Fortschritte im Fall Gerardi
Fijáte 193 vom 8. Sept. 1999, Artikel 1, Seite 1
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Fortschritte im Fall Gerardi
Während der sechzehn Monate seit der Ermordung von Bischof Juan Gerardi, haben der Präsident Alvaro Arzú, der Aussenminister Eduardo Stein und der Privatsekretär Arzú's, Gustavo Porras immer wieder versucht, die Aufmerksamkeit von den staatlichen Institutionen abzulenken. "Das Militär ist gesäubert", sagten sie vor der Wahrheitskommission, "die Luftwaffe hat sich die Hände nicht schmutzig gemacht während des Krieges", entgegneten sie der internationalen Öffentlichkeit und "wir können denjenigen nicht misstrauen, die für die Sicherheit des Präsidenten verantwortlich sind", entgegneten sie dem erzbischöflichen Menschenrechtsbüro (ODHA). Nun gibt es aber gleich zwei Indizien, die auf eine Beteiligung des Generalstabs des Präsidenten (EMP) und auf ein politisches Motiv am Mord Gerardis hinweisen: Die vom amerikanischen Geheimdienst CIA durchgeführten DNA-Analysen ("genetischer" Fingerabdruck, der es ermöglicht, anhand eines Haares, Haut oder Kleidungsstückes einer Person, ihre Identität festzustellen), sowie die Aussagen eines ehemaligen Mitarbeiters des EMP. Jorge Manuel Aguilar Martínez, ehemaliger Spezialist des Generalstabs des Präsidenten (EMP) brachte in seiner Zeugenaussage diese militärische Spezialeinheit in einen direkten Zusammenhang mit dem Mord an Bischof Gerardi. Offiziell ist der EMP - dessen Auflösung auf Ende Jahr angekündigt ist - eine von der Armee unabhängige Institution, deren Aufgabe es ist, die Sicherheit des Präsidenten und seiner Familie zu garantieren. Immer wieder war jedoch der Generalstab des Präsidenten an verschiedenen Menschenrechtsverletzungen beteiligt (z.B. an der Ermordung der Antropologin Myrna Mack). Aguilar Martínez ging in seiner Aussage soweit, den Namen und den Übernamen des Täters zu nennen, welche aber aus "verfahrenstechnischen" Gründen nicht veröffentlicht wurden. Laut Aguilar Martínez wurde die Ermordung Gerardis von langer Hand vorbereitet und ein Spezialplan erstellt für den Tag des Verbrechens. Angezettelt wurde gemäss Aguilar Martínez die ganze Sache von Francisco Escobar Blas, einem Hauptmann a.D. des EMP, Byron Lima Oliva, sowie einem Dritten, den er als Hauptmann Dubois identifizierte. (Die Namen der beiden Ersten tauchten schon ganz zu Beginn der Untersuchung auf, rückten jedoch mit der Verhaftung des Priesters Mario Orantes wieder in den Hintergrund.) Die genannten Offiziere hätten die Infrastruktur des EMP benutzt, um das Gebiet um das Pfarrhaus, in dem der Mord begangen wurde, "sauber" zu halten, d.h., sie sperrten die Strassen ab, damit sie und ein paar ihrer Vertrauensleute ungestört "operieren" konnten. Weiter sagte der Zeuge aus, im Gebäude des EMP befände sich der weisse Toyota, welcher in der Mordnacht in der Nähe der Kirche San Sebastián gesehen worden sei. Das von andern Zeugen identifizierte Autokennzeichen sei ebenfalls auf den Namen des EMP ausgestellt. Das folgende Zitat entstammt der Zeugenaussage Jorge Manuel Aguilar Martínez: "Am 26. April habe ich um 18.00 Uhr meinen Dienst angetreten. Der Kollege, der die Übergabe machte, sagte, es sei nichts Aussergewöhnliches vorgefallen. Der Dienstchef an diesem Tag war Hauptmann Dubois. Um 20.30 Uhr fuhr ein roter Trooper mit dem Kennzeichen 8201 vor, darin sassen der Hauptmann Francisco Escobar Blas, der Spezialist Galindo, sowie zwei weitere Spezialisten des Sicherheitsdienstes, früher G2 genannt. Hauptmann Dubois wies mich an, die Ankunft dieses Fahrzeuges sowie dessen Passagiere nicht in meinem Dienstprotokoll zu vermerken. Ich solle einzig das Telefon bedienen und die Anrufe weiterleiten. Nach oben |
Um 22.30 fuhr ein Fahrzeug des EMP vor. Darin sassen der Hauptmann Lima Oliva und ein junger Mann, sowie drei weitere Personen, welche die Gesichter mit schwarzen Mützen bedeckt hielten und dunkle Brillen trugen. Lima Oliva stieg aus und ging direkt ins Büro des Obersten Rudy Pozuelas, dem damaligen Chef des EMP. Zurück kamen die beiden, Lima und Pozuelas und stiegen in das Fahrzeug. Fünf Minuten später erhielt ich einen Anruf, den ich weiterleitete und der lautete: Es gibt ein "18" (Problem). Hauptmann Dubois hat sofort alle zur Verfügung stehenden Leute mobilisiert." Nachdem er seine Aussage gemacht hatte, ging der Zeuge mitsamt seiner Familie aus Sicherheitsgründen ins Exil. Insgesamt arbeitete Aguilar Martínez während neun Jahren beim Generalstab des Präsidenten. Er arbeitete in den verschiedensten Funktionen beim EMP, vom Kellner bis zum stellvertretenden Dienstchef. Am Tag des Mordes an Juan Gerardi kontrollierte er die vor- und wegfahrenden Fahrzeuge, weshalb er auch den verdächtigen Wagen identifizieren konnte. Seitens des Militärs heisst es, Aguilar Martínez sei bloss ein einfacher Pförtner mit Geldproblemen. Die Pressestelle des Militärs (DIDE) bestätigte, dass der neue Zeuge im Fall Gerardi Pförtner des Nationalpalates gewesen war und der Armee angehörte. In einer Pressekonferenz der DIDE wurde ein Lohnausweis von Aguilar Martínez präsentiert, der über eine Summe von 1600 Quetzales (rund 240 US-$) ausgestellt ist. Dabei wurden wieder die finanziellen Probleme des Zeugen erwähnt und auf die Möglichkeit hingewiesen, er könnte seine Aussage gegen Geld gemacht haben. Laut DIDE ist es ausserdem unmöglich, dass Aguilar Martínez als Pförtner an die von ihm ausgesagten Informationen gekommen sei. Nery Rodenas vom erzbischöflichen Menschenrechtsbüro (ODHA) bezeichnet Aguilar Martínez als einen sehr wichtigen Zeugen im Falle Gerardi. Seine Aussagen decken sich mit denjenigen anderer Zeugen, z.B. mit der des Taxifahrers Jorge Diego Méndez Perussina, bezüglich des Autokennzeichens des weissen Toyotas. Bischof Mario Rios Montt, Koordinator des ODHA hofft, dass der Staatsanwalt Celvin Galindo und die Richterin Flor de María García die Aussagen des Zeugen ernst nehmen. José Toledo, der Anwalt des während mehreren Monaten in Untersuchungshaft gesessenen Priesters Mario Orantes, bezeichnet die Aussage Aguilar Martínez als glaubwürdig, seriös und einleuchtend. Staatsanwalt Celvin Galindo bezeichnet den Zeugen ebenfalls als glaubwürdig und bestätigt, dass sich seine Aussage in Vielem mit den von der Staatsanwaltschaft erbrachten Beweisen decke. Doch die Sache ist voller Widersprüche: In dem vom Verteidigungsministerium dem Gericht eingereichten Dienstbuch von jenem 26. April 1998, erscheinen zwei Einträge über Ein- und Ausgänge von Personal, die nicht von Aguilar Martínez stammen und die laut ihm auch gar nicht stattgefunden haben. Da die Einträge handschriftlich sind, wird nun ein graphologisches Gutachten erstellt. Die Richterin Flor de María García hat dem Antrag der Staatsanwaltschaft entsprochen und dehnt die Untersuchung auf den EMP aus. Die Lohnlisten der Jahre 1994/95 und 1998/99 sollen geprüft werden sowie die Dienstbücher derselben Jahre über die Kontrolle der Fahrzeuge dieser Institution. Der Staatsanwalt Celvin Galindo fordert die sofortige Untersuchung dieser Dokumente, um zu verhindern, dass sie zerstört werden oder verschwinden. Sie seien äusserst wichtig für die Beweisführung und eine spätere Verhandlung. Galindo sieht einer baldigen Aufklärung des Falles Gerardi positiv entgegen. Die Resultate der DNA-Analysen hätten die Untersuchung um einiges vorangetrieben. Sechs Personen hätten definitv von der Verdächtigenliste gestrichen werden können. Unter den weiterhin Verdächtigen befänden sich der Hauptmann Byron Lima Oliva, dessen Vater, Oberst Byron Disrael Lima Estrada, der Mayor Francisco Escobar Blas, sowie fünf weitere Militärs. Die Staatsanwaltschaft erhöhte die Sicherheitsvorkehrungen für drei AnwältInnen, unter ihnen Celvin Galindo, der Todesdrohungen erhielt, nachdem er die baldige Aufklärung des Falles Gerardis angekündigt hatte. |
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