Der dunkle Handel mit dem Licht: Erzeugung und Kommerzialisierung von elektrischem Strom
Fijáte 455 vom 3. März 2010, Artikel 1, Seite 1
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Der dunkle Handel mit dem Licht: Erzeugung und Kommerzialisierung von elektrischem Strom
Víctor Ferrigno F., Jurist, Akademiker und Journalist, veröffentlichte diesen Text in seiner vollen Länge in der Revue Diálogo von FLACSO (N. 8, 3. Edition, Nov. 2009) und geht der Funktionsweise des guatemaltekischen Elektrizitätssystems auf die Spur, wobei er darstellt, wie dieses konstituiert ist, welche Probleme und Risiken bestehen und wer Vorteile daraus zieht, die zu Lasten des nationalen Interesses und der VerbraucherInnen gehen. Guatemala verzeichnet die höchsten Strompreise in ganz Zentralamerika. Die Nachfrage nach Strom entspricht mehr oder weniger dem Angebot; die Erzeugung hängt fast ausschliesslich von Kohlekraftwerken ab, welche Umweltverschmutzungen verursachen. Die Kosten werden sozialisiert, der Nutzen privatisiert, und der Gesetzesrahmen, der diesen Prozess von der Energiegewinnung bis hin zum Verkauf reguliert, ist undurchsichtig. Aufgrund dieser fünf Probleme wurde 1996 der Gesetzesrahmen geändert, was allerdings zu einer Verschlimmerung der Situation führte. Dazu kommt, dass heutzutage die Interessen privater Firmen das Elektrizitätssystem bestimmen, da der Staat mehr oder weniger auf seine Verantwortung verzichtet und sein Entscheidungsrecht abgegeben hat, obwohl die Energieversorgung Teil der nationalen Sicherheit ist. Die Privatisierung einer strategischen DienstleistungDas Nationale Elektrizitätswerk (INDE) wurde 1959 erschaffen. Die Administration setzt sich aus einer Geschäftsleitung und einem Rat zusammen, in dem verschiedene Ministerien (Energie und Bergbau, Wirtschaft) und Interessensgruppen (Stadträte, Firmen und Gewerkschaften) vertreten sind. Die Geschäftsleitung verwaltet ein Budget von mehr als 2,2 Milliarden Quetzales jährlich. ExpertInnenen bestätigen, dass die RepräsentantInnen im Administrationsrat sowie die Geschäftsleitung des INDE eigentlich von privaten Firmen gestellt werden, die oft mit den jeweiligen Regierungsmitgliedern unter einer Decke stecken, die dann auch AktionärInnen der Strom erzeugenden oder verkaufenden Firmen sind. Aufgrund des Golfkrieges, der die Erdölpreise in die Höhe schiessen liess, begannen in Guatemala nach 1992 verschiedene private Energieerzeuger zu operieren. Diese Unternehmen übten Druck aus, um eine Reform des Elektrizitätssektors zu erzwingen. Diese Reform zielte auf ein System gemischter Beteiligung (Regierung und privater Sektor) und wurde 1996 während der Regierungszeit von Álvaro Arzú durchgesetzt. In diesen Jahren vollzog sich ein allgemeiner Privatisierungsprozess und eine Restrukturierung des Landes. Das Elektrizitätssystem wurde in vier Bereiche unterteilt: Energieerzeugung, Transport, Verteilung und Verkauf. Dabei zählen 31 Unternehmen zu den Energieerzeugern, mit Ausnahme des INDE sind alle privater Natur. Das INDE ist auch für den Transport verantwortlich, zusammen mit zwei weiteren privaten Firmen. Die Distribution verteilt sich auf 16 öffentliche und drei private Unternehmen, der Verkauf auf 14 Privatunternehmen. Von den 67 am Stromgeschäft beteiligten Unternehmen sind also gut drei Viertel privater Natur, ihre Hegemonie ist somit klar erkennbar - obwohl laut Gesetz dem Ministerium für Energie und Bergbau (MEM) die Planung, Koordinierung und Kontrolle zusteht, die es über die unabhängige Nationale Kommission elektrischer Energie (CNEE) ausübt. Die CNEE wird allerdings ebenso von privaten Initiativen beeinflusst. Das INDE erklärt auf seiner Webseite, dass ein Ziel der Reform war, die VerbraucherInnen zu schützen, und deshalb Erzeugung, Transport und Verteilung des Stroms in drei verschiedene Bereiche aufgeteilt wurden. Das Unternehmen zur Verteilung der elektrischen Energie (EDEE) wurde später regionalisiert. Ab 1998 operierten die Gesellschaften DEORSA im Osten und DEOCSA im Westen des Landes. 91,4% der Aktien der beiden Unternehmen sind im Besitz der spanischen Firma Unión Fenosa. StromkonsumentInnen befinden sich in völliger Schutzlosigkeit, da es keine Transparenz in den Verträgen und Transaktionen gibt, in den Rechnungen die Preise nicht zu finden sind und Beschwerden von Seiten der VerbraucherInnen nicht nachgekommen wird. Allein zwischen Januar und Mai 2009 erhielt die CNEE rund 90'000 Anzeigen gegen DEORSA und DEOCSA. Auch ist in den Rechnungen nicht zu erkennen, wann Unterbrechungen in der Stromversorgung stattfanden und wie diese kompensiert wurden. Laut ExpertInnen gibt es im Durchschnitt 16 Stunden Stromunterbrechung pro 1000 Stunden gelieferten Strom, was den internationalen Standard überschreitet. Diese Zustände führten dann letztendlich zu massiven Demonstrationen, wie im Juli 2006 in Totonicapán oder letzten Dezember in San Marcos: Am 1. Dezember demontierte Unión Fenosa fünf Stromtransformatoren und liess somit 38 Gemeinden ohne Licht. Begründet wird dies von der Firma mit den Schulden der BürgerInnen, die ihre (überteuerten) Rechnungen nicht bezahlt haben und durch Sabotageakten an Stromleitungen (die von MitarbeiterInnen von Firmen, die bei Unión Fenosa unter Vertag stehen, begangen wurden). Darauf kam es zu Protesten von Seiten der Bevölkerung. Dabei wurden vier Personen ermordet, 250 Haftbefehle ausgeführt und vier Ausnahmezustände verhängt, die am 22. Dezember begannen und noch mindestens bis zum 20. Februar andauern. Wenige Firmen erleben soviel Zurückweisung von der Bevölkerung wie DEOCSA und DEORSA, welche freie Hand bei der Kommerzialisierung des Stromflusses haben und keiner Kontrolle durch das MEM oder die CNEE ausgesetzt sind, obwohl letzterer diese Aufgabe laut Gesetz zukommt. Auch könnte man sich als VerbraucherIn fragen, warum in der Regenzeit die Tarife nicht sinken, obwohl die Stromgewinnung um 25% ansteigt und die Kosten um bis zu 300% sinken. Aber die Tarifberechnung ist für die BürgerInnen eh unverständlich, weshalb man auch nie weiss, wie viel man nun wirklich zahlt und aufgrund welcher Berechnungsgrundlage. Die Reform und die Privatisierung sollten dafür sorgen, dass das Monopol des INDE über das Elektrizitätsnetz gebrochen wird. Aber nur die grössten VerbraucherInnen (um die 800 an der Zahl) können frei entscheiden, welche Firma ihnen den Strom erzeugt und liefert. Die elektrische Zusammenschaltung wächst auf Kosten der VerbraucherInnenDie geteilte Stromerzeugung (Staat, private Unternehmen) erhöhte in bedeutender Weise die Kapazitäten des Systems der Nationalen Verbundwirtschaft (SNI), welches ein Netz von Stromwerken und -verteilern darstellt. Diese sind durch ein Transportsystem verbunden, das fast gänzlich auf Kosten der VerbraucherInnen gebaut wurde, aber an welchem vor allem die Strom erzeugenden und verteilenden Firmen verdienen. Das SNI arbeitete bis Dezember 2008 in 21 der 22 Departements. Der Peten wurde dann im April 2009 angeschlossen - mit fünf Jahren Verspätung hinsichtlich der Planung. Der Nichtanschluss des Peten bedeutete, dass ein Drittel des nationalen Gebietes nicht an das Stromnetz angeschlossen war. Und selbst die angeschlossenen Gebiete sind nicht vollständig abgedeckt, da abgelegene Dörfer nicht angebunden sind. Man verzeichnet ein Defizit zwischen 10 und 30% in den verschiedenen Departments, wobei in Alta Verapaz, wo mit Chixoy das grösste Wasserkraftwerk Guatemalas liegt, die Stromversorgung nur 43% abdeckt. Die 3500 Dörfer, die ohne Strom auskommen, sind gleichzeitig die ärmsten des Landes und werden hauptsächlich von indigenen Menschen bewohnt. Dies reflektiert, dass die Interessen der Firmen und der Verbundwirtschaft wirtschaftlicher Natur sind und nichts zur Entwicklung des Landes beitragen. Nach oben |
Die Stromversorgung stieg zwischen 1996 und 2008 von 59,1% auf 83,5% an. Allerdings geschah dies aufgrund öffentlicher Investition und nicht privater, ausser vielleicht in städtischen Gebieten oder für die GrossverbraucherInnen. Seit 1998 verfolgt das INDE auch den aggressiven Plan der ländlichen Elektrifizierung (PER). Dies geschieht durch die Privatisierung der Distribution und wird durch die von Unión Fenosa aufgekauften Firmen DEOCSA und DEORSA ausgeführt. Auf regionaler Ebene haben die Regierungen Zentralamerikas vor mehr als einer Dekade vereinbart, das System der Zentralamerikanischen Elektrischen Verbundswirtschaft (SIEPAC) auszubauen. Dies umfasst den Bau eines Netzes von 230 kV zwischen Panama und Guatemala mit dem Ziel, den regionalen Elektrizitätsmarkt weiter zu entwickeln und die Stromversorgung abzusichern. Der Kostenpunkt liegt bei 370 Millionen US$. Zu diesem Zweck haben die Regierungen die Firma Empresa Proprietaria de la Línea de Transmisión Eléctrica S.A gegründet, die das Projekt plant, finanziert, baut und erhalten soll. Dieser Allianz haben sich die Firma ENDESSA Internacional aus Spanien und die Firmengruppe ISA aus Kolumbien angeschlossen. Was Guatemala ursprünglich am SIEPAC interessierte, ist vor allem der Verkauf von Strom, da bis auf Costa Rica alle Länder der Region ein Defizit in der Stromerzeugung aufweisen. Aber in aussergewöhnlichen Momenten wie bei ausbleibendem Regen kann SIEPAC die Stromnachfrage Guatemalas decken. Weiterhin unterschrieb 2006 Guatemala ein Abkommen mit Mexiko, um eine elektrische Verbindung im Rahmen des damaligen Plan Puebla Panama (heute Plan Mesoamerica) auszubauen. Die Nachfrage übersteigt das Angebot in einem Kontext von sozialen KonfliktenLaut Daten des MEM verbraucht das Land fast den gesamten erzeugten Strom. Ausgehend davon, dass wenigstens 15% als Reserve für Notfälle gespeichert sein müsste, bedeutet dies, dass die Nachfrage das Angebot überschritten hat bzw. ihm gleichkommt, also keine Stromreserve aufzuweisen ist. Das heutige Elektrizitätsmodell funktioniert also nicht. Um dem entgegenzuwirken und um die Abhängigkeit vom Öl zu verringern, verfolgt das INDE seit 2004 den Strategischen Plan von hydroelektrischen Projekten. Dieser beinhaltet den Bau von mehreren kleinen und einem grossen Wasserkraftwerk (z. B. Xalalá, siehe ¡Fijáte! 444). So gab Álvaro Colom im Mai 2008, inmitten der steigenden Erdölpreise an, dass fünf Wasserkraftwerke und drei Kohlekraftwerke erbaut werden, die bis 2014 in Betrieb gehen sollen. Somit würde man die Energieerzeugung aus Ölderivaten auf 4,3% senken. In diesem Sinne setzt Colom auf erneuerbare Energiequellen, doch in Anbetracht der Dringlichkeit griff er erstmal auf Kohle zurück, mit der schneller Energie produziert werden kann, die aber auch weit mehr verschmutzt. Auf kurze Sicht ist die einzige Lösung die elektrische Zusammenschaltung mit Mexiko, welche im Oktober letzten Jahres initiiert wurde, da man rechnet, dass die nationale Nachfrage nach Strom jährlich um 5 bis 7% ansteigen wird. Trotz allem schätzt das INDE, dass die Nachfrage im Jahr 2010 das Angebot aufgrund des ausgefallenen Regens im Jahr 2009 übersteigen wird. Das INDE konnte dadurch 180 GWh weniger Strom produzieren und war gezwungen, Strom anzukaufen. Guatemala hat seine energetische Unabhängigkeit verloren, obwohl es genug Potenzial besitzt, um mit erneuerbaren Energiequellen Strom für ganz Zentralamerika zu erzeugen. Allerdings werden nur 13% der Hydroenergie und 2,65% der geothermischen Energie genutzt, die Windenergie überhaupt nicht, da keine Anlagen dafür existieren. In diesem Kontext der Stromknappheit sind die Preise nach oben geschossen, was dazu führte, dass die Stromzufuhr in verschiedenen Orten suspendiert wurde, die Bevölkerung protestierte und soziale AnführerInnen ermordet wurden wie Víctor Gálvez, Evelinda Ramirez Reyes, Pedro García und Octavio Roblero. Gleichzeitig machen die Volksabstimmungen deutlich, dass die indigenen Völker, die in den von Kraftwerken betroffenen Gebieten wohnen, gegen deren Bau sind. Dies begründet sich hauptsächlich mit den sozialen und ökologischen Folgen und dem Fehlen jeglicher Information und Mitbestimmung. So gesehen führt die Nichteinbeziehung der Bevölkerung dazu, dass das Stromnetz nicht ausgebaut wird, und private Firmen ihre Energie zu wesentlich höheren Preisen verkaufen können. Auch muss gesagt werden, dass noch immer 51% des Energieverbrauchs durch Holz generiert wird, ein Prozentsatz der zwischen 2006 und 2008 sogar um vier Punkte stieg. Ein weiterer wichtiger Punkt, der die Reform von 1996 in ihrer Unbrauchbarkeit bestätigt, ist die Tatsache, dass der Markt es nicht schafft, trotz Steuerbefreiungen wettbewerbsfähige Preise zu bieten. Seit 2000 wird das INDE mit Millionen von Quetzales staatlich subventioniert, um die sozialen Tarife, die der/die KleinverbraucherIn nicht zahlen kann, stabil zu halten. Somit wird ein System unterhalten, das sonst zusammengebrochen wäre. Mit diesem Betrag hätte man zwei Wasserkraftwerke der Grösse Xalalás bauen, die Strompreise senken und die energetische Unabhängigkeit zurückerlangen können. Um diese Unabhängigkeit wiederzuerlangen, müsste der Staat allerdings wieder die Entscheidungskraft in seine Hände nehmen und eine sinnvolle Energiepolitik durchsetzen, die das soziale Interesse dem wirtschaftlichen vorzieht. Strom hat nicht nur einen ökonomischen Preis, sondern auch einen politischen Wert. Deshalb sollte die Energiepolitik der Volksabstimmung unterliegen, so wie es der Artikel 173 der Verfassung von 1985 verlangt. |
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