Vorwahlstimmung
Fijáte 297 vom 18. Nov. 2003, Artikel 3, Seite 3
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Vorwahlstimmung
Guatemala, 10. Nov. Fast schien es, als wolle sich das wilde Tier FRG - Republikanische Front Guatemalas - vor seiner Wahlniederlage am 9. November noch ein letztes Mal aufbäumen. Die Wochen und Tage vor den Wahlen waren geprägt von Ereignissen, die als eine Art Verzweiflungstaten der Regierungspartei verstanden werden müssen. Das Ziel dieser Aktionen bestand in erster Linie darin, die Bevölkerung zu verunsichern und sie im letzten Moment von der Teilnahme an den Wahlen abzuhalten, was offensichtlich nicht gelungen ist. Am 28. Oktober, in der letzten ordentlichen Sitzung vor den Wahlen verabschiedete die FRG-Mehrheit im Kongress eine Reform des Arbeitsgesetzes, die je einen Tag vor und nach sowie am Wahltag selber sämtliche produktive Tätigkeiten verbot. Konkret hätte dies nebst einem Arbeitsverbot in Kaufhäusern, Maquilas und sonstigen Geschäften bedeutet: Kein öffentlicher Verkehr, keine Tankstellen, keine Sicherheitsdienste, keine geöffneten Restaurants und Hotels, keine Bereitschaftsdienste technischer Art wie Telefon-, Strom- und Wasserversorgung, keine Presse, keine Gesundheitsversorgung. Sehr schnell machte der Witz die Runde, dass auch das Denken verboten sei, weil dies auch eine produktive Tätigkeit ist. Und wer nicht denke, wähle FRG... Profitiert von diesem Gesetz hätte in erster Linie die FRG, von der bekannt war, dass sie bereits im Vorfeld in gewissen Gemeinden sämtliche Busse und Lastwagen gemietet hatte, um die Leute zu den Wahllokalen fahren. Doch die Rechnung ging nicht auf, der Protest gegen die Gesetzesänderung war gewaltig. Als erste kündigten die Tageszeitung Prensa Libre und einige Fernsehsender den Boykott dieses neuen Gesetzes an. Ihnen folgten der Unternehmerverband CACIF, Menschenrechtsorganisationen, verschiedene Berufsverbände und schliesslich nach harscher Kritik, sie würden sich mit Kommentaren bezüglich irregulärer Vorgänge zu sehr zurückhalten auch die internationalen Organisationen, die zur Wahlbeobachtung angereist waren. Präsident Portillo sah sich gezwungen, sein Veto gegen das Gesetz einzulegen und die ganze Sache rückgängig zu machen. Am Sonntag, 2. November um 10 Uhr abends, strahlte der regierungseigene Fernsehsender auf allen (privaten und öffentlichen) Kanälen eine einstündige Übertragung der Rückkehr nach Guatemala des frischernannten Kardinals Quezada Toruño aus. 'Zufälligerweise' genau zur Sendezeit des Diskussionsprogramms Libre Encuentro des Senders Guatevision. Für den besagten Sonntagabend war ein Gespräch mit Oscar Berger und Eduardo Stein, Präsident- und Vizepräsidentschaftskandidaten der GANA angesagt. Quezada Toruño selber wehrte sich gegen die Manipulation, die von der FRG mit seiner Person betrieben wurde. Nach oben |
Guatevision, sich als den einzigen unabhängigen Fernsehsender bezeichnend, gab ausserdem bekannt, dass seit April dieses Jahres verschiedene Kabelfernsehanbieter von der Regierung unter Druck gesetzt würden, Guatevision auf einem Kanal auszustrahlen, der aus technischen Gründen sehr schlechten Empfang hat. Am 4. November fiel in Teilen der Hauptstadt während 45 Minuten der Strom aus. Dies, obwohl die verschiedenen Stromanbieter und das staatliche Elektrizitätswerk schon seit Wochen verkündeten, die Stromversorgung für die Wahlen im Griff zu haben. Sehr schnell kursierte das Gerücht, FRG-Aktivisten würden für einen Sabotageakt am kommenden Sonntag üben. Verschiedene Medien berichteten, unverhältnismässig viele Anrufe bekommen zu haben von verunsicherten BürgerInnen, die wissen wollten, was passiert sei. Die öffentliche Erklärung des Energieministers war, dass es "einen Defekt in der Hauptleitung" gegeben habe. Während der ganzen Woche standen Hunderte von ehemaligen Zivilpatrouillen (Ex-PAC) stundenlang Schlange, um endlich ihre Entschädigungszahlung zu erhalten; zuerst in den Gemeindeämtern (z.T. wurden die Schecks auch in den Kasernen ausgehändigt) und danach bei der Bank, wo sie das Geld ausbezahlt bekamen. Die Regierung wartete bis zum allerletzten Moment, um ihr Versprechen gegenüber den Ex-PAC einzulösen. An anderen Orten wurden die Auszahlungen zurückbehalten und die Ex-PAC dazu angehalten, für die FRG zu stimmen dann erst würde ihnen die Entschädigung ausbezahlt. Eine andere Art des Stimmenkaufs bestand darin, mit Frauen "wählen zu üben". Konkret sah das folgendermassen aus: Frauengruppen wurden eingeladen, auf Übungswahlzetteln, die verblüffend echt aussahen, die Stimmabgabe zu proben. Es wurde ihnen genau erklärt, wie sie die fünf Zettel auszufüllen hätten. Zum Schluss erhielt jede einen Kochtopf mit dem Emblem der FRG aufgedruckt. Nicht nur die FRG, auch die GANA und die UNE waren kreativ im Erfinden von Wahlpropaganda. Oft läutete am Abend das Telefon und eine Tonbandstimme verkündete: "Guten Abend, hier spricht Oscar Berger (oder Alvaro Colom), bitte entschuldigen Sie, dass ich in die Intimität ihres Heims eindringe. Ich bitte Sie um Ihre Stimme bei den Wahlen vom nächsten Sonntag. Wählen Sie bewusst, wählen sie mich!" |
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