Bäumchen wechsle dich - oder eine neue Schachstrategie?
Fijáte 264 vom 17. Juli 2002, Artikel 4, Seite 5
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Bäumchen wechsle dich - oder eine neue Schachstrategie?
Guatemala, 9.Juni. Innenminister Eduardo Arévalo Lacs teilte in einer Pressekonferenz überraschend seinen Rücktritt mit, ausschlaggebend seien dafür persönliche Gründe. Gerüchteweise ist jedoch die Rede davon, dass Präsident Portillo diesen Schritt von Arévalo Lacs aufgrund von diversen Anomalien im Innenministerium gefordert habe. In diese ist wohl auch Vizeminister Carlos Velásquez involviert, der ebenfalls, aus "Solidarität zu seinem Kollegen", seinen Amtsabschied verkündete. Nach nur sieben Monaten in diesem Ressort erklärte Arévalo Lacs, dass er mehr Zeit mit seiner Familie verbringen wolle, und die Probleme in Sachen öffentliche Sicherheit nicht der Grund für seinen Entschluss seien. Ausserdem sei von vornherein mit Portillo abgesprochen gewesen, dass er das Ministeramt bloss bis zum 30.Juni 2002 übernehmen wolle. Anfang Dezember 2001 hatte der bis dahin als Verteidigungsminister amtierende Arévalo Lacs den damaligen Innenminister Byron Barrientos Díaz abgelöst, während dessen Amtszeit ein Verlust in Millionenhöhe aufgedeckt worden war. Aber auch Arévalo Lacs hinterlässt seinen Platz nicht mit weisser Weste. Mario Polanco von der Gruppe gegenseitiger Hilfe (GAM) erklärte, dass seit dem Amtsantritt des ehemaligen Generals Arévalo Lacs die Militarisierung deutlich zugenommen habe und hält fest, dass Arévalo Lacs weder Fähigkeit, Willen noch Interesse dafür zeigte, einen Sicherheitsplan zu erstellen. "Alles bleibt, wie es ist, sein Rücktritt ist weder als positiv noch als negativ zu werten." Allein in diesen letzten sieben Monaten wurden zehn Mordanschläge auf Menschenrechtsorganisationen registriert, darunter im März gegen den Sitz der Organisation Avancso, gegen Mitglieder der Stiftung forensischer Anthropologie von Guatemala und gegen einige JournalistInnenen. Aber auch die Drohungen gegen sechs Priester und der Mord an dem Geschäftsführer der Stiftung Rigoberta Menchú, Guillermo Ovalle im April zählen dazu. Auch das Thema Drogenhandel fällt in den Zuständigkeitsbereich des Innenministers: Im März wurde der Diebstahl von 1107 Kilo Kokain aus dem Lager der Antidrogen-Abteilung (Doan) entdeckt. Laut Untersuchungskommission sind es die Agenten der Institution selbst, die in diesen Vorfall involviert waren. Acht von ihnen stehen derzeit deswegen vor Gericht. Auch für die Geiselnahme von Lizardo Sosa, Präsident der guatemaltekischen Zentralbank im Februar wird der Innenminister verantwortlich gemacht. Sosa wurde nach 72 Stunden aus bisher ungeklärten Gründen freigelassen, ohne dass das Innenministerium oder die Polizei eingegriffen hatten. Arévalo Lacs versichert selbst, dass er keinerlei Information über die Befreiung des Funktionärs hätte. Erst Wochen später wurden einige Tatverdächtige festgenommen. Hinsichtlich seines Versuchs, manches Amt in seinem Ressort mit Ex-Militärs zu besetzen, musste Arévalo Lacs den Rückwärtsgang einschalten, da die Opposition von Seiten der Zivilbevölkerung und Menschenrechtsaktivisten zu gross war. Dennoch füllten zwei Oberste zum einen das Amt des Vizesicherheitsministers, zum anderen das des Vizedirektors des Strafsystems. Nach oben |
Von diversen Seiten, darunter Funktionäre und andere politische Figuren, wurden bereits zahlreiche Hypothesen über den wahren Grund des plötzlichen Ministerwechsels angestellt. Eine davon schreibt den Rücktritt Arévalo Lacs dem Druck der Botschaft der USA in Guatemala zu. Laut dieser Version bestehen unternehmerische Bande zwischen dem bisherigen Innenministers und seinem Vize Velásquez, welche wiederum im Zusammenhang mit dem Verkehr von Illegalen und steuerflüchtigen Unternehmen stehen. Eine andere Theorie besagt, dass Arévalo Lacs seine Kündigung einreichte, nachdem Präsident Portillo ihm aufgetragen hatte, zurückgetretene Ex-Funktionäre wieder in Regierungsämter zu heben, die jedoch im Verdacht der Korruption stehen. Möglicherweise ist der Ministerwechsels aber auch in den Zusammenhang mit den jüngsten Geldforderungen der ehemaligen Zivilpatrouillen (PAC) zu stellen, eine Angelegenheit, deren Entwicklung sehr scharf von Menschenrechtsorganisationen beobachtet wird. Deren Forderung, den letzten in der oberen Rängen der Regierungsmacher verbleibenden General Arévalo Lacs durch einen zivilen Minister zu ersetzen, ist mit der Ernennung des Rechtsanwalts und Notars José Adolfo Reyes Calderón als dessen Nachfolger nun geschehen. An der Universität Rafael Landivar zum einen als Dozent im Fachbereich Rechts- und Sozialwissenschaften tätig, besetzte Reyes Calderón zum anderen die Ämter des Leiters für Strafrecht und des Vizedekans dieser Fakultät. Nach manchem gescheiterten Versuch, in die Regierung einzutreten war er schliesslich unter dem schon erwähnten Barrientos für die Leitung der Nationalen Zivilpolizei (PNC) zuständig, ihm wurde jedoch vom damaligen Menschenrechtsombudsmann Arango Escobar das Vertrauen für dieses Amt abgesprochen. Letztendlich wurde Reyes Calderón zum Vizeminister für Sicherheit in jener Amtszeit ernannt und überlebte den Millionenskandal unter Barrientos. |
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