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"Der Krieg hat unsere innere Unruhe zerstört"

Fijáte 227 vom 24. Jan. 2001, Artikel 2, Seite 2

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"Der Krieg hat unsere innere Unruhe zerstört"

Frage: Willst du mit deinem Buch etwas zum Versöhnungsdialog beitragen?

RRR: Mit diesem Buch? Nein. Ich glaube, dafür gibt es viel bessere Texte, z.b.das VGREMHINF. Was ich geschrieben habe, ist ein Spiel, ich möchte nicht, dass es als Grundlage für eine solch ernsthafte Diskussion herangezogen wird. Die ganze Fragestellung des Buches, wie ein freier Mensch seine Angst überwindet, sich seinem Entführer gegenüberstellt und dann entscheidet, ob er sich rächt oder nicht, ist ein literarisches Problem, kein moralisches. Klar, wer mit einem minimalen Realitätssinn schreibt, übt Sozialkritik, übt politische und moralische Kritik. Dies geschieht auch in der Poesie oder in der Malerei. Auf einem realistischen Bild sieht man genau, was Sache ist, ausser, man verschliesst die Augen. Leider machen das in Guatemala viele unpolitische bzw. rechtswählende Leute. Aber ich habe mir die Sozialkritik definitiv nicht auf die Fahne geschrieben.

Frage: Weshalb bist du nach Guatemala zurückgekommen?

RRR: Aus Neugierde. Viele Leute kamen in dieser Zeit zurück. Ausserdem gefällt mir Guatemala, ich liebe es. Im ersten Moment als ich zurückkam, gefiel es mir, es schien, dass sich etwas veränderte, dass sich Spielräume öffneten. Aber das ist nicht so. In den letzten zwei Jahren hat sich vieles zurückentwickelt. Es wurden wieder die gewalttätigen Umgangsformen der achtziger Jahre aufgenommen, denk nur an die Anschläge auf die MenschenrechtsaktivistInnen oder der Verlauf der Ermittlungen im Fall von Bischof VGGerardiNF. Es ist heute unmöglich, optimistisch zu sein. Im Moment habe ich grosse Lust, wieder zu gehen.

Frage: Heute betreibst du ein alternatives Kino in Guatemala. Glaubst du, mit dem Film mehr Leute erreichen zu können als mit der Literatur?

RRR: Ich glaubte es, aber es ist nicht so. Der Krieg hat auch viel von unserer inneren Unruhe, von unserem Wissensdurst zerstört. In unserem Kino haben wir durchschnittlich fünf ZuschauerInnen pro Tag. Wir haben ein gutes Programm, das ist nicht das Problem. Manchmal haben wir Themen, die eine bestimmte Gruppe ansprechen, aber die Kultur im Allgemeinen interessiert nicht.

Ein Jahr nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen veröffentlichte ich ein Buch über den Krieg (es wird demnächst im Rotpunktverlag auf VGdeutschNF erscheinen, die Red.) Die guatemaltekischen KritikerInnen meinten, das Thema sei überholt, die Zeiten, über den Krieg zu schreiben, seien vorbei, die Leute seien es leid, darüber zu lesen. Und dass ausgerechnet ich, der ich bisher nie über Politik geschrieben hätte, nun ein Buch über den Krieg veröffentliche, sei völlig anachronistisch. Eine solche Kritik ist ein Blödsinn. Ich denke, es wird noch Jahre dauern, bis wir das Vergangene verdaut haben.

Frage: Die Literatur könnte also doch etwas zu diesem 'Verdauungsprozess' beitragen?

RRR: Sie könnte, wenn sie gelesen würde.

Frage: War nicht die KünsterInnenaktion 'Octubre Azul' auch ein Ausdruck alternativer Kunst oder alternativen Denkens?

RRR: 'Octubre Azul' war eine sehr elitäre Aktion, und ich will damit nicht sagen, dass ich etwas gegen elitäre Aktionen habe. Doch es war eine Aktion, die sich an der amerikanischen oder deutschen Avantgarde ausrichtete. Ausserdem hat es sich sehr auf das urbane Guatemala beschränkt. Nein, vergiss es, mit dieser Aktion kannst du im Volk nichts bewegen. Ich fand es eine gute Sache, aber man darf sich nicht täuschen und glauben, es stünde eine Massenbewegung dahinter. Auch wenn eine solche Aktion in New York stattfinden würde, stünde keine Massenbewegung dahinter.

Frage: Inwieweit hat die Öffnung, die durch die Unterzeichnung der Friedenverträge stattgefunden hat, auch das kulturelle Schaffen in Guatemala beeinflusst?

RRR: Sehr stark. Es wurde extrem viel veröffentlicht, vor allem ZeugInnenberichte über den Krieg, aber auch Poesie. Nach fünfzehn Jahren des verlegerischen Schweigens sind in kurzer Zeit etwa zwanzig Verlage gegründet worden. Und ich muss zugeben, dass der Freiraum, den wir so gewonnen haben, noch nicht wieder verloren gegangen ist. Aber es ist ein zerbrechlicher Freiraum, der erneut bedroht ist.


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