Die USA und die Dollarisierung Lateinamerikas
Fijáte 216 vom 16. Aug. 2000, Artikel 1, Seite 1
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Die USA und die Dollarisierung Lateinamerikas
Während der vergangenen Monate wurde im Kongress der Vereinigten Staaten ein Gesetzesentwurf über die internationale Währungsstabilität (IMSA) diskutiert. Eingereicht wurde der Vorschlag vom reaktionären und ultrarechten republikanischen Abgeordneten aus Florida, Connie Mack. Dieses Gesetz soll die Voraussetzungen und Bedingungen für die Einführung des Dollars als Landeswährung in anderen Regionen oder Staaten, vor allem in Lateinamerika, festlegen. Der folgende Artikel von Guillermo Gil erklärt das Gesetz und seine Konsequenzen für die Wirtschaft der lateinamerikanischen Länder. Er ist am 14. Juli in der kubanischen Zeitung El Economista erschienen. Der GesetzesentwurfMit dem Gesetzesentwurf über die internationale Währungsstabilität (IMSA) werden die vermeintlichen Vorteile einer Dollarisierung schmackhaft gemacht. Dies sind: Die Währungsstabilität, der Rückgang der Inflation, die Senkung der Zinsen gegenüber den Vereinigten Staaten, die Ankurbelung der Wirtschaft und als Folge davon vermehrte Investitionen und ein Anreiz zum Sparen, weiter die Steuerdisziplin, die Stärkung des Finanzsystems, etc. Der Gesetzesentwurf schreibt klar vor, was ein Land machen muss, das den (US-) Dollar als Nationalwährung einführen will. Ebenso wird die Rolle der Vereinigten Staaten in diesem System erklärt, wobei klar zum Ausdruck kommt, welches die Interessen der USA an einer Dollarisierung möglichst vieler Länder sind: Für die nordamerikanischen Investoren hätte es den Vorteil, dass das Risiko bei Investitionen in entstehende Märkte nicht mehr so gross ist wie jetzt noch, da immer noch mit gewaltigen Kursschwankungen zu rechnen ist. Wer investiert, muss heute gewisse Sicherheiten für solche Risiken bereitstellen. Weiter würde es den Exportmarkt stabilisieren und natürlich die Bestrebungen der Vereinigten Staaten beim Aufbau eines internationalen Finanzmarktes stärken. Laut Gesetzesentwurf braucht es die Einwilligung des Finanzministers der Vereinigten Staaten, um in Lateinamerika oder einer anderen Region die Dollarisierung durchzuführen. Nur dann kann ein Land mit der vollen Unterstützung der USA im Prozess der Dollarisierung rechnen. Diese Einwilligung hängt davon ab, ob das betreffende Land eine Öffnung des Finanzsystems für ausländische Banken zulässt und sich mit den internationalen Bankgesetzen einverstanden erklärt. Weiter muss sämtliches Material, das zur Herstellung des Geldes gedient hat (Prägeplatten und Münzstempel) zerstört werden. Die sich im Umlauf befindende Landeswährung muss als illegal erklärt und so schnell wie möglich dem Markt entzogen werden. Die Annahme der Landeswährung ist verboten, es sei denn, zum Tausch gegen Dollars. Selbstverständlich muss das Land unter ständiger Kontrolle des nordamerikanischen Finanzminister stehen, der über den Prozess der Dollarisierung eines Landes urteilt und auch die Möglichkeit hat, bei Nichterfüllung der obengenannten Bedingungen, dem betreffenden Land die 'Bewilligung' zu entziehen bzw. neue Bedingungen zu stellen. Weiter ist das betreffende Land dazu verpflichtet, mit den Vereinigten Staaten im Kampf gegen Geldwäscherei und Falschmünzerei zu kooperieren. Soweit der Entwurf des Gesetzes über die internationale Währungsstabilität, IMSA. Erfüllt ein Land die von den Vereinigten Staaten festgelegten Vorgaben nicht, hat es jederzeit die Möglichkeit, die Dollarisierung unilateral, das heisst ohne Unterstützung der USA, durchzuführen. In diesem Fall muss das betreffende Land auf dem internationalen Finanzmarkt Schatzanweisungen der Vereinigten Staaten kaufen und diese dann offiziell gegen Noten und Münzen (Dollars) wechseln. Wenn die Dollarisierung eines Landes mit Unterstützung der Vereinigten Staaten stattfindet, ist der Wechselkurs Schatzanweisungen/Dollar höher. Der Gesetzesentwurf schlägt nun vor, dass ein Teil der Zinsen, die auf dem internationalen Finanzmarkt auf die Schatzanweisungen entrichtet werden, an die sich 'dollarisierende' Länder gehen und so ein attraktiver Wechselkurs angeboten werden kann. Der Gesetzesentwurf enthält weitere Bestimmungen über das Finanzsystem eines sich dollarisierenden Landes und über Darlehensgewährung seitens der Vereinigten Staaten an solche Länder. Auch enthält es Bestimmungen über mögliche Sanktionen im Fall eines erneuten Wechsels der Landeswährung, z.B. vom Dollar zum Euro. Konsequenzen der DollarisierungBei einer genaueren Analyse des Gesetzesentwurfes über die internationale Währungsstabilität (IMSA) fallen als erstes die klar formulierten Absichten der Vereinigten Staaten auf und die noch klareren Vorgaben an ein Land, das sich offiziell dollarisieren will. Die Dollarisierung ganz Lateinamerikas würde den nordamerikanischen Unternehmern einen möglichst grossen Absatzmarkt für ihre Produkte unter einem möglichst kleinen Risiko garantieren. Ausserdem führt dies zur Hegemonie des Dollars in der Region, sehr zu Schaden des Euros. Dies ist also die Antwort der Vereinigten Staaten an die Europäische Union und die Ausbreitung der europäischen Ökonomie in Lateinamerika und hat die Vertreibung der europäischen Banken und Firmen aus Lateinamerika zur Folge. Nach oben |
Falls dieses Gesetz angenommen wird, ist die Rechnung Senator Mack's sehr einfach und geht auf: Die Länder werden zwar nicht gezwungen, die Dollarisierung durchzuführen, machen sie es jedoch, müssen sie eine Reihe von Bedingungen erfüllen, die mehr sind als die einfache Öffnung des Banksystems gegenüber den internationalen Banken. JedeR ÖkonomIn weiss, dass eine solche Öffnung den Verlust der Kontrolle eines Staates über seine Finanzpolitik bedeutet. Auch die Steuerpolitik ist dann völlig an die von den Vereinigten Staaten verlangte Steuerdisziplin gebunden. Das heisst, die Länder verlieren die Möglichkeit, in einer wirtschaftlich prekären Situation entsprechende steuertechnische Massnahmen zu ergreifen. Wie sollen Staaten z.B. ihr Sozialsystem verbessern oder die Arbeitslosigkeit verringern, wenn sie keine eigene Währung haben und von der Finanzpolitik der Vereinigten Staaten abhängig sind? Die Antwort ist einfach: fast unmöglich. Auch mit der von den Neoliberalen propagierten "freien Marktwirtschaft" ist dann nichts mehr zu machen. Und zu guter letzt, um keine Zweifel mehr offen zu lassen: Die Vereinigten Staaten sind nicht bereit, die sich im Dollarisierungsprozess befindenden Länder bei ihrer Finanzpolitik zu unterstützen. Sie verpflichten sich nicht als Darlehensgeber, die Regierungen ihrerseits müssen sich jedoch dazu verpflichten, ausschliesslich in Dollars zu handeln (was soviel heisst, wie fast ausschliesslich mit den Vereinigten Staaten Geschäfte zu machen). Der skandalöse Höhepunkt des Gesetzesentwurfs ist die Macht, die der Finanzminister der Vereinigten Staaten erhält, indem er das Absolutrecht hat, darüber zu entscheiden, ob ein Land zur (durch die USA unterstützten) Dollarisierung zugelassen wird, und je nach Gutdünken einem Land dieses Recht auch wieder entziehen kann. Eine genaue Analyse des Vorschlages von Senator Mack zeigt, dass lateinamerikanische Regierungen, die diese 'intellektuelle Missgeburt' akzeptieren, zu einer Provinzregierung zweiter Klasse werden. Die Entscheidungsfreiheit des Staates in diesen Ökonomien ist nicht nur eingeschränkt, sie verschwindet gänzlich, und die Staaten werden zu dem, was sie meinten, vor vielen Jahren hinter sich gelassen zu haben: zu Kolonien. Dies ist denn auch die wahre Absicht dieses Gesetzesentwurfs: Die finanzielle Kolonialisierung Lateinamerikas und daraus folgend, die gänzliche Vereinnahmung der Region durch die Vereinigten Staaten. In wenigen Worten: Alle Ideale von Intergration und Unabhängigkeit Lateinamerikas, wie sie von Simón Bolívar und José Martí formuliert wurden, sind zerstört und das Wort 'Souveränität' verschwindet aus den Wörterbüchern dieser Länder. Selbstverständlich muss dieser Vorschlag zuerst im nordamerikanischen Parlament diskutiert werden und es wird noch eine Weile dauern, bis der Entscheid darüber fällt, ob er angenommen wird oder nicht. Bisher haben sowohl die nordamerikanische Nationalbank wie auch der Finanzminister der Vereinigten Staaten ihre Befürchtungen bezüglich der Einführung dieses Gesetzes geäussert. Es ist schwierig, sich vorzustellen, dass über eine Dollarisierung diskutiert wird und sogar Schritte in diese Richtung unternommen werden, wie es in Ecuador der Fall ist, ohne dass sich die Vereinigten Staaten explizit für oder gegen ein solches Vorhaben ausgesprochen haben. |
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