Meinungsumfragen oder Stimmungsmache?
Fijáte 197 vom 3. November 1999, Artikel 10, Seite 5
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Meinungsumfragen oder Stimmungsmache?
Guatemala, 24. Oktober. Die jüngsten Meinungsumfragen zum Ausgang der Wahlen laden dazu ein, etwas mit den Zahlen zu jonglieren und die verschiedenen möglichen Wahlausgänge in Gedanken durchzuspielen. Die verschiedenen AnalytikerInnen überbieten sich in Prognosen. Die Prozentzahlen und die sich abzeichnenden Tendenzen, lassen die AnalytikerInnen und Prognostiker-Innen auf drei mögliche Wahlausgänge spekulieren. Alle drei Varianten sehen jedoch Alfonso Portillo, Kandidat der Republikanischen Front Guatemalas (FRG) als Wahlsieger und künftigen Präsidenten. Das erste Szenario, welches Carlos Canteo von der Tageszeitung Siglo XXI als das wahrscheinlichste sieht, geht vom Sieg Portillos im ersten Wahldurchgang aus. Der Kandidat der FRG resultiert in den letzten Meinungsumfragen mit bis zu 48% der Stimmen dem absoluten Mehr sehr nahe. Erstaunlicherweise scheint die Popularität Portillos nach dem Skandal um die bereits in Vergessenheit geratenen "Mordfälle von Chilpancingo" sogar noch gestiegen zu sein. Die Beliebtheit seines Gegenspielers von der Partei des Nationalen Fortschritts (PAN), Oscar Berger scheint bei 27% der Stimmen steckengeblieben zu sein. Einzig in der Hauptstadt spricht sich ein grösserer Prozentsatz der Befragten für Berger aus. Offensichtlich hat er in seiner Zeit als Bürgermeister das Vertrauen der StädterInnen gewonnen. (18% aller ins Wahlregister eingetragenen BürgerInnen und somit Wahlberechtigten leben in der Hauptstadt.) Was die Bürgermeisterkandidaturen der Hauptstadt betrifft, hat Luís Rabbé von der FRG offensichtlich keine grossen Chancen gegenüber dem Kandidaten der PAN, Fritz García- Gallont. Ein Präsident der FRG und ein Bürgermeister der PAN wäre ein Novum, normalerweise gewinnt diejenige Partei, die den Präsidenten stellt auch gleich den Bürgermeistersitz der Hauptstadt. 2. Szenario: Eine zweite Wahlrunde. Die PAN kann in Bezug auf die Präsidentschaft nur noch auf ein Wunder hoffen. Sie könnte höchstens davon profitieren, dass der Kandidat der Allianz Neue Nation (ANN), Alvaro Colom, weiterhin Stimmen gutmacht. Würde Colom auf über 15% der Stimmen kommen (im Moment steht er bei den Umfragen auf 8%) und die FRG etwas an Stimmen verlieren, wäre eine zweite Wahlrunde sicher. Die zu erwartenden "Proteststimmen" gegen die PAN von Leuten, die mit den jünsten Regierungshandlungen Arzu's nicht einverstanden sind, werden am 7. November entscheidend sein. (Z.B. die Vereinigung der BerufsfotografInnen mit 35'000 Mitglieder, die durch die neuen Fahrausweise und Pässe, welche offenbar kein Foto mehr benötigen, ihre Arbeit verlieren würden.) Auch wenn zahlreiche der potentiellen PAN- GegnerInnen schlussendlich aus Angst vor den Konsequenzen eines Sieges Portillos doch für die Noch-Regierungspartei stimmen, wäre trotzdem ein zweiter Wahldurchgang nötig. In diesem Falle würden der PAN wohl auch die Stimmen vieler Linken zufallen, nicht aus Sympathie mit der PAN sondern um zu verhindern, dass die FRG gewinnt. In der Klemme, in der sie sich befinden, hoffen die AnhängerInnen Bergers auf diese Variante und Vertrauen auf die Unentschiedenheit der WählerInnen. Dem widersprechen jedoch die Meinungsumfragen, die belegen, dass die Anzahl der noch Unentschiedenen sehr gering ist. Ein Vertreter dieses Ausgangs ist z.B. Fernando Solis vom Zentralamerikanischen Institut für Politische Studien (INCEP) 3. Szenario: In der linken Ecke befindet sich der Kandidat der ANN, Alvaro Colom, auf ansteigendem Kurs. Er hat nichts zu verlieren sondern kann eigentlich nur gewinnen. Wenn sein Höhenflug nicht nur stabil bleibt, sondern weiterhin steigend ist, besteht die Möglichkeit, dass die PAN sogar auf den dritten Platz zurückfällt. Nach oben |
Dieses dritte Szenario, wenn auch kaum zu glauben, kann nicht ganz ausgeschlossen werden. Es kann damit gerechnet werden, dass ein Teil der bei den Meinungsumfragen interviewten Personen sich nicht trauten, ihre Sympathie für die ANN offen kundzutun. Laut dem Berater der Allianz, Danilo Morales, sollen dies fünf von zehn potentiellen ANN-WählerInnen sein. Dies trifft vor allem auf die ländliche Bevölkerung zu. Auch die Stimmen der FlüchtlingsrückkehrerInnen und der BewohnerInnen der Widerstandsdörfer, die bisher nicht an Wahlen teilgenommen haben, unterdessen jedoch Papiere besitzen und somit wahlberechtigt sind, fallen wohl zu einem grossen Teil Colom und der ANN zu. Wenn es bei den Wahlen am 7. November eine Überraschung gibt, heisst sie wohl Alvaro Colom. Die Demonstration vom 20. Oktober, welche sich in eine eigentliche Propagandanveranstaltung für die ANN verwandelte, ist ein Beispiel dafür, dass diese Aussenseiterpartei sehr wohl AnhängerInnen hat. Nimmt diese Beliebtheit noch zu, würde bei dieser dritten Variante eine zweite Wahlrunde zwischen der ANN und der FRG entschieden. Egal, welches der drei Szenarien eintritt, die PAN ist die grosse Verliererin der diesjährigen Wahlen, zumindest was die Präsidentschaft anbelangt. Die Situation für den Kongress sieht etwas anders aus. Laut den Ergebnissen der Meinungsumfragen wird keine Partei die Mehrheit der Sitze im Parlament besetzen, wie das bei der PAN in den letzten vier Jahren der Fall war. Das heisst, wer immer die Präsidentschaft gewinnt, wird gewungen sein, mit der Opposition zu verhandeln und Allianzen einzugehen. Voraussichtlich wird es sich bei den im Kongress vertretenen Parteien um die PAN, die FRG und die ANN handeln, eventuell noch die FDNG. Bei der letzten veröffentlichten Meinungsumfrage kam ausser diesen keine Partei auf mehr als 2% der Stimmen. Laut guatemaltekischem Parteiengesetz wird eine Partei automatisch aufgelöst und verliert ihre juristische Handlungsfähigkeit, wenn sie bei den Wahlen weniger als 4% der abgegebenen Stimmen erhält. Generell wird mit einer grossen Stimmabstinenz gerechnet, die je nach Departement variert. In städtischen Gebieten, wo die Leute besseren Zugang zu den Wahllokalen haben, wird die Beteiligung wohl höher sein. Im Departement San Marcos z.B. wird mit einer sehr grossen Stimmenthaltung gerechnet. Viele BewohnerInnen San Marcos migirieren für den Monat November nach Chiapas, wo sie als PflückerInnen in der Kaffeeernte arbeiten. Durch die starken Regenfälle in den letzten Wochen wird die Ernte vorangetrieben, und die Plantagenbesitzer sind nicht bereit, ihren guatemaltekischen ArbeiterInnen für das Wahlwochenende frei zu geben. Unter dem Verlust dieser WählerInnen wird wohl am meisten die ANN zu leiden haben, weshalb sie eine Revision des Wahlgesetzes fordert, die solche Aspekte berücksichtigt. Auch der Kongress der guatemaltekischen Organisationen in den USA (Guatenet), bedauert, dass es kein System gibt, welches im Ausland lebenden guatemaltekischen BürgerInnen erlaubt, ihre Stimme abzugeben. In den USA leben rund 1,2 Millionen GuatemaltekInnen. Hätten diese Leute die Möglichkeit zu wählen, könnten sie sich zu einer beachtlichen politischen Kraft in Guatemala entwickeln. |
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