Lesben und Schwule in Guatemala
Fijáte 194 vom 22. Sept. 1999, Artikel 1, Seite 1
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Lesben und Schwule in Guatemala
Seit dem Friedensvertrag haben sich viele marginalisierte Gruppen organisiert: BäuerInnen, Frauen, Indigenas. Von der guatemaltekischen Gesellschaft weitgehend unbeachtet kämpfen Homosexuelle um Gleichberechtigung. Der folgende Artikel erschien unter dem Titel "Rosa- Lila- Guatemala" in der Juli-Ausgabe des österreichischen Guate-Infos. In den 70er Jahren bildete sich in Guatemala eine kleine homosexuelle Gemeinschaft heraus. Man traf sich in ein paar Lokalen, die aber in Zeiten der grössten Repression Anfang der 80er Jahre durch mehrere Bombenanschläge und Polizeirazzien sehr reduziert wurden. Später, als AIDS endgültig zu einem Thema in der Szene geworden wurde, gab es erneut Ansätze, sich zu organisieren. Im Jahre 1996 wurde OASIS (Organisation zur Förderung einer Integralen Sexualität im Zeitalter von AIDS) gegründet, um über die Immunschwäche Aufklärungsarbeit zu leisten. Darüber hinaus zeigten in diesem Jahr Schwule und Lesben sich und ihr gewachsenes Selbstbewusstsein wieder in der Öffentlichkeit: Es gab einschlägige Kulturveranstaltungen, und Homosexuelle nehmen an Demonstrationen und Märschen (z.B. auch am "Marcha por la Paz" am Tag der Friedensvertragsunterzeichnung) teil. Gemeinhin gilt OASIS als eine rein schwul-lesbische Organisation, doch offiziell hat sie sich nie so deklariert - zu gross ist der Druck der Gesellschaft. So lässt sich auch erklären, warum OASIS die Mitarbeit von Luis Palencia - besser bekannt unter seinem Transvestitennamen "Conchita" - geleugnet hat, nachdem dieser 1997 auf offener Strasse ermordet worden war. Gewalt gegen SchwuleFernando Bances, einer der Mitbegründer von OASIS, weiss von mindestens sieben Schwulen, die seitdem auf ähnliche Weise umgekommen sind. Genaue polizeiliche Nachforschungen wurden nicht angestellt, in den Akten erscheinen die ermordeten Schwulen als Opfer "normaler Gewaltverbrechen". Im Fall von Conchita gab es aber doch auch in den Zeitungen einiges zu lesen, obgleich die guatemaltekischen Printmedien eher Sensationslust als den Willen zu genauer Information gezeigt haben. Bezeichnend für die guatemaltekische Presse ist auch, dass nach der Ermordung von Weihbischof Gerardi anfangs ein "schwuler" Hintergrund gesucht wurde, der wohl durch eine gesellschaftliche Phobie Homosexuellen gegenüber zu erklären ist. Homosexualtiät gibt es offiziell nichtDas Thema Homosexualität ist in der guatemaltekischen Gesellschaft tabu. Es wird weder in einem Gesetz noch in der Verfassung erwähnt. Da es aber in der Verfassung heisst, dass alles, was nicht verboten ist, erlaubt ist, könnte angenommen werden, dass Schwule und Lesben die Staatsgewalt nicht zu befürchten haben. Die Realität sieht allerdings anders aus: Immer wieder führen einzelne Gruppen der Polizei Razzien gegen Schwule und Lesben durch, als Verhaftungsgründe werden andere "Vergehen" vorgeschoben. Fernando Bances ist in den letzten Monaten zweimal Opfer solcher Willkür geworden, nur durch die Kenntnis seiner Rechte ist ihm dabei nichts passiert. Aber viele Homosexuelle sind nicht so gut informiert. Ein Opfer derartiger Übergriffe zu werden gilt zudem oft als Schande. Die Opfer schämen sich und Meldungen bei MINUGUA (Mission der Vereinten Nationen für Guatemala) oder beim Menschenrechtsprokurator - einer vom Parlament ernannten Institution - bleiben deshalb meist aus. Fernando Bances steht in Kontakt mit den genannten Institutionen. Nach oben |
Während Mitarbeiter von MINUGUA, die in ihren Menschenrechtsberichten immer wieder von Gewalt gegenüber Homosexuellen sprechen, den genauen Tathergang bei Übergriffen aufnehmen, hat sich der Menschenrechtsprokurator anfangs geweigert, in seinen Berichten "Intoleranz gegenüber Homosexuellen" als Grund für Übergriffe anzugeben. Zusammenfassend kann man sagen, dass Schwule und Lesben einer Front der Ablehnung gegenüberstehen. In der guatemaltekischen Gesellschaft, die Familie und Kinder als den grössten Segen ansieht, gelten Homosexuelle als "unproduktiv". Es besteht grosser Druck, zu heiraten. Fernando Bances meint, dass mehr als 50 Prozent aller Schwulen Eheringe tragen. Am meisten fürchten guatemaltekische Schwule und Lesben den Ausschluss aus der Familie und den Verlust der Arbeit. Begründete Ängste: Schon mehrmals wurden Homosexuelle, die an Demonstrationen teilnahmen wegen in Zeitungen veröffentlicheter Fotos gekündigt. Lesben in GuatemalaFrauen haben unter dem herrschenden "Machismo" in Guatemala sehr zu leiden. Der Grossteil der Frauen ist abhängig von den Männern, sowohl Arbeitsplätze als auch gerechte Löhne für Frauen sind selten. Eine Tatsache, die natürlich auch Lesben betrifft. Um ihre Situation zu verbessern, haben lesbische Frauen vor ein paar Jahren die Gruppe "Mujeres SOMOS" (Frauen sind wir!) gegründet. Eine schwierige Aufgabe. Bei der diesjährigen Demonstration am Tag der Frau haben die Frauen von Mujeres SOMOS durchwegs Kapuzen getragen - aus Angst, erkannt zu werden, und aus Angst vor Repression. Schwule und Lesben in Guatemala leben nach wie vor in sehr autoritären Verhältnissen. Zur Zeit kursiert das Gerücht, dass von den konservativen Parteien demnächst ein Gesetz zur Kontrolle von Prostitution im Kongress eingebracht werden soll, das auch Homosexualität unter Strafe stellen würde. Um sich noch selbstbewusster präsentieren zu können, wäre eine bessere interne Organisation der homosexuellen Gemeinde nötig. Viele Betroffene sind sich dieser Problematik nicht bewusst. In den letzten Jahren hat sich so manches durch die Initiative von Einzelpersonen geändert. Ein koordiniertes, gemeinsames Handeln würde aber den Kampf der Schwulen und Lesben um Gleichberechtigung in der Gesellschaft erleichtern. Die Toleranz einer Gesellschaft kann vor allem an ihrem Umgang mit Minderheiten abgelesen werden. In diesem Punkt muss sich in Guatemala noch einiges verbessern. |
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