Feminismus in Guatemala
Fijáte 206 vom 15. März 2000, Artikel 1, Seite 1
Original-PDF 206 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 - 10 - 11 --- Nächstes Fijáte
Feminismus in Guatemala
Anlässlich des 8. März, dem Internationalen Tag der Frau, hat die guatemaltekische Frauenzeitschrift la cuerda eine Sondernummer zum Thema Feminismus herausgegeben. Wir veröffentlichen zwei Artikel aus la cuerda, die den Stand der feministischen Diskussionen in Guatemala reflektieren. Der erste Artikel ist von Ana Silvia Monzón und betont, dass es in einem kulturell und politisch so vielfältigen Land auch vielfältige Formen von Feminismus gibt. Der zweite ist von Blanca Estela Alvarado und handelt von Feminismus aus einer Mayaperspektive. la cuerda erscheint einmal monatlich als Beilage der Tageszeitung el periódico. Unsere FeminismenDer formale Beginn des Feminismus geht auf das Ende des 18. Jahrhunderts zurück, als eine soziale und politische Bewegung, deren ursprüngliches Ziel es war, dass die Frauen sich der "Unterdrückung und Ausbeutung bewusst wurden, der sie seit Anfang der patriarchalen Geschichte ausgesetzt waren". Dieses Bewusstwerden hat die Frauen dazu bewegt, für ihre soziale und kulturelle Freiheit zu kämpfen. Doch wir können nicht von 'dem Feminismus' sprechen. Wir müssen von 'den Feminismen' sprechen, wenn wir der Vielfalt der feministischen Ausdrucksformen gerecht werden wollen. Frauen handeln und bewegen sich aus den verschiedensten Motivationen heraus, mit unterschiedlichen Ausdrucksformen, nicht nur im öffentlichen Raum sondern auch innerhalb der traditionellen und neuen Formen des alltäglichen Zusammenlebens. Feminismus wird in der Küche, in den Markthallen, in den Spitälern, in der Kirche gelebt. Feministisches Denken und Handeln finden wir in Konzertsälen und in produktiven Projekten. Wenn wir über den guatemaltekischen Feminismus sprechen, dürfen wir diese Vielfältigkeit nicht ausser Acht lassen. Die guatemaltekische Gesellschaft bildete sich in der Zeit der Conquista, entwickelte sich während den Jahrhunderten kolonialer Besetzung weiter und überlebte Diktaturen verschiedenster Art. Während all dieser Zeit war diese Gesellschaft im höchsten Grade konservativ und verschlossen allem gegenüber, was mit 'Frausein' auch nur im Entferntesten zu tun hatte. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, angefangen mit der Oktoberrevolution in den vierziger Jahren, haben die Frauen in Guatemala Zugang zu Arbeit und Bildung erhalten. Zu dieser Zeit erhielten sie das Wahlrecht, was der unwiederrufbare Beginn ihrer Geschichte als Staatsbürgerinnen war. Eine Geschichte nicht ohne Widersprüche. Eine feministische Sichtweise, die das ungleiche Geschlechterverhältnis in Frage stellte, tauchte in Guatemala erstmals in den achtziger Jahren unter einigen Ladina-Mittelstandsfrauen in den Städten auf. Während Jahrzehnten hatten die Interessen und Forderungen der Frauen keinen eigenen Platz. Um so weniger, da es in der linken Theorie und Praxis - von der wegen ihrem fortschrittlichen Ansatz die Identifizierung mit dem feministischen Denken vorausgesetzt wurde - "keine freien Frauen innerhalb einer unterdrückten Gesellschaft" geben durfte. Damit wurde jegliche andere Forderung, inklusive die ethnische, zu Gunsten der Klassenfrage hinten angestellt. Mitte der achtziger Jahre traten erstmals Frauengruppen an die Öffentlichkeit, deren primäres Interesse nicht die Verteidigung der 'revolutionären Sache' war. Wobei gesagt werden muss, dass die Frauen auch dazu viel beigetragen haben. Diese Frauengruppen stellten in erster Linie ihre eigenen Lebensbedingungen in Frage. Sie hatten aufgedeckt, was für uns heute offensichtlich ist: Die Existenz tiefer Ungleichheiten in den Beziehungen zwischen Männern und Frauen, die immer auf Kosten der Frauen gingen. Gleichzeitig fanden auf internationaler und lateinamerikanischer Ebene ähnliche Prozesse statt. Das weltweite Feststellen, dass die Unterdrückung und Ausbeutung der Frauen in allen Gesellschaften ähnlich war, führte dazu, dass nebst den internationalen Menschen- auch spezielle Frauenrechtsforderungen aufgestellt wurden. Seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre sind guatemaltekische Frauen in den Gewerkschaften vertreten, organisieren sich in Selbsthilfegruppen, fordern die Einhaltung der Frauenrechte, nehmen am Friedensprozess teil, indem sie über die Auswirkung des Krieges, der Flucht und dem Exil auf das Leben der Frauen berichteten. Frauen begannen, Themen anzusprechen, die bisher tabu waren: Gewalt gegen Frauen, das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper, das Recht auf Teilnahme im öffentlichen Leben, das Recht auf freie Meinungsäusserung - kurz, das Recht, über eine 'Frauenwelt' zu sprechen. Zehn Jahre später bekam der guatemaltekische Feminismus weitere Auftriebe. Auf nationaler Ebene durch den Beginn der Friedensverhandlungen. Auf internationaler Ebene durch das erste zentralamerikanische Frauentreffen, das vierte feministische Treffen Lateinamerikas und der Karibik in El Salvador, verschiedene internationale Konferenzen, bei denen die Rechte der Frau immer eine zentrale Rolle spielten (Menschenrechtskonferenz in Wien 1997, Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung in Kairo 1995, Frauenkonferenz in Beijing 1995). Nach oben |
Seit etwa fünf Jahren werden Anstrengungen unternommen, etwas mehr über die Geschichte der Guatemaltekinnen zu erfahren, mit dem politischen Ziel, eine eigene historische Erinnerung aufzubauen. Ausserdem wurden verschiedene politische, akademische, legale und symbolische Aktionen durchgeführt, die den Bewusstseinsprozess der Frauen unterschiedlicher Klassen oder Ethnien gefördert haben. In verschiedenem Ausmass sind heute die Beziehungen zwischen Männern und Frauen in Frage gestellt. In einer sich globalisierenden Welt sind auch die Guatemaltekinnen immer mehr in Bewegung. Eine Bewegung die über die oft unangenehme Zersplitterung hinausgeht, hin zu einer Vielfalt und Mehrdimensionalität innerhalb der feministischen Kämpfe und Forderungen. Unser Ziel ist die Gleichberechtigung und ein würdevolles Leben, so wie das Olympe de Gouge, eine unserer Vorgängerinnen vor zweihundert Jahren schon geschrieben hat: "Die Frau wird frei und mit den selben Rechten wie Der Mann geboren". Mayakultur und FeminismusWenn wir davon ausgehen, dass Feminismus die Bewegung zur Erkämpfung gleicher Rechte und Möglichkeiten für Männer und Frauen ist, gehen wir davon aus, dass Männer und Frauen komplette Wesen sind, unabhängig voneinander und völlig gleich. In der Mayakultur sind Männer und Frauen sich ergänzende Wesen und gegenseitig voneinander abhängig. Dieses Konzept basiert auf unserer dualistischen und ergänzenden Kosmovision, die sich in unseren kulturellen Wertvorstellungen und unseren sozialen Normen des Zusammenlebens ausdrückt. Diese Normen werden von klein auf erlernt durch spezielle Erziehungsmuster für Jungen und Mädchen und ziehen sich durch alle Ebenen unseres gemeinschaftlichen Lebens. Die Kontrolle darüber, ob unser Verhalten korrekt ist und unserer Komsovision entspricht, obliegt der Gemeinde, speziell den alten Männern und Frauen. Das Prinzip der Dualtität wiederspiegelt sich im Konzept des Höchsten Wesens als einem dualistischen Wesen. Die beiden Götter Uk'u'x Kaj und Uk'u'x Ulew (Essenz des Himmels und der Erde) vereinen sich zu Juraqan (einzige Grundlage des Lebens). Dieses dualistische Denken geht davon aus, dass gleiche Rechte und Möglichkeiten die Grundlage für ein ausgeglichenes Leben sind, was das höchste Prinzip der Maya-Kosmovision ist. Dieses Prinzip wird jedoch nicht erfüllt innerhalb einer sozial ungleichen Gesellschaft, wie das in Guatemala der Fall ist. Hier bedeutet 'Maya-sein' ausgeschlossen, unterdrückt, ausgebeutet zu sein. In einer Gesellschaft mit solchen Charakteristiken gibt es niemals gleichberechtigte, sich ergänzende Beziehungen. Innerhalb des Hauses hat die Mayafrau einen gleichwertigen Stand wie der Mann. Auf lokaler, regionale und nationaler Ebene hingegen, wo nach dem offiziellen System gelebt wird, hat die Mayafrau nicht die selben Möglichkeiten wie die Männer. Dies würde nämlich bedeuten, dass sie Zugang zu Bildung, zum Erlernen der spanischen Sprache, der Rechte und der Gesetze des Landes haben müsste, Bedingungen, die in einem Land wie Guatemala den meisten verwehrt sind, am allermeisten den Mayafrauen. Der grundlegende Unterschied zwischen Männer und Frauen liegt in der Fortpflanzung. Aber was die Arbeit betrifft, teilen sich diese die Maya-Männer und -Frauen sowohl innerhalb wie ausserhalb des Hauses. Erst wenn den Mayas ihre Rechte als Volk zugesprochen werden, können sie ihre Kosmovision umsetzen. |
Original-PDF 206 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 - 10 - 11 --- Nächstes Fijáte