"Der neue Geheimdienst: Notwendig für die Demokratie und zum Schutz der Personen"
Fijáte 212 vom 21. Juni 2000, Artikel 1, Seite 1
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"Der neue Geheimdienst: Notwendig für die Demokratie und zum Schutz der Personen"
Edgar Gutiérrez war in den letzten Jahren einer der schärfsten linken Kritiker der militärischen und paramilitärischen Geheimdienste. In seinen Artikeln deckte er immer wieder die Verwicklung hoher Militärs in Korruptionsfälle und Politik auf. Er nahm kein Blatt vor den Mund, wenn es darum ging, die Verantwortlichen für Massaker und Menschenrechtsverletzungen zu nennen. Noch während dessen Wahlkampf hielt er mit Kritik an Alfonso Portillo und seiner Partei, der Republikanischen Front Guatemalas (FRG), nicht zurück. Heute ist Gutiérrez Leiter des präsidialen Sekretariats für strategische Analysen (SAE), des zivilen Geheimdienstes. Der Schritt vom kritischen Journalisten zum Regierungsmitglied stiess bei einigen VertreterInnen der Linken und der Menschenrechtsorganisationen und zum Teil auch in der Solidaritätsbewegung auf Unverständnis. Seine erste Aufgabe als Leiter des SAE ist es, diese Institution so zu reorganisieren, dass sie tatsächlich einen zivilen Charakter hat und unabhängig vom militärischen Geheimdienst funktioniert. Die folgende Rede hielt Edgar Gutiérrez vor der Vereinigung für einen Staat und die Förderung der demokratischen Sicherheit. Sie erschien am 24. April in der Tageszeitung El Periódico. Die Frage nach einer Kontrolle der Geheimdienste ist nur eine von mehreren Komponenten der dringend notwendigen Restrukturierung dieser Apparate. Aber sie muss ein wichtiger Bestandteil innerhalb eines neuen Geheimdienst-Konzeptes in demokratischen Zeiten sein. Die Garantie und Gewährleistung dieser Kontrolle ist ein wichtiger Indikator für den 'Gesundheitszustand' der Demokratie in unserem Land. Um das Thema in einen Kontext zu stellen, werde ich grob den Vorschlag skizzieren, den Präsident Portillo zur künftigen Rolle des Staates gegenüber der Zivilgesellschaft gemacht hat. Zentraler Punkt dabei ist, neue Beziehungsformen in Politik und Wirtschaft zu entwickeln, die die Mängel der wirtschaftlichen Elite und die verbreitete Klüngelwirtschaft ersetzen. Es geht darum, einen demokratischen Rechtsstaat aufzubauen, der nach klaren und gültigen Regeln und Normen funktioniert. Grundlagen dafür sind das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz und die Anerkennung der kulturellen Vielfalt. Das Ziel ist, ein für alle Mal die verdeckt funktionierenden Mächte auszuschalten und mit wirksame Massnahmen Übertretungen dieser Regeln und Normen sanktionieren zu können. Im Bereich Wirtschaft ist vorgesehen, den Markt anzukurbeln, indem der Staat Regulierungsmassnahmen festlegt. Dabei soll die Wettbewerbschance für alle Unternehmen gleich sein sowie der Schutz der KonsumentInnen und die soziale Mobilität gewährleistet sein. Wir sind überzeugt, dass es heute für die Armutsbekämpfung keine andere Wahl gibt, als die ständischen Strukturen unserer Gesellschaft aufzulösen. Mit andern Worten, wir wollen den sozialen Zusammenhalt stärken, um den unumgänglichen neoliberalen Herausforderungen des neuen Jahrtausends entgegentreten zu können. Ebenso wollen wir die düsteren und brutalen Auswirkungen mildern, die der Neoliberalismus auf geplünderte Gesellschaften wie die unsere hat. Ich beziehe mich dabei auf das enorme Risiko einer Verschlimmerung der Misere, der Margination, der Gewalt, und des Zerfallens demokratischer Werte. In der Politik ist eine umgekehrte Richtung einzuschlagen. Es soll nicht der Staat sein, der die Zivilgesellschaft lenkt, sondern die Zivilgesellschaft (inklusive Parteien und Presse) muss die staatlichen Aktivitäten regeln und lenken. Dies beinhaltet die Schaffung von Kontroll- und Überwachungsmechanismen, vordringlich für die Bereiche Korruption, Meinungsfreiheit und Einhaltung der Friedensabkommen. Es soll also die zivilgesellschaftliche Beteiligung gefördert werden. Die staatlichen Institutionen sollen so erweitert und gestärkt werden, dass politische Entscheidungen gemeinsam diskutiert und Kompromisse ausgehandelt werden können und nicht, wie bisher, über die Köpfe der Zivilgesellschaft hinweg entschieden wird. Nur so können Staat und Zivilgesellschaft gemeinsam am Aufbau und der Stärkung einer Demokratie arbeiten, die eine nachhaltige Entwicklung anstrebt. Soweit also der Vorschlag von Präsident Portillo. Wir, das Sekretariat für strategische Analysen (SAE), verpflichten uns diesem voll und ganz, und unter diesen Prämissen gehen wir die Reform der guatemaltekischen Geheimdienste an. Die Transformation der Geheimdienste soll zur Behebung gewisser Schwächen beizutragen, die durch die politischen Veränderungen in Guatemala ans Tageslicht gekommen sind und durch die Friedensabkommen offengelegt wurden. Die Aufrechterhaltung der herkömmlichen Geheimdienste war ein Fehler der bisherigen demokratischen Entwicklung. Es ist ein übler Nachgeschmack des Autoritarismus und ein Damoklesschwert, das über der psychischen und physischen Integrität und dem Wohlbefinden der BewohnerInnen dieses Landes hängt. Wir gehen von folgender Feststellung aus: Die Geheimdienste in Guatemala befinden sich in einer sozialen und politischen Legitimationskrise. Das alte Konzept der nationalen Sicherheit, das während des Kalten Krieges die Strukturen und Aktionsfelder der Geheimdienste bestimmt hatte, ist innerhalb einer Demokratie nicht mehr gültig. Es verlangsamt und behindert den Transformationsprozess nicht nur, sondern verunmöglicht die Verfolgung von Verbrechen und Straflosigkeit. Nach oben |
Diese Krise innerhalb der Geheimdienste kann nur überwunden werden durch seine umfängliche Restrukturierung. Einer solchen Restrukturierung muss eine Geheimdienst zu Grunde liegen, der im Interesse eines demokratischen Staates und zum Schutze der Bevölkerung konzipiert ist. So legt es auch die guatemaltekische Verfassung fest. Um ein solches Konzept zu gewährleisten, müssen drei verschiedene Geheimdienste geschaffen werden: Der militärische Geheimdienst, dessen Aufgabe es ist, die territoriale Integrität und die Verteidigung nach aussen zu garantieren. Der zivile Geheimdienst, der dem Innenministerium unterstellt ist und zur Aufgabe hat, das organisierte Verbrechen und den Drogenhandel zu bekämpfen. Der strategische Geheimdienst, dessen Aufgabe es ist, die durch die Globalisierung auf das Land zukommenden Gefahren zu analysieren. Deshalb ist der strategische Geheimdienst - und es ist ganz wichtig, dies nochmals zu betonen - nicht berechtigt, eigene Informationskanäle, das heisst eigene offene oder verdeckte AgentInnen zu haben. Die beste Art, die Betätigungsfelder der verschiedenen Geheimdienste zu definieren, ist über die Gefahren, denen jeder von ihnen zu begegnen hat. In diesem Sinne ist die Aufgabe des militärischen Geheimdienstes, das Land gegen bewaffnete Angriffe von aussen zu schützen. Der zivile Geheimdienst muss sich um die Probleme der Kriminalität kümmern und der strategische Geheimdienst muss längerfristige Politiken und Strategien erarbeiten, die die soziale Ungleichheit, die Ausbeutung von ökologischen Ressourcen, die Probleme der Migration, das Erziehungs- und Gesundheitswesen, das Finanzwesen, die Existenz von Monopolen etc. im Zentrum haben. Das heisst, all jene Faktoren und Institutionen, die einen Einfluss auf die Beständigkeit eines demokratischen Systems haben. Und zwar nicht nur für die Dauer einer bestimmten Regierungsperiode, sondern längerfristig, über mehrere Generationen hinweg. Dazu muss ein strategischer Entwicklungsplan erstellt werden, der mindestens die nächsten zwanzig Jahre umfasst. Gleichzeitig mit der Diskussion um das Konzept der neuen Geheimdienste und deren Aufgabenbereiche (in dem vor allem aufgezählt wird, wozu sie nicht berechtigt sind) müssen Kontrollmechanismen erstellt werden. Das Kontrollsystem muss unserer Ansicht nach auf drei Eckpfeilern beruhen: Der Zivilgesellschaft und deren Informations- und Petitionsrecht. Der Politik, durch die Gründung einer Parlamentskommission, deren Aufgabe die Überwachung der Geheimdienste, ihrer Budgets und Jahresplanung ist. Diese soll auch Sanktion ergreifen, wenn Normen nicht eingehalten werden. Der Justiz, um die rechtliche Verfolgung zu garantieren. Bei der Justiz liegt auch die Verantwortung, die BürgerInnen über Akten zu informieren, die der Staat möglicherweise über sie angelegt hat. Um die Arbeit dieser drei Kontrollinstanzen zu ermöglichen, muss in der Verfassung der Begriff 'Staatsgeheimnis' neu definiert werden. Es muss definiert werden, was ein Staatsgeheimnis ist und welche verschiedenen Stufen von Staatsgeheimnisssen es gibt, wer bestimmt, was ein Staatsgeheimnis ist und für wie lange etwas ein Staatsgeheimnis bleibt. Weiter muss definiert werden, wo die Grenzen liegen zwischen einem militärischen und einem diplomatischen Staatsgeheimnis. Bei all diesen Überlegungen muss die Einhaltung der Menschenrechte, des Rechts auf freie Meinungsäusserung, des Rechts auf Intimität und des Rechts auf Mobilität sowie anderer nationaler und internationaler Konventionen gewährleistet sein. Ich möchte zum Schluss noch die fünf Prinzipien aufzählen, die die SAE vorschlägt - und nach denen sie sich richtet - um die Geheimdienste für das Funktionieren in einem demokratischen Staat zu reorganisieren. Diese Prinzipien sind: Menschenrechte, Legalität, Transparenz, Zivilität, Institutionalisierung. Dies bedeutet, dass die uneingeschränkte Einhaltung der Menschenrechte der Rahmen aller Aktivitäten der SAE ist. Die Aktivitäten der SAE, ihre Planung, Ausführung und die Information darüber, finden auf den Grundlagen nationaler und internationaler rechtlicher Ordnung statt. Ausführliche und umfassende Information über die Aktivitäten der SAE, sowie die Herkunft der Informationen, sollen der Öffentlichkeit in klarer Form zugänglich sein. Es soll Transparenz gewährleistet sein beim Gebrauch, der Herkunft und der Veröffentlichung jeglicher Art von Information und Geheimdiensttätigkeit. Mit Zivilität ist gemeint, dass alle Menschen, die mit der SAE zusammenarbeiten, Zivilpersonen sind, mit Ausnahme derjenigen Gebiete, die wegen ihrer Spezifik Militärspezialisten voraussetzen. Das Prinzip der Institutionalität heisst, dass die SAE ihre Aktionen, Aktivitäten, Ressourcen, Vorgehensweisen und Informationen nicht dem Interesse von Einzelpersonen oder Gruppierungen unterordnet. Die Kritierien für Personalauswahl und Vorgehensweise innerhalb der SAE richtet sich nach denselben Prinzipien, die wir auch für das Funktionieren aller nationalen Geheimdienste vorschlagen. |
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