Schelte vom 'grossen Bruder'
Fijáte 272 vom 13. November 2002, Artikel 1, Seite 1
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Schelte vom 'grossen Bruder'
In den vergangenen Wochen hagelte es seitens der internationalen Gemeinschaft, namentlich der USA und der guatemaltekischen Öffentlichkeit, Kritik an der gescheiterten Sicherheits-, Antikorruptions- und Antidrogenpolitik der Regierung Portillo. Deren Antwort liess nicht auf sich warten: Die Auflösung der umstrittenen Antidrogeneinheit DOAN, die Schaffung eines multisektoriellen Programms zur Bekämpfung der Korruption und des Drogenhandels und die Einleitung von Untersuchungen gegen Ex-Politiker und Ex-Militärs, die des Drogen- und Menschenhandels verdächtigt werden, waren die Antwort der Regierung auf die Vorwürfe. Verschiedene guatemaltekische Regierungsvertreter reisten in die Vereinigten Staaten, um den dortigen Kritikern Honig um den Mund zu schmieren, denn angesichts der bevorstehenden Wahlen und dem nächsten Treffen der Geberländer ist es wichtig, die USA auf seiner Seite zu wissen. Der folgende Text basiert auf einem Artikel, der am 25. Oktober in Inforpress Centroamericana erschien und wurde um aktuelle Informationen und Analysen ergänzt. In seinem Bericht anlässlich der Ernennung des neuen Botschafters für Guatemala von Anfang Oktober kritisiert der US-amerikanische Staatssekretär für Lateinamerika, Otto Reich, in erster Linie die Verwicklung namhafter guatemaltekischer Regierungsmitglieder in Drogenhandel und Korruption (siehe ¡Fijáte! 271). Die guatemaltekische Regierung reagierte umgehend mit der Entlassung zahlreicher Staatsanwälte und Polizeioffiziere. Die oberen Regierungsränge jedoch, von wo aus sich laut Reich das Netz von Korruption und Drogenhandel ausbreitet, blieben unangetastet. Während Innenminister Adolfo Reyes Calderón behauptet, es existiere keine Parallelmacht und es gäbe keine Delinquenz auf Regierungsebene, verkündete Generalstaatsanwalt Carlos de León am 23. Oktober die Einleitung von Untersuchungen gegen der Regierung nahestehende Militärs, z.B. gegen die Generäle Francisco Ortega Menaldo, Manuel Callejas, Carlos García Catalán und die Obersten Jacobo Salán Sánchez und Napoleón Rojas. Sie werden des Drogenhandels, der Korruption und des Menschenhandels beschuldigt sowie dem Aufbau einer parallelen Machtstruktur auf höchster Ebene. Dabei blieb De León jedoch zurückhaltend und gab zu, dass es weder Anzeigen noch konkrete Beweise gäbe, ausser den Anschuldigungen, die von der Presse gegen die Militärs erhoben wurden. Auch die USA, von der die jüngste Kritikwelle ausging, habe nichts Handfestes gegen sie in der Hand. Es gäbe aber eine profunde und ausführliche Untersuchung, welche auch die Besitztümer und die Bankkonten der Verdächtigen mit einschliesse. "Die Untersuchungen", betonte De León, "werden dahin führen, wo sie hinführen müssen" - womit er auf die höchsten Hierarchiestufen anspielte. Als eine Folge davon ist die Pensionierung der beiden Generalen Julio Soto Bilbao und Edgar Trujillo Salguero und der beiden Obersten Leonel Vaides Paz und Mario Gómez Ayala verstehen; alle vier waren direkte Untergebene von Salán Sánchez, als dieser 1989 als Geheimdienstchef des Militärs amtierte. Auch gegen sie werden Untersuchungen geführt. Während Pläne geschmiedet und Strategien entwickelt werden, nimmt die Unsicherheit im Lande zu. Allein im Monat Oktober wurden über 60 Morde verzeichnet, von denen ein guter Prozentsatz dem organisierten Verbrechen zuzuschreiben ist. Der sich drastisch verschärfende (Un-)Sicherheitszustand und die Kritik der USA haben zur Folge, dass die FRG einen neuen Versuch im 'harten Durchgreifen' gegen das Verbrechen unternimmt. Dies nicht zuletzt im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen, immerhin waren der Kampf gegen das Verbrechen und das Gewährleisten von Sicherheit für alle BürgerInnen zwei ihrer Haupttrümpfe im letzten Wahlkampf. Jedoch legte die FRG weder während noch nach dem Wahlkampf einen wirklichen Sicherheitsplan vor. Am 18. Oktober verkündete Innenminister Reyes Calderón in Begleitung von Generalstaatsanwalt De León und der Sonderstaatsanwältin für Korruptionsfälle, Karen Fischer, die Auflösung der Polizeieinheit für Antidrogenoperationen (DOAN). Interessanterweise war es Vizepräsident Francisco Reyes López, der das Regierungsdekret zur Auflösung der DOAN erliess, während Präsident Portillo selber in Europa weilte und sich auf einem Treffen mit deutschen UnternehmerInnen beklagte, er verstehe die Kritik der USA nicht, würde doch kein höherer Regierungs- oder Militärposten in Guatemala ohne die Einwilligung der US-amerikanischen Botschaft besetzt. (Diese ziemlich inoffizielle Reise Portillos nach Deutschland, Italien und Grossbritannien, sowie weitere angekündigte, lassen den Verdacht aufkommen, dass er oder andere, namentlich der Vizepräsident Reyes López und der Kongresspräsident Ríos Montt, es vorziehen, Portillo in den nächsten Monaten möglichst weit weg vom nationalen Geschehen zu haben...) Zurück zur Auflösung der DOAN: Rund 200 der Angestellten, davon vierzig Polizisten, gegen die ein Verfahren wegen Drogendiebstahls läuft, wurden entlassen. Agenten der DOAN sind u.a. verantwortlich für den gewalttätigen Überfall auf die Gemeinde Chocón in Izabal, der unter dem Vorwand einer (mit zweifelhaften Mitteln durchgeführten) Drogenrazzia stattfand. Ebenfalls Mitglieder der DOAN werden für das 'Verschwinden' von 1300 Kilo beschlagnahmter Drogen aus den Lagerräumen der Polizei verantwortlich gemacht. Nach oben |
Weitere neunzig ehemalige DOAN-Agenten sollen auch in Zukunft bei der zivilen Nationalpolizei (PNC) angestellt bleiben. Neu soll für die Bekämpfung des Drogenhandels eine (geheimdienstliche) Einheit gebildet werden, in der auch Mitglieder der PNC vertreten sind. Eine weitere Massnahme der DOAN-Schliessung ist die Bildung einer mobilen Einheit (UMO), die eng mit den anderen staatlichen Institutionen zusammenarbeitet, die sich dem Kampf gegen die Korruption verschrieben haben - unter anderem das Militär. Um ihr Wahlversprechen, die Sicherheitslage zu verbessern, zu erfüllen und um die Lücke zu füllen, die die Auflösung der DOAN hinterlassen hatte, griff die FRG also einmal mehr zum Mittel der Militarisierung: Die neue Truppe zur Bekämpfung des Drogenhandels umfasst 1500 Polizisten und 450 Militärs. Dies ist eine klare Verletzung der Friedensabkommen, in denen die Aufgabe des Militärs auf den Schutz und die Verteidigung der Landesgrenzen festgelegt ist. Es ist zwar zu begrüssen, dass, wenn auch erst auf Druck der USA, endlich der Sicherheitsapparat 'gesäubert' wird, die grosse Frage ist aber, mit welchen Leuten ein neuer aufgebaut werden soll? Generalstaatsanwalt De León steht der Schliessung der DOAN eher zynisch gegenüber: "Wir hatten nie Kontakt mit der DOAN, weil sie überhaupt nicht vertrauenswürdig war. Wir achteten immer darauf, dass die DOAN möglichst spät von unseren laufenden Untersuchungen in Drogenangelegenheiten erfuhr". Gleichzeitig informierte de León auch über die Entlassung einer ungenannten Anzahl von Staatsanwälten, die im Bereich Drogenhandel Untersuchungen tätigten. Zufall oder nicht, kurz darauf berichteten die Medien über Fortschritte in der Bekämpfung des Drogenhandels: Im Departement San Marcos hat die Polizei einen Ort ausgehoben, der mit Funkgeräten, Kompass und Fluglandepiste ausgerüstet, einen idealen Umschlagplatz für Drogen gewesen ist. Überhaupt hätten die Narcos in dieser Region ganze Gemeinden unter ihrer Kontrolle, hiess es. Carlos de León informierte auch über weitere Änderungen in der Staatsanwaltschaft: Mynor Melgar, der sich stark im Prozess gegen die Mörder von Erzbischof Juan Gerardi engagierte, wurde als Spezial-Staatsanwalt gegen den Bankier Franscisco Alvarado McDonald ernannt. Und Karen Fischer wurde mit den Untersuchungen der Geldhinterziehung im Innenministerium beauftragt, der unter anderem Ex-Innenminister Byron Barrientos beschuldigt wird. "Wir versuchen, die schwierigen Fälle an Staatsanwälte zu vergeben, die das Vertrauen der guatemaltekischen Bevölkerung besitzen und die den Ruf haben, unbestechlich zu sein. Damit wollen wir beweisen, dass wir den Willen haben, den Sachen auf den Grund zu gehen", erklärte De León. Das Problem der Straflosigkeit, der Korruption und des Drogenhandels hängt direkt mit der Machtfrage zusammen. Die Unfähigkeit, den alten Sicherheitsapparat zu säubern, vereinfacht es den kriminellen Banden, sich in den klandestinen, nie wirklich aufgelösten Aufstandsbekämpfungsstrukturen (sprich: Geheimdiensten, Militär) zu halten und ihren Einfluss auf die Politik auszudehnen. Mit diesen Strukturen hat historischerweise auch die US-amerikanische Regierung immer zusammengearbeitet. Ob die Sorge der Vereinigten Staaten tatsächlich der Korruption und den verletzten Menschenrechten in Guatemala gilt oder nicht vielmehr der Tatsache, dass sie die Kontrolle über diese Strukturen verloren haben, ist wohl eine berechtigte Frage, die sich in Guatemala verschiedene AnalytikerInnen stellen. In die selbe Richtung geht die Frage, ob es sich bei den jüngsten Wechseln an der guatemaltekischen Militärspitze tatsächlich um 'Routine' handelt, wie das die Militärbehörde weismachen will, finden sie doch zu einem sehr ungewöhnlichen Zeitpunkt statt. (Normalerweise werden Beförderungen, Pensionierungen und Auswechslungen im Militär jeweils Anfang des Jahres oder anlässlich des Tags der Armee, Ende Juni, bekannt gegeben.) Bezüglich der Pensionierung und der Untersuchungen, die gegen die eingangs erwähnten vier Militäroffiziere eingeleitet werden (Soto Bilbao, Trujillo Salguero, Vaides Paz und Gómez Ayala) kursieren zwei Hypothesen: Entweder sie gehören tatsächlich der parallelen Machstruktur an und werden nun 'geopfert', nicht nur, um die US-amerikanische Regierung zufrieden zu stellen, sondern auch, um im nächsten Wahlkampf als Beweis zu dienen für die von der FRG 'erfolgreich durchgeführte Umstrukturierung des Militärs. Es wäre dann auch möglich, dass es innerhalb des Militärs noch weitere 'Säuberungen' gäbe, was aber nicht heissen muss, dass die 'Mafia' davon betroffen ist, vor allem dann nicht, wenn sie von gewissen Leuten innerhalb der Regierung geschützt wird. Die zweite Hypothese ist, dass vom eingeleiteten Säuberungsprozess noch weitere, möglichst hochrangige Militärs betroffen sind, die aus dem Weg geschafft werden, um Enrique Ríos Sosa, dem Sohn von General und Kongresspräsident Efraín Ríos Montt, für nächsten Januar den Weg zum Verteidigungsminister zu ebnen. Und die USA? Der Staatssekretär für Lateinamerika, Otto Reich, gratulierte der guatemaltekischen Regierung zu den jüngsten Korruptions-Bekämpfungsmassnahmen. "Präsident Portillo hat positiv auf die Themen reagiert, die uns Sorge bereiten", erklärte der Funktionär in Washington. Es geht offenbar schnell und braucht nicht viel, um den 'grossen Bruder' zufrieden zu stellen. |
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