Wem gehorcht der Präsident?
Fijáte 366 vom 15. Aug. 2006, Artikel 1, Seite 1
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Wem gehorcht der Präsident?
Der Rat der zentralamerikanischen Menschenrechts-Ombudsmänner (und -Frauen), der sich Anfang August in Guatemala zu einem Treffen zusammenfand, sprach sich gegen die Ratifizierung der Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten, Zentralamerika und der Dominikanischen Republik (DR-CAFTA) aus. Als "Falle", "Scheinheiligkeit" und "Ungleichheit" wurden die Abkommen von den Menschenrechtsprokuraten der Region bezeichnet und es wurde vor den negativen Auswirkungen für die lokalen Wirtschaften gewarnt. Der Rat versprach, Mitte 2007 einen ersten Evaluationsbericht zum Thema zu veröffentlichen. In Guatemala, wo das Freihandelsabkommen mit den USA Anfang Juli in Kraft trat, zeichnet sich bereits die erste Krise ab, weil Präsident Oscar Berger - auf Druck der Hühnerfarmer und auf Kosten der KonsumentInnen - die Einfuhrzölle für US-amerikanisches Hühnchenfleisch anheben will. Während der Debatte um die Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens mit den USA wurden gebetsmühlenhaft dessen Vorteile für die nationale Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und schlussendlich für die ProduzentInnen und Konsument-Innen gepriesen. Ein Monat nach der Inkrafttretung des Abkommens, dessen erklärtes Ziel die Öffnung der Märkte ist, sieht sich die guatemaltekische Regierung gezwungen, erste Massnahmen zu ergreifen, um die nationale Hühnchenfleisch-Produktion zu "schützen". Die Vorgeschichte ist einfach und exemplarisch: In Guatemala werden jährlich rund 200'000 Tonnen Hühnchenfleisch konsumiert (rund 15 Kilogramm pro Person), ca. 150'000 Tonnen stammen aus einheimischer Produktion, der Rest wird importiert. 22'000 Tonnen können im Rahmen des Freihandelsabkommens zollfrei aus den USA importiert werden. Nach Guatemala gelangen dabei vor allem Fleischstücke minderer Qualität, z.B. Flügel, die, bevor sie nach Guatemala geschickt werden, zwischen zwei und fünfzig Monate lang tiefgefroren waren. Umgekehrt sind die Auflagen sehr hoch, damit guatemaltekische ProduzentInnen qualitativ besseres und entsprechend teureres Fleisch (z.B. Hühnchenbrust) in die USA exportieren können, wo dieses Fleisch vor allem in den Fast-Food-Ketten massenweise Absatz findet. Die guatemaltekischen Hühnchenfleisch-ProduzentInnen verlangen nun, die Einfuhrzölle für Hühnchenfleisch ausserhalb des 22'000 Tonnen-Kontingents von 15 auf 164% zu erhöhen, wie es in anderen Ländern Zentralamerikas bereits praktiziert wird, damit dieses Fleisch teurer ist als das einheimische und es entsprechend nicht durch seine Dumpingpreise die guatemaltekische Konkurrenz lahmlegt. Um ihrer Forderung (Nach-)Druck zu verleihen, erhöhten die grossen Hühnchenfleischproduzenten Guatemalas Ende Juli den Preis für ihre Produkte um 11%, was rund 0.30 US-$ pro libra (450 g) Fleisch ausmacht. Dies als kleinen Wink mit dem Zaunpfahl an Präsident Berger, dass es die Industriesektoren waren, die ihn an die Macht brachten und denen er nun etwas schuldig ist. Und er reagierte. Nachdem Berger zwar zuerst nichts von einer Erhöhung der Einfuhrzölle wissen wollte, beauftragte er später die Finanz-, Arbeits- und Landwirtschaftsministerien, einen Vorschlag zu erarbeiten, der "das Budget der KonsumentInnen nicht belastet und gleichzeitig die nationale Hühnchenfleischproduktion schützt" - ein Ding der Unmöglichkeit. KritikerInnen der Massnahme sind überzeugt, dass die Mehrkosten den KonsumentInnen aufgehalst werden und dass dies zusammen mit einer durch die Ölkrise bedingten allgemeinen Verteuerung der Grundnahrungsmittelpreise dazu führen wird, dass in vielen guatemaltekischen Familien Hühnchenfleisch vom Speisezettel verschwinden wird. Rafael Téllez, Importeur der Firma Grupo Buena ist überzeugt davon, dass die Massnahme die "Ärmsten am stärksten trifft". Und er fragt sich, ob Präsident Berger wohl auch bereit sein wird, andere nationale Produkte (und damit die bäuerlichen ProduzentInnen), wie zum Beispiel den Mais, vor dem zu Dumpingpreisen importierten US-Mais zu schützen. Im Falle des Mais können gemäss Freihandelsabkommen jährlich 600'000 Tonnen zollfrei importiert werden, was darüber ist, muss zu 35% verzollt werden. Gegen die Erhöhung der Einfuhrzölle für Hühnchenfleisch spricht sich auch der guatemaltekische Kongress aus, der ja überhaupt für die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens verantwortlich ist. Die Kongressabgeordneten drohen damit, ihrerseits Schritte zu unternehmen, falls der Präsident dem Druck der HühnchenfleischproduzentInnen nachgäbe. Ein Möglichkeit wäre zum Beispiel die Ausarbeitung eines Gesetzes, das die Exekutive zwingt, Erhöhungen oder Senkungen von Einfuhrzöllen vom Kongress absegnen zu lassen. Gemäss verschiedenen Abgeordneten widerspricht die geplante Massnahme ganz klar dem Geist des Freihandelsabkommens. Pablo Duarte von den Unionistas meinte z.B., man könne keine Monopole mehr zulassen und Mario Taracena von der PAN kritisierte den Protektionismus gegenüber dem Hühnchensektor und bezeichnete es als eine Pflicht der Kongressabgeordneten, die Interessen der KonsumentInnen zu vertreten. "Es ist an der Zeit, dass Präsident Berger tief durchatmet, ein Alka-Selzer schluckt und den UnternehmerInnen klar und deutlich NEIN sagt", meinte Taracena. Berger rechtfertigt sich, indem er die Vereinigten Staaten beschuldigt, ebenfalls ihre nationale Industrie zu schützen, "obwohl sie von freiem Markt sprechen". Er müsse sich um die Arbeitsplätze seiner Leute kümmern, meinte Berger, denn "es nützt uns nichts, wenn wir billiges Hühnchenfleisch haben aber niemanden mehr, der es kaufen kann". Berger zieht offenbar in Betracht, eine Klage wegen unlauterem Wettbewerbs bei der Welthandelsorganisation WTO gegen die USA einzureichen. Nach oben |
Das "Hühnchen"- Beispiel veranschaulicht auf einfache Weise, was KritikerInnen der Freihandelsabkommen schon immer sagten: Dass nämlich dieser vermeintlich freie Markt nicht für alle Beteiligten auf die selbe Weise frei zugänglich ist, und dass die Abkommen zwischen politisch unterschiedlich mächtigen Partnern und zwischen Ländern mit wirtschaftlich und sozial sehr verschiedenen Realitäten geschlossen wurde. Ein Zusammenschluss von neun zentralamerikanischen Menschenrechtsorganisationen nutzte die 125. ausserordentliche Session der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH), die am 20. und 21. Juli in Guatemala stattfand, um in einem ausführlichen Dokument nochmals auf diese Ungleichheiten und ihre Konsequenzen, die sich der Verletzung elementarer Menschenrechte ausdrückt, hinzuweisen. Hauptsorge dieser Organisationen ist, dass das Freihandelsabkommen DR-CAFTA den selben Stellenwert hat wie die von den Signaturstaaten unterzeichneten internationalen Menschenrechtsabkommen, und dass nirgends festgeschrieben steht, dass die Menschenrechtsabkommen über jeglichen Wirtschaftsabkommen zu stehen haben. Ausserdem haben die meisten zentralamerikanischen Länder die wichtigen internationalen Menschenrechts- und Arbeitsrechtsabkommen unterzeichnet - im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten. Um die bestehenden Asymmetrien zu veranschaulichen, zählen die VerfasserInnen des Berichts ein paar Beispiele auf: - Die Fläche ganz Zentralamerikas entspricht 4.5% der Fläche der Vereinigten Staaten. - Die Bevölkerung Zentralamerikas entspricht 11.7% der Bevölkerung der Vereinigten Staaten. - Die zusammengezählten Bruttoinlandsprodukte der sieben zentralamerikanischen Länder entsprechen 0.5% des US-amerikanischen Bruttoinlandprodukts. - 36% der Arbeitskräfte in Zentralamerika sind im Landwirtschaftssektor tätig. In den USA sind es 2%. Zu diesen geographischen und demographischen Ungleichheiten kommt hinzu, dass die einzelnen Länder unterschiedliche Verfassungen und Gesetzgebungen haben. Erste negative Auswirkungen des DR-CAFTA zeigt das Dokument an Beispielen aus El Salvador auf, wo das Abkommen seit dem 1. März 2006 in Kraft ist. Offenbar ist es dem Land nicht gelungen, die Exportproduktpalette in die USA zu diversifizieren, was heisst, dass es nach wie vor die traditionellen Produkte sind, die exportiert werden und dass die lokale Industrie durch das Freihandelsabkommen nicht wettbewerbsfähiger geworden ist. Im Gegenzug ist die Abhängigkeit von US-amerikanischen Importen offenbar grösser geworden. Und obwohl mehr importiert wurde, sind die Einnahmen aus den Importsteuern innerhalb eines Monats von 17 Mio. US-$ im März auf 14 Mio. im April gesunken. Es ist auch nicht so, dass die Öffnung des Marktes bisher mehr ausländische Investitionen angezogen hätte, wie das erwartet und versprochen wurde. All dies wirkt sich auf die Wirtschaft des Landes, aber auch auf die private Ökonomie der Bevölkerung aus und verletzt somit direkt und indirekt Menschenrechte aus dem ökonomischen, sozialen und kulturellen Bereich, wie zum Beispiel das Recht auf Entwicklung. Sicher ist es noch zu früh, um allgemeingültige Schlüsse über die Auswirkungen des DR-CAFTA zu ziehen, doch die ersten Erfahrungen aus El Salvador und die Diskussion um die guatemaltekischen Hühnchen lassen darauf schliessen, dass gewisse Befürchtungen von FreihandelsgegnerInnen nicht bloss so genannt anti-imperialistischem Gedankengut entspringen, sondern sich durchaus - und schnell - in der lokalen Realität widerspiegeln. |
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