Die Sololatéc@s lassen sich nicht kaufen (Teil I)
Fijáte 269 vom 25. Sept. 2002, Artikel 1, Seite 1
Original-PDF 269 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 - 10 - 11 --- Nächstes Fijáte
Die Sololatéc@s lassen sich nicht kaufen (Teil I)
Die Hauptbühne der Politik befindet sich in der Hauptstadt, dort werden die Entscheidungen gefällt und über das Geschehen im ganzen Land entschieden. Dieser Schauplatz steht denn auch meist im Fokus der öffentlichen Medien im In- und Ausland. Doch was spielt sich auf der politischen Bühne im Inneren des Landes ab und wie nimmt die Bevölkerung der Departements am nationalen politischen Geschehen teil? Alfonso Guárquez Ajquichí ist als Korrespondent der Nachrichtenagentur CERIGUA für das Departement Sololá zuständig und berichtet im folgenden Interview von seinen Erfahrungen und seinen Einschätzungen der aktuellen Situation in Sololá. CERIGUA stellt u.a. täglich ihre Nachrichten per E-mail zur Verfügung. Frage: Seit wann und warum gibt es CERIGUA? Alfonso: CERIGUA ist eine Nachrichtenagentur, die als Folge des bewaffneten Konflikts ins Leben gerufen wurde, der ja mehr als 36 Jahre dauerte. 1983, als der Konflikt besonders schlimm war, gründete sich die Agentur ausserhalb des Landes, in Nicaragua, später hatte sie ihren Sitz in Mexiko. In dieser ganzen Zeit konnte CERIGUA also aus der direkten Nähe über die vielen verschiedenen Probleme, vor allem hinsichtlich der kritischen Situation der Menschenrechte, berichten. Ich würde behaupten, dass CERIGUA eines der wenigen Kommunikationsmittel war, das in jener Zeit weltweit bekannt machte, was in Guatemala vor sich ging. Frage: Ausser der Möglichkeit, die Informationen von CERIGUA über das Internet zu erhalten: Wie werden sie hier im Land selbst verbreitet? Alfonso: Grundsätzlich über die Radios, da verständlicherweise die schriftlichen Informationen nicht zu den Teilen der Bevölkerung gelangen, die weit von einer Departements-(Haupt-)Stadt entfernt leben. Deswegen nutzt CERIGUA das Radio, eine wertvolle Alternative zu den Zeitungen. Darüber haben wir Zugang zu gemeinsamen Programmen auf nationaler Ebene und erreichen so alle Departements. Ausserdem ist die Nachrichtenagentur Mitglied in der Weltvereinigung der Kommunalradios, AMARC, also besteht auch die Verbreitungsmöglichkeit über lokale, nationale und internationale Radiokanäle. Frage: Seit wann arbeitet CERIGUA in Sololá? Und wie nimmst Du Deine Funktion wahr? Alfonso: CERIGUA hat seit 1999 eine Zweigstelle hier in Sololá, die ich seit Beginn übernommen habe. Ich arbeite also inzwischen seit mehr als drei Jahren für diese Nachrichtenagentur. Am Anfang war es wirklich ein bisschen schwierig, die Schranken zu brechen und an die Leute heranzukommen, die einen bislang nicht als Journalisten kannten. Aber irgendwann war das geschafft. Was auch nicht so einfach war, war der Zugang zu den Organisationen, aber poco a poco eröffnete sich mir das Feld. Ich hatte vorher schon viele Kontakte zu diesen, was mir im Endeffekt sehr hilfreich war. Hier genoss ich also bald eine sehr gute Akzeptanz, die immer noch währt. Frage: Welches siehst Du als das aktuellste oder wichtigste Thema, mit dem sich Sololá derzeit konfrontiert sieht? Alfonso: Eines der Probleme, dem Sololá derzeit gegenübersteht, ist die Versorgung, bzw. der Raum, den die öffentlichen Medien den Departements gewähren. Es interessiert einfach mehr, was in der Hauptstadt passiert und was die Gelben Notizen über Gewalt und Unfälle veröffentlichen, die Polizeimeldungen. Deshalb widmen sich auch die grossen Medien mehr diesen Sensationsberichten. Das merkt man sowohl am Fernsehen als auch in den Tageszeitungen. Zudem hat sich die Presse an sich insgesamt sehr kommerzialisiert, was den Zugang zu diesen gerade für uns sehr erschwert. Dem gegenüber beschäftigt sich CERIGUA vor allem mit den Bereichen Soziales, Kultur/Ethnie, Bildung, und (Verletzung der) Menschenrechte: alles Themen, die gerade hier im Departement Sololá aktuell aber auch problematisch sind und von denen man in den grossen Medien kaum etwas liest oder sieht. In dem Zusammenhang steht auch die mangelhafte Funktionsausübung der Justiz. Ich erhalte ständig Beschwerden darüber, dass dieser öffentliche Apparat nicht so funktioniert, wie es sein sollte. Ein weiteres Riesenproblem ist der Ausschluss auf jegliche Art - sowohl in sozialer, kultureller als auch bildungstechnischer Hinsicht - der indigenen Bevölkerung, die regelrecht diskriminiert wird. Noch schwieriger ist es für die Frauen, bei denen man beinahe von einer dreifachen Diskriminierung sprechen könnte: Frausein, Indígenasein und in einer ländlichen Gegend wohnen. Die Situation der indigenen Bevölkerung sehe ich als das latenteste Problem hier im Departement an. Nichtsdestotrotz versuchen gerade die Indígenas mehr und mehr, Raum im öffentlichen Leben zu gewinnen, aber bislang ist der Zugang doch sehr schwer, bzw. wird er ihnen schwer gemacht. Frage: Besteht denn seitens der Bevölkerung von Sololá ein Interesse, sich hinsichtlich der allgemeinen Politik auf dem Laufenden zu halten? Alfonso: Das Interesse besteht auf jeden Fall. Was ich auf der anderen Seite aber wahrnehme, ist ein mangelndes Bewusstsein über die Wichtigkeit, Informationen auch weiterzuverbreiten, gerade von Seiten der ländlichen Gemeinden. Man muss selbst hingehen und suchen, wo gerade etwas passiert. Natürlich ist das auch meine Aufgabe als Reporter, die Informationen zu beschaffen. Aber ich, der ich alleine für die neun Gemeinden von Sololá zuständig bin, schaffe es oft nicht und müsste an vielen Orten gleichzeitig sein. Wenn jedoch die Leute wüssten, wie wichtig es ist, davon zu berichten, was passiert, wäre es natürlich etwas anderes. Vor kurzem wurde ich selbst wieder überrascht, als ich mit einem Komitee einer Gemeinde sprach, die sich über die Ineffizienz der Staatsanwaltschaft äussern wollten. "Sehr gerne, kein Problem", war meine Antwort. Am Ende fragten sie mich: "Wie viel schulden wir Ihnen?" "Gar nichts, im Gegenteil, vielen Dank an Sie, dass sie mir von dem Fall berichtet haben." Das ist leider kein Einzelfall, dass die Leute denken, sie müssten für die Veröffentlichung von Nachrichten bezahlen. Aber so langsam tut sich etwas und die Barrieren öffnen sich. Frage: Wie sieht die aktuelle politische Situation in Sololá aus? Alfonso: In der Gemeindeverwaltung von Sololá regiert die URNG, aber der Gouverneur ist von der FRG, da er direkt vom Präsidenten ernannt wurde. Und von den Abgeordneten, die uns im Kongress vertreten, ist einer von der FRG und einer von der PAN. Nach oben |
Um ehrlich zu sein, ist es ein biss- chen anstrengend. Die Leute sind nicht dazu "erzogen", an der Politik teilzunehmen. Auf der anderen Seite ist Sololá einer der Verwaltungsbezirke, der massiv an den Wahlen teilgenommen hat. Und beinahe wage ich zu behaupten, dass sich die SololatekInnen nicht mehr von den traditionellen Parteien manipulieren lassen. Früher war es sehr schwierig, dieses Schema aufzubrechen. Aber seit dem vergangenen Jahr wurden die Ladin@s in der Verwaltung durch Indígenas abgelöst, und das erste Mal in der Geschichte haben wir einen indigenen Bürgermeister. Das ist für uns ziemlich positiv, wurden wir doch bislang immer von Ladin@s regiert, die eine Minderheit in der Bevölkerung von Sololá darstellen, der Grossteil hier sind nun einmal Indígenas. Jedoch war es wirklich schwierig für den jetzigen Bürgermeister, an sein Ziel zu gelangen, und sowohl die Rolle als auch die Verantwortung zu übernehmen. Aber es war natürlich eine Herausforderung, er musste seine Fähigkeiten beweisen und die allgemeine Situation verbessern. Und das hat er tatsächlich geschafft, man kann eine grosse Zufriedenheit wahrnehmen. Ausserdem macht diese Verwaltungsregierung einen ehrlichen Eindruck in Bezug auf die Verwaltung öffentlicher Mittel. Frage: Das Meinungsforschungsinstitut Vox Latina hat vor einigen Wochen eine Umfrage über die Beliebtheit Portillos in der Öffentlichkeit durchgeführt (siehe ¡Fijáte! 265). Trifft die allgemeine Ablehnung des Präsidenten durch die Bevölkerung auch auf die SololatekInnen zu? Alfonso: Auf jeden Fall. Gerade hier gab es eine totale Zurückweisung der FRG. Man ist sich hier sehr klar darüber, dass sich in der jetzigen Regierung viele befinden, die die Menschenrechte verletzt haben, und Sololá ist schliesslich eines der Departements, das ziemlich stark vom bewaffneten Konflikt betroffen war. Und es ist auch eins der Departements, das sowohl die Zivilpatrouillen (PAC) als auch die Militärs abgelehnt hat und immer noch ablehnt. Nach der Unterschreibung der Friedensabkommen und vor allem des letzten Vertrags über den stabilen und dauerhaften Frieden, wurde die Auflösung der Militärzone Nr.14 erreicht, die sich hier in Sololá befand. In diesem Fall war die Beteiligung gerade der indigenen Bevölkerung in der Zurückweisung der Armee deutlich sichtbar. Hier hat die FRG eindeutig nicht so gute Karten wie in anderen Verwaltungsbezirken. Frage: Portillos Antwort auf das Ergebnis der Umfrage war die Behauptung, dass die Bevölkerung auf dem Land durch die Verteilung von Düngemitteln, verbessertem Saatgut, Schulfrühstücken und dem Bau von Strassen befriedigt sei. Wie sieht die Realität hier "auf dem Land" in Sololá mit diesen "Geschenken" aus? Alfonso: Die Bevölkerung nimmt ganz klar wahr, dass es sich dabei um ein politisches Spiel handelt und sie durch solche Spendenaktionen lediglich für die nächsten Wahlen gekauft werden sollen. Die Verteilung von Dünger ist spärlich, es kommt nicht das und nicht soviel, wie gebraucht würde. Dabei ist die Situation ziemlich schwierig, wenn man bedenkt, das der Grossteil der SololatekInnen von der Landwirtschaft leben. Zweifellos müssten sie hier richtig viel Dünger hinschicken, um auch nur ansatzweise die Bedürfnisse der Bevölkerung zu decken. Auch in anderen Bereichen von sogenannten "Projekten" passiert wenig, in den Gemeinden sieht man so gut wie gar nichts davon. Einzige Ausnahme ist die Strasse von Concepción nach Sololá, die sie derzeit asphaltieren. Aber das ist noch eine Vereinbarung mit der vorherigen Regierung. Das Abkommen bestand darin, dass, wenn die BewohnerInnen der Dörfer an der Wegstrecke der Errichtung einer Haftanstalt in Concepción zustimmten, sie im Gegenzug "ihre asphaltierte Strasse" bekommen würden, die bis dahin lediglich ein Schotterweg war. Dabei war es noch ein harter Kampf, bis endlich mit der Asphaltierung begonnen worden ist. Das letzte, was ich gehört habe ist, dass dennoch gewisse Unzufriedenheit herrscht, denn das jetzt verwendete Material sei Asphalt zweiter Klasse, was nicht den Erwartungen der Bevölkerung entspricht. Die Strasse wird nicht lange halten und schon bald wieder aufbrechen. Während dessen behauptet die Regierung natürlich stolz, dass sie ihr Versprechen einlöst. Aber die Bevölkerung lässt sich nicht hintergehen. Immer wieder beschweren sie sich, dass die gross angekündigten Projekte nicht ausgeführt und die bestehenden sozialen Fonds nicht in ihrem Sinn angelegt werden. Da ist es natürlich kein Wunder, dass die Regierungspartei deutlich abgelehnt wird. Frage: Du hast bereits die Friedensabkommen erwähnt. In diesen ist auch die Rede von der Beteiligung der GuatemaltekInnen am politischen Leben. Welche Möglichkeiten gibt es dafür wirklich in Sololá bzw. welche werden von den Menschen angenommen? Alfonso: Wie in allen anderen Departements gibt es auch hier die sogenannten Mesa de Concertación, eine Art Runder Tisch unter der Leitung der Begleitkommission der Friedensabkommen, an dem alle sozialen Gruppen sowie Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen teilnehmen. Wobei ich sagen muss, dass dieser Organismus noch nicht wirklich funktioniert und auch seine Rolle nicht angemessen erfüllt hat. Bislang haben sie nur wenig erreicht. Seit den Friedensverträgen haben sich viele Organisationen aufgelöst, da sie den Sinn ihres Kampfes erreicht zu haben glaubten und ihn damit sozusagen verloren hatten. Generell leiden in Sololá alle möglichen Regierungsvereinbarungen unter einer Art organisatorischer Krise. Aber ich bin trotzdem der Meinung, dass mit dem Runden Tisch im Department einiges möglich ist, wenn vor allem die Leute im Vorstand es schaffen, die Nichterfüllung der Friedenabkommen aufs Tapet zu bringen und sich dafür einzusetzen, dass sich daran etwas ändert. In dem Runden Tisch sehe ich eine mögliche Instanz für diese Aufgabe. (Fortsetzung im nächsten ¡Fijáte!) |
Original-PDF 269 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 - 10 - 11 --- Nächstes Fijáte