"Der Krieg hat unsere innere Unruhe zerstört"
Fijáte 227 vom 24. Jan. 2001, Artikel 2, Seite 2
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"Der Krieg hat unsere innere Unruhe zerstört"
Interview mit Rodrigo Rey RosaFrage: Weshalb hast du in 'Die verlorene Rache' das Thema Entführung gewählt? Rodrigo Rey Rosa: Über das Thema Entführung zu schreiben, war für mich unvermeidbar. Ich wuchs in einer Zeit auf, als Entführungen der Nationalsport Nr. 1. waren. Die einen entführten aus politischen Gründen, die andern aus wirtschaftlichen. Ich habe in meiner Jugend sogar selber davon geträumt, einmal eine Entführung zu machen. Es war wie eine Lotterie, entweder du wirst entführt, oder du entführst. Frage: Und, hast du oder wurdest du entführt? RRR: Eine mir nahestehende Person wurde entführt und ich musste die telefonischen Verhandlungen mit den Entführern führen, musste das Geld überbringen und die Person in Empfang nehmen, als sie freigelassen wurde. Frage: In welcher Zeit,vor welchem politischen Hintergrund spielt der Roman? RRR: In der Zeit des Waffenstillstandes, kurz vor der Unterzeichnung der Friedensabkommen. Es war eine Zeit, als die Entführungen immer unpolitischer wurden. Die Leute (auf beiden Seiten) hatten kein Geld. Da sie von einer Kultur des Krieges geprägt waren, keine Arbeit und keine Perspektive hatten, was war naheliegender, als sich mit Überfällen und Entführungen durchs Leben zu schlagen? Frage: Die Hauptperson in deinem Buch stand vor der Wahl, sich zu rächen oder nicht, und hat sich dagegen entschieden. Im heutigen Guatemala ist es eine gesellschaftspolitische Frage, wie man mit der Vergangenheit umgehen will... RRR: Die beiden Situationen sind nicht miteinander vergleichbar. Das Buch wurde ein Jahr vor der Friedensunterzeichnung geschrieben und ich möchte nicht, dass es als Metapher gelesen wird. Die Entscheidung eines einzelnen, die Vergangenheit zu vergessen, ist eine individuelle Angelegenheit. Eine ganz Gesellschaft darf sich diesen Luxus nicht erlauben. Die Enführer im Buch sind heute gescheiterte Existenzen. In der Realität Guatemalas sitzen die Verantwortlichen in der Regierung und üben weiterhin Macht aus. Es wäre ein Fehler, kollektiv den Weg des Vergessens einzuschlagen. Verzeihen ist eine andere Sache, aber zuerst muss offen gelegt werden, was passiert ist. Frage: Die Begriffe Frieden, Versöhnung, Vergessen sind heute in aller Munde. Wie beurteilst du die Ansätze, mit denen heute in Guatemala die Vergangenheit bewältigt werden soll? RRR: Der guatemaltekische Frieden ist ein schlecht gemachter Frieden, er ist vielmehr ein Sieg für die Rechte. Damals erhoffte man sich natürlich etwas anderes, aber heute sehe ich es so. Die Abkommen werden nicht eingehalten, im Gegenteil, sie haben immer weniger Gültigkeit. Die extreme Rechte kontrolliert den Kongress und manipuliert die Gesetze nach ihrem Geschmack. In Guatemala findet kein Versöhnungsprozess statt, weil die 'Sieger' überhaupt kein Interesse an einer Versöhnung haben. Frage: Die Regierung vielleicht nicht, aber die Bevölkerung? RRR: Wer ist das Volk? Dem Volk gibt man keine Chance zur Versöhnung. Man ist ja nicht einmal soweit gekommen zu sagen: "Wir haben dies und jenes gemacht und ihr habt nun die Möglichkeit, uns zu verzeihen." Ein solches Vorgehen ist in den Friedensabkommen überhaupt nicht vorgesehen. Frage: Wenn es nicht zu einer Versöhnung kommt, könnte es zur Rache kommen? RRR: Um sich zu rächen, muss man in einer Machtposition sein. Der revolutionäre Kampf hatte seine Berechtigung, hat sie immer noch. Aber nach all dem was geschehen ist, nach all den nicht bloss verlorenen, sondern verschwendeten Leben, wem kommt es noch in den Sinn, nochmals von vorne zu beginnen? Umso weniger, da heute niemand mehr einen Guerillakrieg finanziert. Und anders als bewaffnet geht es nicht, denn wie willst du die Militärs bestrafen, solange sie im Besitz der Waffen sind? Frage: Ich habe nicht so sehr an einen bewaffneten Kampf gedacht, sondern vielmehr an soziale Aufstände. RRR: Nun, es gibt ja täglich Fälle von Lynchjustiz, aber das hast du wohl nicht gemeint mit sozialem Aufstand? Diese Art von Rache ist direkt gegen die Bevölkerung gerichtet und nicht gegen die Machthabenden. Nein, ich glaube wirklich nicht, dass eine Versöhnung stattfinden kann, solange einer immer noch den Knüppel schwingt. Frage: So haben denn auch die Wahrheitskommissionen nichts zur Versöhnung beitragen können? RRR: Doch, bis zu einem gewissen Punkt konnten sie sicher zu einer Beruhigung beitragen, aber nicht Veränderungen auf institutioneller Ebene erreichen. Die Untersuchungen der Wahrheitskommissionen hatten keine Konsequenzen. Es wurden keine Prozesse geführt aufgrund ihrer Ergebnisse, es blieb alles auf der symbolischen Ebene. Die Berichte der Wahrheitskommissionen wurden nicht genügend verbreitet und die Leute wollen sie auch gar nicht lesen. Wer nicht selber Gewalt und Verfolgung erlebt hat, will lieber vergessen. Frage: Was müsste denn deiner Meinung nach mit den Verantwortlichen der Menschenrechtsverletzungen geschehen? RRR: Ich glaube, man müsste im Zusammenhang mit diesen Verbrechen auch den Begriff 'individuelle Schuld' etablieren. Es könnte Prozesse geben, und seien sie auch nur symbolischer Art. Aber damit würde wenigstens klar, wer was gemacht hat. Ich glaube nicht an die Todesstrafe, aber es müsste eine Gegenüberstellung geben, es müssten die Beweggründe untersucht werden, ebenso, wie wer vom ganzen profitiert hat und vor allem müssten die Ergebnisse veröffentlicht werden. Nach oben |
Frage: Willst du mit deinem Buch etwas zum Versöhnungsdialog beitragen? RRR: Mit diesem Buch? Nein. Ich glaube, dafür gibt es viel bessere Texte, z.b.das REMHI. Was ich geschrieben habe, ist ein Spiel, ich möchte nicht, dass es als Grundlage für eine solch ernsthafte Diskussion herangezogen wird. Die ganze Fragestellung des Buches, wie ein freier Mensch seine Angst überwindet, sich seinem Entführer gegenüberstellt und dann entscheidet, ob er sich rächt oder nicht, ist ein literarisches Problem, kein moralisches. Klar, wer mit einem minimalen Realitätssinn schreibt, übt Sozialkritik, übt politische und moralische Kritik. Dies geschieht auch in der Poesie oder in der Malerei. Auf einem realistischen Bild sieht man genau, was Sache ist, ausser, man verschliesst die Augen. Leider machen das in Guatemala viele unpolitische bzw. rechtswählende Leute. Aber ich habe mir die Sozialkritik definitiv nicht auf die Fahne geschrieben. Frage: Weshalb bist du nach Guatemala zurückgekommen? RRR: Aus Neugierde. Viele Leute kamen in dieser Zeit zurück. Ausserdem gefällt mir Guatemala, ich liebe es. Im ersten Moment als ich zurückkam, gefiel es mir, es schien, dass sich etwas veränderte, dass sich Spielräume öffneten. Aber das ist nicht so. In den letzten zwei Jahren hat sich vieles zurückentwickelt. Es wurden wieder die gewalttätigen Umgangsformen der achtziger Jahre aufgenommen, denk nur an die Anschläge auf die MenschenrechtsaktivistInnen oder der Verlauf der Ermittlungen im Fall von Bischof Gerardi. Es ist heute unmöglich, optimistisch zu sein. Im Moment habe ich grosse Lust, wieder zu gehen. Frage: Heute betreibst du ein alternatives Kino in Guatemala. Glaubst du, mit dem Film mehr Leute erreichen zu können als mit der Literatur? RRR: Ich glaubte es, aber es ist nicht so. Der Krieg hat auch viel von unserer inneren Unruhe, von unserem Wissensdurst zerstört. In unserem Kino haben wir durchschnittlich fünf ZuschauerInnen pro Tag. Wir haben ein gutes Programm, das ist nicht das Problem. Manchmal haben wir Themen, die eine bestimmte Gruppe ansprechen, aber die Kultur im Allgemeinen interessiert nicht. Ein Jahr nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen veröffentlichte ich ein Buch über den Krieg (es wird demnächst im Rotpunktverlag auf deutsch erscheinen, die Red.) Die guatemaltekischen KritikerInnen meinten, das Thema sei überholt, die Zeiten, über den Krieg zu schreiben, seien vorbei, die Leute seien es leid, darüber zu lesen. Und dass ausgerechnet ich, der ich bisher nie über Politik geschrieben hätte, nun ein Buch über den Krieg veröffentliche, sei völlig anachronistisch. Eine solche Kritik ist ein Blödsinn. Ich denke, es wird noch Jahre dauern, bis wir das Vergangene verdaut haben. Frage: Die Literatur könnte also doch etwas zu diesem 'Verdauungsprozess' beitragen? RRR: Sie könnte, wenn sie gelesen würde. Frage: War nicht die KünsterInnenaktion 'Octubre Azul' auch ein Ausdruck alternativer Kunst oder alternativen Denkens? RRR: 'Octubre Azul' war eine sehr elitäre Aktion, und ich will damit nicht sagen, dass ich etwas gegen elitäre Aktionen habe. Doch es war eine Aktion, die sich an der amerikanischen oder deutschen Avantgarde ausrichtete. Ausserdem hat es sich sehr auf das urbane Guatemala beschränkt. Nein, vergiss es, mit dieser Aktion kannst du im Volk nichts bewegen. Ich fand es eine gute Sache, aber man darf sich nicht täuschen und glauben, es stünde eine Massenbewegung dahinter. Auch wenn eine solche Aktion in New York stattfinden würde, stünde keine Massenbewegung dahinter. Frage: Inwieweit hat die Öffnung, die durch die Unterzeichnung der Friedenverträge stattgefunden hat, auch das kulturelle Schaffen in Guatemala beeinflusst? RRR: Sehr stark. Es wurde extrem viel veröffentlicht, vor allem ZeugInnenberichte über den Krieg, aber auch Poesie. Nach fünfzehn Jahren des verlegerischen Schweigens sind in kurzer Zeit etwa zwanzig Verlage gegründet worden. Und ich muss zugeben, dass der Freiraum, den wir so gewonnen haben, noch nicht wieder verloren gegangen ist. Aber es ist ein zerbrechlicher Freiraum, der erneut bedroht ist. |
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