...geht er einen Schritt zu weit, wird ihm dasselbe passieren wie mir...
Fijáte 200 vom 15. Dez. 1999, Artikel 1, Seite 1
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...geht er einen Schritt zu weit, wird ihm dasselbe passieren wie mir...
Seit am 7. Oktober der verantwortliche Staatsanwalt, Celvin Galindo, zurückgetreten und ins Exil gegangen ist, ist es still geworden um den Fall des ermordeten Weihbischofs Juan Gerardi. Die Wahlen haben das ihre dazu beigetragen, dass der Fall aus den Schlagzeilen der nationalen Presse verschwunden ist. Das Spezielle am Fall Gerardi ist unter anderem, dass der Mord nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen verübt worden ist. Er geschah, nachdem Guatemala von der Liste derjenigen Länder gestrichen wurde, die bekannt sind für ihre Menschenrechtsverletzungen. Doch wer hat effektiv ein Intersse daran, diesen Fall aufzuklären? Die ¡Fíjate!-Redaktion hatte Gelegenheit, mit dem im Exil lebenden Celvin Galindo ein Interview zu führen. In welchem Moment der Untersuchungen mussten Sie den Fall Gerardi abgeben und ins Exil gehen? Für mich war der Fall eigentlich abgeschlossen. Nachdem ich mit den Ergebnissen der DNA-Proben von 12 Militärs aus Washington zurückkam, hatte ich konkrete Beweise gegen konkrete Personen aus Militärkreisen in der Hand. Es fehlten mir noch ein paar zusätzliche Beweise, um meinen Verdacht zu untermauern. Als dies jedoch in der guatemaltekischen Presse bekannt wurde, begann sofort der Druck (in Form von direkten Drohungen gegen meine Person und meine Familie) auf mich stärker zu werden . Ich wurde überwacht und verfolgt, das heisst, diese Leute benutzten dieselben Praktiken wie früher während des Krieges. Ich begann, mich sehr unsicher und gefährdet zu fühlen, denn ich kenne ihre Vorgehensweise zu Genüge. Der Fall befand sich in einer Phase, wo wir hätten "zuschlagen" können. Aber dieser Schritt hätte eine gemeinsame Entscheidung von Regierung und Staatsanwaltschaft zu meiner Rückendeckung vorausgesetzt, denn wenn ich die Entscheidung allein getroffen und Verhaftungen veranlasst hätte, wäre ich sofort umgebracht worden. Als Sie den Fall übernommen haben, wussten Sie, dass Sie ein Risiko eingingen. Weshalb haben sie es trotzdem gemacht? Aus zwei Gründen: Erstens weil es eine Herausforderung für mich war, den "wichtigsten" Fall seit der Unterzeichnung der Friedensabkommen zu führen. Zuvor hatte ich bereits einen Fall geführt, in dem es um Verletzung von Menschenrechten ging, den Fall des Studenten Mario Alioto. Da hatten wir ein paar Funktionäre angeklagt, die auch wirklich verurteilt wurden, doch kurze Zeit später wurden sie freigesprochen. Andererseits habe ich mich seither mit der Sache der Menschenrechte identifiziert und schon seit diesem ersten Fall hatte ich eine enge Beziehung zum Menschenrechtsbüro des Erzbischofs. Dieses bat mich auch darum, den Fall Gerardi zu übernehmen. Ich habe akzeptiert, mit dem Wissen, dass er mir früher oder später Probleme einbringen wird. Ich vertraute in jenem Moment auch noch auf den politischen Willen der Regierung, doch diese hat versagt. Das heisst, Sie haben von der Regierung nicht die Unterstützung bekommen, die Sie erwartet haben? Ich glaubte, die Zustände hätten sich verändert und ich glaubte auch, es wäre im Interesse der Regierung, etwas dazu beizutragen, diesen Fall, der ihr politisch nur schadet, zu lösen. Doch das war nicht so. Im Gegenteil, die Regierung deckt ein paar Personen, und zwar ein paar Militärs, die wichtige Posten innehaben. Die Mitbeteiligung des Militärs an diesem Fall ist offensichtlich. Was müsste sich Ihrer Meinung nach im politischen bzw. juristischen System Guatemalas verändern, damit Fälle wie dieser aufgeklärt werden können? Als erstes müsste die Exekutive unabhängig von den "versteckten" Kräften arbeiten können, die immer dafür verantwortlich sind, dass es für bestimmte Leute Straffreiheit gibt. Nur wenn auch diese Kräfte ein Interesse haben, Ungerechtigkeiten anzuklagen statt sie zu decken, können sich die Dinge verändern. Doch solange es solche persönliche Interessen von Regierungsangehörigen zu schützen gibt, wird sich ihr Verhalten nicht ändern. Dabei geht es natürlich um Machtambitionen innerhalb der Militärführung. Im Moment geht es darum, welche Strömung innerhalb des Militärs in der nächsten Regierung bestimmte Posten besetzen kann. Es gibt progressive Militärs, die für eine Öffnung und eine Veränderung plädieren. Aber es gibt andere, die wollen, dass es so weitergeht wie bisher. Denn sie befürchten, dass sie für ihre Verbrechen vor Gericht gestellt werden, wie das in Argentinien oder Chile der Fall ist. Sie haben Angst, dass sie international verurteilt werden. Seit Sie den Fall abgegeben haben, ist es sehr still um ihn geworden. Ja, weil es gar nichts mehr zu tun gibt, als eine Entscheidung zu fällen. Wer führt jetzt den Fall weiter? In dieser Beziehung haben sie einen cleveren Schachzug gemacht: Die Person, die jetzt für den Fall verantwortlich ist, ist mein ehemaliger Assistent, Leopoldo Zeissig. Er weiss einiges über den Fall und er weiss auch, dass ihm gewisse Leute vertrauen, da er schon vorher zum Untersuchungsteam gehörte. Aber ich weiss, dass auch er jetzt unter Druck gesetzt wird, beeinflusst wird. Er selber weiss auch ganz genau, dass er keine Fortschritte machen wird, solange er seitens der Regierung keine Unterstützung bekommt. Geht er einen Schritt zu weit, wird ihm dasselbe geschehen wie mir. Für Portillo wäre es einfacher gewesen, wenn der Fall während der Regierungszeit Arzu's gelöst worden wäre, denn jetzt liegt es an ihm, falls er die Wahlen gewinnt, die Schuldigen anzuklagen. Unabhängig davon, ob Berger oder Portillo die Wahlen gewinnt, wird der Fall Gerardi nicht geklärt. Sobald sie erfahren, um welche Personen es geht, werden sie die Aufklärung des Falles nicht unterstützen wollen. Sie werden sagen, dass die Staatsanwaltschaft, welche den Fall untersucht, autonom sei und unabhängig arbeiten soll und dass sie sich nicht einmischen könnten. Das ist alles, was sie sagen werden. Im Moment versprechen sie zwar, dass sie den Fall lösen werden, denn sie wollen Stimmen gewinnen. Aber wenn sie erst einmal an der Macht sind, werden sie nichts unternehmen. Ich bin sicher, dass der Fall nicht aufgeklärt wird. Aber Sie wissen, wer angeklagt werden müsste? Klar.... Im Falle eine Wahlsieges Portillos, wie wird sich die Situation in Sachen Menschenrechte verändern? Leider gibt es Leute, die Portillo nahestehen, die in der Vergangenheit Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Es wird zu einem harten Kampf kommen zwischen den Menschenrechtsorganisationen und den Menschenrechtsverletzer, die Regierungsposten besetzen. Rios Montt z.B. ist ja bereits in die Legislative (Kon-gress) gewählt worden, ebenso zwei weitere Militärs der FRG. Nach oben |
Können Sie die verschiedenen Strömungen innerhalb des Militärs und ihren Einfluss auf die verschiedenen Regierungen etwas genauer erklären? Es geht dabei darum, dass die jeweiligen Präsidenten die Führung innerhalb des Militärs jemandem geben, der ihnen loyal ist. Damit müssen sie nicht befürchten, dass es zu einem Staatsstreich kommt. Einer der Anwärter für die nächste Regierungsperiode ist Otto Pérez Molina, der zur Zeit in den USA ist. Er ist nah befreundet mit Portillo und gilt als einer, der die progressive Linie vertritt. Während der Regierungzeit von Ramiro de Leon Carpio war er Chef des Generalstabs des Präsidenten (EMP). Er hatte eine hohe Position innerhalb des Militärs, und war auch als Vertreter des Militärs bei den Friedensverhandlungen dabei. Doch als die Regierung wechselte, kam es zu internen Problemen und er wurde nach Washington versetzt. Es ist gut möglich, dass er jetzt zurückkommt, wenn Portillo die Wahlen gewinnt. Wenn wir schon dabei sind, wie erklären Sie sich das Resultat der Wahlen? Die FRG ist sehr stark. Dies ist eine Folge der schlechten Regierung Arzú's. Ich glaube nicht, dass die Leute unbedingt für die FRG wählten, sondern sie wählten gegen die PAN. Im Landesinnern ist es der FRG bestens gelungen, die Leute zu manipulieren. Bei ihren Wahlveranstaltungen hat die FRG kein eigenes Programm vorgestellt, sondern einfach alle Fehler aufgezählt, welche die PAN in ihrer Regierungszeit begangen hat. Die Bevölkerung wollte einen Wechsel. Der andere wichtige Faktor war die Unsicherheit, die in Guatemala herrscht. Die Leute hofften, dass mit Portillo eine starke Führung kommt, die mit harter Hand durchgreift. Sie erwarteten von ihm, dass er persönlich die Kriminellen verfolgt. Und was ist Ihre Prognose für die zweite Wahlrunde? Ich glaube nicht, dass sie anders herauskommen wird als die erste. Da müsste direkt ein Wunder geschehen. Im Gegenteil, ich befürchte, dass die FRG noch stärker und die PAN noch schwächer abschneidet. Doch auch die FRG wird die Bedürfnisse der Bevölkerung nicht erfüllen können und ich denke, dass die Situation sich bis in vier Jahren dann so entwickelt hat, dass die Linke eine Chance hat, die Präsidentschaft zu stellen. Wie erklären Sie sich die hohe Wahlbeteiligung? Die Bevölkerung wollte eine Veränderung. Die Leute gingen mit der Illusion zur Wahl, dass ihnen die FRG diese Veränderung bringe. Aber erinnerten sich die Leute denn nicht daran, wer die Leute sind, die in der FRG das Sagen haben? Ich glaube, die Leute haben das Gedächtnis verloren. In Guatemala können viele Leute nicht Lesen und Schreiben und wissen gar nicht, was alles passiert ist. Diejenigen, die es wissen, sind die Leute, die in den Städten leben, aber es ist auch Teil unserer Kultur, dass wir glauben, es müsse ein Mann mit einer starken Hand her, damit die Probleme beseitigt werden. Und so vergassen die Leute, was die Männer mit den starken Händen in der Vergangenheit angerichtet haben. Verschiedene Parteien haben versucht, auf die Vergangenheit der Leute der FRG hinzuweisen. Doch der gewünschte Effekt blieb aus. Gegen Portillo lief ja diese sehr starke Kampagne in den Zeitungen wegen den zwei Morden, die er begangen hat. Man erhoffte sich davon eine Diskretitierung Portillos, aber schlussendlich stärkte es seine Position. In den Provinzen Zacapa, Chiquimula, Santa Rosa usw., in all diesen Provinzen im Osten des Landes, die von einer stark machistischen Mentalität geprägt sind, hatte dies einen sehr positiven Effekt. In diesen Provinzen sagten die Leute: Wie gut, der schreckt nicht davor zurück, jemanden umzubringen, wenn es nötig ist! Vom Ausgang der Wahlen hängt wohl auch ab, wann Sie wieder nach Guatemala zurückkehren können.Wie sehen Sie ihre persönliche Situation? Sehr unsicher. Im Moment bin ich hier. Ich will aber nicht für immer im Exil bleiben. Ich will irgendwann nach Guatemala zurückkehren. Ich glaube, es gibt dort noch viel zu tun! Aber ich muss warten, wie sich die Situation entwickelt, es könnte ja sein, dass sich bald etwas verändert, obwohl ich daran nicht so recht glaube. Und Ihre Zukunft? Ich denke, ich werde bis mindestens Ende nächstes Jahr hier bleiben und versuchen, hier etwas zu arbeiten. Ich würde gerne eine Arbeit über die Veränderungen des Justizwesens in Lateinamerika schreiben. Vielen Dank fürs Gespräch! |
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