denen es zu Krawallen und dem Verbrennen der Urnen und Wahlzettel gekommen sein soll. 19.30 Uhr: Die erste Urne im Wahllokal San Antonio wird geschlossen und die Auszählung der Stimmen beginnt. Ich will unbedingt bei diesem feierlichen Moment dabei sein und werde von den anwesenden fiscales herzlich dazu eingeladen. Zuerst werden die Wahlzettel, die nicht gebraucht wurden, gestempelt. Dieses Prozedere dauert eine Stunde, während der ich merke, dass ich langsam müde werde. Danach beginnt das Auszählen der Stimmen für die Präsidentschaft. Jeder einzelne Stimmzettel wird aus dem Plastiksack gezogen, aufgefaltet, den anwesenden StimmenzählerInnen gezeigt und dann sortiert. Die Stapel von UNE und GANA wachsen etwa gleichmässig, es dauert lange, bis die erste Stimme für die URNG kommt. Danach kommt die Auszählung der Stimmen für das Bürgermeisteramt. Das Prozedere wiederholt sich, nur dass diesmal der Stapel der PAN rasant wächst. Es dauert ewig, die Leute, die hier mit einer wahnsinnigen Geduld und Ehrfurcht die Stimmen zählen, sind unterdessen seit 16 Stunden an der Arbeit. Meine Geduld hingegen geht langsam zu Ende und ich rufe Maria an, sie solle mich bitte hier rausholen. Eigentlich ist es nämlich untersagt, den Raum während der Stimmenzählung zu verlassen, vor allem, wenn sich draussen Leute aufhalten, die noch nicht gewählt haben. 21.30 Uhr. Endlich kommt Maria. Ich entschuldige mich und darf den Raum verlassen. Draussen werde ich Zeugin, wie ein hohes Tier des lokalen TSE etwa 50 Personen, die immer noch an der "problematischen" Urne anstehen, erklärt, dass sie unverrichteter Dinge nach Hause gehen müssen, weil die Wahlzettel zu Ende gingen. Sie sollten doch bitte innerhalb des nächsten Monats ihre Papiere in Ordnung bringen, damit sie wenigstens an der zweiten Wahlrunde teilnehmen könnten...Es beginnt ein grosses Durcheinander, die Leute sind ent-

täuscht, wütend und frustriert. Ich verabschiede mich schnell von den StimmenzählerInnen und den TSE-Leuten an dieser Urne und will nur noch weg. Es tut mir so leid, dass sowohl das Anstehen der Leute, um ihre Stimme abzugeben, wie auch die geduldige Arbeit der Urnen-HüterInnen am Schluss angefochten und als ungültig erklärt wird. Wir fahren ins URNG-Büro in der Hoffnung, es seien schon erste Wahlresultate bekannt. Dort angekommen, erfahren wir, dass fast überall die Öffnungszeiten der Wahllokale verlängert wurden, weil es um 18.00 Uhr noch so viele Leute gab, die wählen wollten. Erste Schätzungen, die aufgrund der Resultate einiger weniger Wahllokale gemacht wurden, zeigen eine klare Niederlage der VGFRGNF und eine mögliche Stichwahl zwischen der GANA und der UNE. Während der nächsten zwei Stunden starren wir wie hypnotisiert auf den Fernseher, ohne irgend etwas Neues zu erfahren. Unterdessen sind in Quetzaltenango alle Wahllokale geschlossen und das Stimmenauszählen hat überall begonnen. Wir können nur noch warten und beschliessen, ein paar Stunden zu schlafen. Montag, 7.00 Uhr: Ich erwache, weil die Erde bebt und hoffe, dass das kein schlechtes Omen ist. Nach dem Frühstuck fahren Maria und ich zuerst ins URNG-Büro, wo wir ein paar übernächtigte StimmenzählerInnen treffen. Die Tendenz "zweite Wahlrunde" hat sich bestätigt, ebenso die schlechten Resultate der URNG. Nach wie vor ist erst ein Bruchteil der Stimmen ausgezählt. Wir fahren zum Zentrum des lokalen TSE in der Hoffnung, etwas mehr über die Ergebnisse in Queltzaltenango zu erfahren. In der Zeitung lesen wir, dass es an vielen Orten ähnliche Vorfälle und Unregelmässigkeiten gegeben hat, wie auch wir sie erlebt haben. Trotzdem werden die Wahlen bereits als vorbildlich und transparent gelobt. Beim Herumstehen und Warten im TSE fällt mein Blick auf eine Kartonschachtel, auf der steht: Wahlurne 7144, Panzós, Verapaz. Wie erging es wohl jenen rund 600 Personen, die an der Urne Nr. 7144 in Panzós anstanden und erfuhren, dass ihre Wahlzettel nicht geliefert wurden? Am Nachmittag treffe ich auf der Strasse zufällig zwei der TSE-Leute, die in San Antonio die "problematische" Urne betreuten. Sie freuen sich, mich zu sehen und erzählen mir strahlend, sie hätten bis um 5 Uhr in der Früh Stimmen gezählt. Mit den Worten "Wir erwarten dich am 28. Dezember" verabschieden sie sich.


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