"Viele glauben, die Hebamme sei Allgemeingut "
Fijáte 302 vom 28. Jan. 2004, Artikel 1, Seite 1
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"Viele glauben, die Hebamme sei Allgemeingut "
Im Departement Quetzaltenango gibt es rund 2000 traditionelle Hebammen. 600 davon sind in der Coordinadora Departamental de Comadronas Tradicionales de Quetzaltenango (CODECOT) zusammengeschlossen. Über die Ideologie und die Arbeit der CODECOT erzählen Maria Cecilia Escobar, Maria Ángela Sacor Acabal, Ignacia Chaj Tiu, Mitglieder des Vorstands der Organisation, im nachfolgenden Interview. Frage: Wann, wie und weshalb ist die Organisation entstanden? Maria Cecilia Escobar: Unsere Organisation erhielt am 13. September 2002 ihren legalen Status. Doch Ángela und ich arbeiten schon seit 2000 an diesem Projekt. Wir wollten die Hebammen der Regionen Mam und Quiché zu einem Treffen einladen. Dies war der Beginn von regelmässigen Zusammenkünften, und wir begannen schon bald, uns eine legale Organisationsstruktur zu überlegen. Wir stellten ein Organigramm auf, machten eine Zustandsanalyse und definierten die Themen, die wir bearbeiten wollten. Frage: Welches sind diese Themen? M.C.E.: Zum einen ist es die schlechte Behandlung, der wir als indigene Hebammen in den Krankenhäusern ausgesetzt sind. Dann die Nicht-Anerkennung unserer Arbeit, die Diskriminierung und Skepsis, mit der man uns im Gesundheitssektor generell begegnete. Ignacia Chaj Tiu.: Ein Teil unserer Arbeit ist die Bewusstseinsbildung unter den Hebammen. Sie sind es gewohnt, von einer Organisation finanziell unterstützt zu werden. Nun kommen wir, sprechen von "Organisation" und können ihnen nichts Materielles bieten. Es hat uns ziemlich viel Zeit und Überzeugungsarbeit gekostet, die Frauen zu organisieren. Maria Ángela Sacor Acabal: Maria Cecilia und ich haben vorher für eine Nichtregierungsorganisation gearbeitet. Als diese aber merkte, dass wir ausserhalb der Arbeit mit den Hebammen arbeiteten, setzten sie die Schere an und entliessen uns. M.A.S.A.: Es hat ihnen nicht gepasst, dass wir unsere eigene Organisation aufbauen wollten. Als wir beide dann draussen waren, haben sie einen Mann als Koordinator ihres Hebammenprojekts eingestellt. Diese NRO hat uns ausgesaugt bis zum Letzten, hat sich all unser Wissen angeeignet und damit sogar ein Buch geschrieben. In den Kursen, die wir mit den Hebammen durchführten, ging es in erster Linie um einen Erfahrungsaustausch und all dieses Wissen blieb bei der NRO. Heute basiert jener Koordinator seine Vorträge auf diesem Wissen. Was soll das: ein Mann, der dann auch noch Spanier ist, und der Vorträge hält über die Arbeit der Hebammen!? Die haben uns nur als ihre Studienobjekte gesehen! Diese Erfahrung hat uns darin bestärkt, mit unserer eigenen Organisation weiterzumachen. Wir hatten viele Hindernisse zu bewältigen, und manchmal waren wir auch verzweifelt, weil wir kein Geld hatten. Wir konnten nicht einmal die Transportkosten der Kolleginnen bezahlen, wenn sie zu unseren Sitzungen kamen. Das hatte bei vielen zur Folge, dass sie sich von der Gruppe zurückzogen. Doch wir haben auch Erfolge zu verzeichnen. Seit dem Jahr 2000 haben wir als Vertreterinnen der Hebammen versucht, Aktivitäten mit dem Krankenhaus hier in Quetzaltenango zu koordinieren, was anfänglich unmöglich erschien. Als ich dann als Vertreterin unserer Organisation zum ersten Mal zu einer Sitzung der Krankenhausleitung eingeladen wurde, fragte mich eine Ärztin, was ich dort verloren hätte dieselbe Frage stellte ich mir auch einen Moment lang. Zu Beginn der Kooperation wurde ich nicht akzeptiert in diesem Gremium, und beim kleinsten Problem hiess es gleich ,,die Hebammen hier, die Hebammen dort". Doch nach und nach habe ich mir Respekt verschaffen können. Eines Tages ging ich sogar so weit, sie zu einem Vergleich herauszufordern: Wenn ein Arzt und eine Hebamme eine Geburt begleiten, wer macht es besser? Die Hebamme macht alles allein, sie betreut das Kind, und sie betreut die Mutter. Der Arzt hingegen betreut nur die Mutter, für das Kind ist der Pädiater zuständig. Und wenn es eine Komplikation gibt, ist die Krankenschwester sofort mit einer Spritze zur Hand. Während dessen kümmert sich die Hebamme allein um alles. Dieses Beispiel hat sie richtiggehend beeindruckt. Sie sind mir danach mit mehr Vertrauen begegnet. Derweil sind wir auch im Departementsrat des Gesundheitswesens vertreten. Dort sind fast alle repräsentiert, inklusive das Militär. Auch dort hat die Zusammenarbeit mit Auseinandersetzungen und Problemen begonnen. Aber inzwischen haben wir es geschafft, und ich werde heute ernst genommen. Wir haben z.B. bei der Ausarbeitung der Richtlinien für das Monitoring des Krankenhauspersonals mitgeholfen. Auch das hat viele gestört, dass eine Hebamme eine Ärztin begutachtet und nicht umgekehrt. Frage: Das heisst also, dass Dank Ihrer Arbeit heute die Beziehung zu den ÄrztInnen besser ist? M.A.S.A.: Ja. Wir haben auch erreicht, dass allen Hebammen ein Namensschild gemacht wurde, mit dem sie sich gegenüber dem Krankenhauspersonal ausweisen können. Jetzt ist es ihnen möglich, zu jeder Zeit mit einer Patientin ins Hospital zu kommen und das Recht auf Behandlung zu haben. I.C.T.: Wobei gesagt werden muss, dass es auch heute noch ÄrztInnen gibt, die die Hebammen nicht herein lassen und sie sehr schlecht behandeln. Frage: Die Hebammen arbeiten mit Naturheilmitteln, während im Krankenhaus chemische Heilmittel verwendet werden. Wie ist die Naturmedizin bei den ÄrtztInnen akzeptiert? M.A.S.A.: Auch diesbezüglich haben wir einen Raum geöffnet, der uns bislang verschlossen war. Selbst der Krankenhausdirektor gibt unterdessen öffentlich zu, dass wir Hebammen sehr effektive Heilmittel kennen und sie anzuwenden wissen. Womit die ÄrztInnen jedoch nicht einverstanden sind, ist die Anwendung von Oxitoxin durch Hebammen. Das Oxitoxin ist ein Mittel, das den Frauen gespritzt wird, um die Geburt zu beschleunigen. Das Problem ist, dass nicht alle Hebammen über den Gebrauch und den möglichen Missbrauch dieses Medikaments informiert sind. Im Krankenhaus heisst es nun, sie wollten die Hebammen im Gebrauch von Oxitoxin unterweisen, weil es manchmal notwendig sei, die Geburt zu beschleunigen, z.B. wenn die Frau starke Blutungen hat, oder wenn die Plazenta nicht kommen will. Das ist die Behauptung, die sie im Krankenhaus vertreten. Aber ich frage mich manchmal, ob es wirklich gut ist, die Hebammen dies zu lehren. Denn nicht alle werden das Medikament gleich anwenden und mit Sicherheit wird es Hebammen geben, die, absichtlich oder nicht, Abtreibungen provozieren. Und wenn solche Geschichten erst einmal öffentlich werden, schaden sie uns nur. Frage: Sie kennen Ihre eigenen Methoden, um eine Geburt zu beschleunigen? M.C.E.: Natürlich. Mit der pflanzlichen Medizin können wir zu einer Beschleunigung beitragen, aber wir können sie nicht provozieren. Wir können den Schmerz lindern oder die Frau beruhigen, aber das Kind kommt, wenn es Zeit ist. Es ist wie bei einer Frucht, wenn der Apfel reif ist, fällt er von selber herunter, und wenn er noch nicht reif ist, bleibt er noch etwas hängen. Mit der Geburt ist es genau gleich, ausser natürlich, es gibt ernsthafte Komplikationen. Aber wenn das Kind quer liegt, können wir auch mit dem Oxitoxin nichts ausrichten. Frage: Viele indigene Frauen wollen nicht im Krankenhaus gebären, weil sie dort schlecht behandelt werden. I.C.T.: Wir verstehen uns als Vermittlerinnen zwischen dem Krankenhaus und den Frauen in den Dörfern. Wenn wir also eine Risikogeburt betreuen, versuchen wir die Frau zu überzeugen, dass sie ins Krankenhaus geht. Wir versprechen ihr, dass wir sie begleiten, dass wir bei ihr bleiben werden und dafür sorgen, dass sie eine würdevolle Behandlung bekommt. M.C.E.: Viele Frauen wollen nicht ins Krankenhaus, weil dort ihre Traditionen nicht respektiert werden. Sie sind es z.B. gewohnt, sich im Chuj (eine Art Sauna) mit Dampf oder mit heissem Wasser zu waschen. Im Krankenhaus schickt man sie dann unter die kalte Dusche. All diese kulturellen Aspekte sind sehr wichtig. Im Dorf ist die Gebärende in Gesellschaft anderer Frauen, wir sind unter uns, und sie hat Vertrauen. Im Krankenhaus trifft die indigene Kultur auf die Ladino-Kultur. Die ÄrztInnen haben eine sehr "westliche" Art, die Dinge zu sehen. Aber auch hier muss gesagt werden, dass es ÄrztInnen und Krankenschwestern gibt, die uns sehr geholfen haben. Es darf also nicht generalisiert werden. Frage: Haben Sie nicht Angst, dass in fünf oder zehn Jahren die westliche Medizin sich Ihr Wissen angeeignet hat, es patentieren lässt, und es Ihnen genauso ergeht wie in der anfangs erwähnten NRO? M.C.E.: Diese Frage haben wir ausführlich diskutiert. Wir sind aber zu dem Schluss gekommen, dass es immer Geheimnisse geben wird, die eine Hebamme nicht preisgibt. Wir sind bereit, unser Wissen zu teilen, aber nicht zu 100%. Wir werden immer einen Teil davon für uns bewahren, wie das unser Volk schon immer getan hat. Immerhin werden 80% aller Geburten in Guatemala zu Hause gemacht und von Hebammen begleitet. Und nur im Fall einer Komplikation gehen die Frauen ins Krankenhaus. Aber es ist eine wichtige Frage, und als Organisation sind wir uns klar, dass wir unsere Autonomie bewahren wollen. Der Vorschlag wurde uns bereits gemacht: ,,Wir unterstützen euch, aber ihr unterwerft euch dem System". Genauso wie in dieser NRO. Wir waren ihr Huhn, das goldene Eier legte. Denn für die Arbeit mit den Hebammen erhielten sie aus dem Ausland Geld. Dies ist der Unterschied zwischen einer "assistentialistischen" NRO und einer Bewegung, in der die Aktivistinnen die Entscheidungen treffen. Diesbezüglich sind wir uns einig: Wir verkaufen unsere Organisation nicht für ein paar Centavos. M.A.S.A.: Selbstverständlich wollen wir aber bezahlt werden für die Arbeit, die wir für das Krankenhaus leisten. Denn nur so wird unsere Arbeit auch respektiert. Von denen aus könnten wir den ganzen Tag dort arbeiten, solange sie uns nicht dafür bezahlen müssen. Am Schluss haben wir dann positive Resultate erzielt, mit denen sie sich brüsten, aber niemand wird sagen, dass das Dank der Arbeit der Hebammen war. Nach oben |
M.C.E.: Das mit den Namensschildern war genau so eine Geschichte. Jahrelang haben wir die Organisation aus unseren eigenen Mitteln finanziert. Keine von uns hat sonst eine Arbeit, und wir waren auf die Unterstützung unserer Männer angewiesen oder haben uns das Geld vom Essen abgespart. Als wir nun diese Idee mit den Namensschildern hatten, fanden das alle gut. Aber das Problem war, dass wir als Organisation nicht das Geld hatten, diese drucken zu lassen. So verhandelten wir während drei langen Jahren mit dem Verantwortlichen des Krankenhauses und diskutierten mit ihm über unsinnige Details. Letztendlich finanzierten sie die Herstellung unter der Bedingung, dass die Namensschilder als ihr ,,Produkt" erscheinen. Alle sind begeistert, und das Krankenhaus bekommt eine Menge Komplimente für die ,,gute Idee". Solche Erfahrungen dienen uns als Lehre. Frage: Es heisst immer, in der Mayakultur spiele die Hebamme eine wichtige Rolle. Sie haben mir aber erzählt, dass eine Hebamme nur 5 oder 10 Quetzales (ca. US-$ 0,6 - 1,25) für eine Geburt bekommt. Ist das nicht ein bisschen widersprüchlich? I.C.T.: In einer Privatklinik kostet eine Geburt bis zu 3´000 Quetzales (ca. US-$ 375,-). Einer indigenen Hebamme bezahlt man je nach Region zwischen 10 und 300 Quetzales (ca. US-$ 1,25 - 38,-). M.A.S.A.: Viele Leute glauben, die Hebamme sei "Allgemeingut" eines Dorfes, und deshalb sei es ihre Verpflichtung, eine Geburt zu begleiten, ob man sie nun dafür bezahlt oder nicht. Die Leute finden, dass die Hebamme nichts verdienen muss, weil es ja nicht sie ist, die Schmerzen leidet während der Geburt. Aber wir wissen alle, dass auch die Hebamme leidet. Sie muss zu jeder Tagesund Nachtzeit bereit sein, unabhängig vom Wetter, manchmal gibt man ihr während einer langen Geburt etwas zu essen, manchmal nicht. Hier in der Region Mam bezahlt man oft gar nichts, sondern gibt ihr etwas Mais oder Bohen. Es ist mehr eine Art Trinkgeld denn ein Lohn. Frage: Frauen werden Hebammen, weil sie eine Gabe dazu haben, ebenso wie die Maya-Priester. Diese hingegen sind sehr geachtet in der Dorfgemeinschaft. Weshalb ist das so? M.A.S.A.: Weil sie Männer sind und wir Frauen. Eine Frau ist im allgemeinen Denken der indigenen Bevölkerung immer noch "weniger wert" als ein Mann. Ein Mann ist ein Mann und verschenkt seine Arbeit nicht. Die Frau hingegen ist die Dienerin aller. M.C.E.: Es ist wirklich widersprüchlich. Die Verachtung, mit der die Arbeit der Hebamme konfrontiert ist, hat auch mit der Manipulation durch die westliche Medizin zu tun. Die ÄrztInnen kommen in die Gemeinden und sprechen schlecht über die Arbeit der Hebamme. Und die Leute glauben ihnen. Es gibt aber auch Orte, wo die Hebamme anerkannt ist, wo sie eine wichtige Rolle im Gemeindeleben spielt und eine Art Referenzperson ist. Nicht irgendeine kann Hebamme sein, dazu braucht es eine bestimmte Gabe. Dasselbe sagen wir auch von den ÄrztInnen: Entweder sie haben die Begabung dazu oder nicht. Und wenn nicht, widmen sie ihre Zeit besser etwas anderem. I.C.T.: Selbst um Früchte auf dem Markt zu verkaufen, braucht es einer Begabung. Ein Arzt, soviel Geld er auch in sein Studium gesteckt hat, und so viele Jahre er an der Universität verbracht hat: Wenn er die Begabung nicht hat, kann er nicht mal ein Aspirin verschreiben! Frage: Wie gehen Sie das Thema der Familienplanung und der Abtreibung an? M.A.S.A.: Es ist die Pflicht einer Hebamme, die Frauen auf die Existenz und die Anwendung von Verhütungsmitteln hinzuweisen. Nicht nur die Frauen, sondern auch deren Töchter, wenn diese 10 oder 12 Jahre alt sind. In diesem Alter haben sie ihre erste Menstruation, und es besteht das Risiko, dass sie schwanger werden können - sei es, weil sie es ausprobieren wollen oder weil sie vergewaltigt werden. Was die Abtreibungen betrifft, das machen wir nicht. Nicht, dass wir nicht immer wieder angefragt würden, Abtreibungen durchzuführen! Aber wir müssen uns da heraushalten. Von den ÄrztInnen wird uns immer wieder vorgeworfen, dass wir Abtreibungen durchführen würden. Ich sage dann immer: ,,Es sind nicht nur die Hebammen, die Abtreibungen machen, es sind ebenso die ÄrztInnen. Niemand will es gewesen sein, aber die Abtreibungen sind eine Tatsache und werden durchgeführt. Frage: Welche Verhütungsmittel empfehlen Sie den Frauen? I.C.T.: Das kommt sehr auf die Frau und ihre finanziellen Verhältnisse an. M.C.E.: Wir klären sie über die verschiedenen Verhütungsmöglichkeiten auf, und dann schauen wir mit ihr zusammen, was in Frage kommt. Diese Beratungen sind individuell und unterschiedlich gut, je nach dem Wissensstand und der Erfahrung der Hebamme. Auch in diesem Bereich können wir bisher leider keine Weiterbildung für die Hebammen anbieten. M.A.S.A.: In den Dörfern verhüten die meisten Frauen mit der Dreimonatsspritze. Es ist das einfachste, vor allem für Frauen, die die Verhütung vor ihren Männern verstecken müssen. Diese Spritzen kosten zwischen 35 und 50 Quetzales (ca. US-$ 4,- - 6,25). So lange die Männer nicht bereit sind, sich auch mit dem Thema Familienplanung zu beschäftigen, ist das für viele Frauen die einzige Verhütungsmöglichkeit. I.C.T.: Wenn der Mann sich auch mit dieser Frage beschäftigen würde, käme er vielleicht auf die Idee, dass auch er etwas machen könnte, z.B., sich operieren lassen. Aber es ist wie überall: Die Frau muss sich um eine Lösung kümmern. Es wird wohl noch acht oder zehn Jahre dauern, bis sich diesbezüglich das Bewusstsein der Männer ändert. Sie sind sehr optimistisch! Danke für das Interview! |
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