Hauptsache "organisiert"?
Fijáte 307 vom 7. April 2004, Artikel 6, Seite 5
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Hauptsache "organisiert"?
Guatemala, 31. März. Es braucht offensichtlich immer wieder erst offizielle Anlässe, um manche Themen aufs öffentliche Tapet bzw. in die Diskussion zu bringen. So auch den anhaltenden, alltäglichen und allgegenwärtigen Rassismus und die entsprechende Diskriminierung, denen die indigene Bevölkerung in Guatemala ausgesetzt ist. Bei der Eröffnung der "Woche der Solidarität mit den Völkern, die gegen die Diskriminierung und den Rassismus kämpfen" am 21. März, dem Internationalen Tag gegen rassistische Diskriminierung, der 1966 von den Vereinten Nationen in memoriam an 69 Opfer des Apartheidregimes in Südafrika verkündet wurde, fühlte sich Vizepräsident Eduardo Stein veranlasst, die Verpflichtung einer mittelfristigen, tief greifenden Transformation des Staates, zu der sich die Regierung aufgrund der von Stein durchaus anerkannten ethnischen Exklusion motiviert sieht, zu bestätigen. Diverse Menschenrechtsorganisationen, darunter auch akademische und juristische Institutionen, die die Regierung permanent zur Einhaltung der ratifizierten (inter)nationalen Abkommen, wie der Konvention 169 über die indigenen Völker und Stämme der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) oder u.a. das Gesetz der Nationalen Sprachen, ermahnen, organisierten für die genannte Solidaritätswoche zahlreiche Diskussionsforen. Ziel war, gemeinsam mit RegierungsvertreterInnen konkrete Massnahmen zu beschliessen und dem latenten sozialen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Ausschluss der Mayas, Garífunas und Xincas ein Ende zu bereiten. Auf deren Drängen hin ist inzwischen eine fünfköpfige Präsidiale Kommission gegen die Diskriminierung und den Rassismus gegen die Indigenen Völker Guatemalas (CODISRA) einberufen worden. Ende des Monats wurde nach zwei Jahren intensiver Bemühungen zudem die Körperschaft der MayaKonsultation geschaffen, in der 250 indigene VertreterInnen, die bei lokalen Versammlungen in den Departements gewählt wurden, nun dafür verantwortlich sind, Politikansätze zugunsten der Maya-Kollektive zu entwerfen und ins Gespräch mit der Regierung zu kommen, um diese Ansätze auch umzusetzen. Für die indigene Führungsfrau Juana Batzibal "ist dieser Moment historisch, denn wir verwirklichen die nationalen und internationalen juristischen Instrumente, die den Staat dazu verpflichten, das Maya-Volk auf allen Ebenen hinsichtlich jeglicher Aspekte der Entwicklung zu konsultieren." Ovidia Román, Koordinatorin der Defensoría Indígena von Alta- und Bajaverapaz nennt als Beispiel der bestehenden Marginalisierung der Indígenas die Landsituation: "65% der kultivierbaren Böden sind im Besitz von 2,1% der Bevölkerung. Und drei von vier Familien, die in extremer Armut leben, sind Indígenas." Ein weiteres Beispiel für Rassismus und Diskriminierung durch den Staat sei die Gesetzgebung, die monokulturell ausgerichtet sei und allein die nicht-indigene Bevölkerung einschliesst. Das indigene Gewohnheitsrecht würde dabei neben anderen Aspekten völlig missachtet. Am 30. März, dem 10. Jahrestag der Unterzeichnung des Friedensabkommens über die Menschenrechte und dem 9. Jahrestag der Unterzeichnung des Friedensabkommens der Identität und des Rechts der indigenen Völker, wurde gemeinsam mit zahlreichen BäuerInnen- und Menschenrechtsorganisationen eine landesweite Demonstration organisiert, mittels der Präsident Berger dazu aufgefordert wurde, sich nach seinen Versprechen und gar unterschriebenen Abkommen während seiner Wahlkampagne ein zweites Mal dazu zu verpflichten, in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit Aktionen zur Bekämpfung des Rassismus in die Wege zu leiten (siehe auch nebenstehender Artikel). Doch bislang fehlt diesbezüglich jegliche konkrete Spur. Dieses Mal unterschrieb Berger die "Gemeinsame Maya-Agenda", die u.a. die Agrar- und Lohnproblematik, die Implementierung eines ländlichen Entwicklungsplans sowie die politische Beteiligung der marginalisierten Sektoren umfasst. Gerade letztere lässt besonders zu Wünschen übrig. Gerade einmal vier indigene VertreterInnen, darunter Rigoberta Menchú als Sonderbotschafterin, Vitalino Similox, der zu Menchús Team gehört, Manuel Salazar Tesahuic, Kulturminister und Victor Montejo, Leiter des Friedenssekretariats (SEPAZ) sind an der aktuellen Regierung beteiligt. Nach oben |
Diese repräsentieren somit schätzungsweise 40% der Bevölkerung. Die Anerkennung der Diskriminierungsproblematik durch die Regierung ist durchaus ein erster Schritt. Doch solange keine wirklichen Taten geschehen, ist die indigene Bevölkerung gegenüber den Diskursen der Mandatsträger wie Stein und Berger skeptisch und bezeichnet sie als populistisch. Der potentiell positive Einfluss des Vizepräsidenten wird aufgrund der Unternehmenslastigkeit der Regierung deutlich in Frage gestellt. Gleichzeitig sieht sich die indigene Bewegung einer inneren Uneinigkeit gegenüber, der sie mittels der Gründung der Körperschaft der Maya-Konsultation sowie der Organisationsvereinigung Maya-Raum und -Koordination Waqib Kej zu entgegnen sucht. Der ehemalige Bürgermeister von Quetzaltenango, Rigoberto Quemé, beobachtet, dass an manchen Orten die ausschliesslich indigene Bevölkerung nicht-indigene Autoritäten bevorzugt. "Es herrscht eine mentale Kolonisierung vor, es besteht kein Vertrauen zwischen uns", so Quemé. Auf lokaler Ebene scheint die indigene Bevölkerung an Einfluss zu gewinnen. Sie hat mit der letzten Wahl zehn Bürgermeistereien mehr jetzt insgesamt 119 für sich entschieden, während die Beteiligung in der Regierung und im Kongress proportional abgenommen hat (13:113 bzw. 15:158). Der indigene Aktivist Mario Rivera stellt fest, dass einige politische Parteien indigene KandidatInnen als "Marionetten" wählten, um indigene Stimmen zu sichern. Doch sie würden sich in keiner Weise der Maya-Gemeinde verpflichtet fühlen. Und die Indígenas selbst verfügten meist nicht über die finanziellen Mittel, eine eigene politische Kampagne zu finanzieren. Derweil hat Oscar Berger Rosalina Tuyuc, Gründerin der Witwenvereinigung CONAVIGUA zur Koordinatorin des Nationalen Entschädigungsprogramms (PNR) für die Opfer des bewaffneten Konflikts ernannt. Dies wird allgemein als ein (mindestens symbolischer) Erfolgt gefeiert, erfüllt Tuyuc doch die ansonsten meist diskriminierten Eigenschaften, Frau, Indígena und Opfer des Krieges zu sein. Gelder für dieses Programm stehen indes noch nicht zur Verfügung. Ausserdem störte sich Tuyuc zu Recht daran, dass Berger mit dieser Ernennung vor allem sich selber ins Rampenlicht stellte, verkündete er sie doch als eine seiner Antworten auf die Manifestation vom 30. März, ohne jedoch vorher Rosalina über seinen Entscheid zu informieren. "Ein Beispiel unterschwelligen Rassismus", nennt dies Maria Caníl, Vertreterin von CONAVIGUA. |
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