"Normalschulen" unter dem Messer
Fijáte 364 vom 19. Juli 2006, Artikel 4, Seite 4
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"Normalschulen" unter dem Messer
Guatemala, 14. Juli. Angesichts der zugespitzten Situation zwischen Bildungsministerium (MINDEDUC) auf der einen und LehrerInnenschaft sowie AnwärterInnen auf LehrerInnenstellen auf der anderen Seite, haben Kardinal Quezada Toruño und Menschenrechtsombudsmann Sergio Morales den Konfliktparteien nun ein Ultimatum von 30 Tagen gestellt, die Konflikte friedlich zu klären. Die beiden Männer fungieren als Ehrenzeugen im Dialog zwischen den Seiten, doch just die Missachtung dieses Rundtisches von Seiten des Ministeriums hat das Fass zum Überlaufen und im ganzen Land die LehramtsstudentInnen auf die Strasse gebracht. Obwohl das Thema der Reformierung der LehrerInnen-ausbildung auf der Tagesordnung der Verhandlungsrunde steht, bislang jedoch nicht angegangen wurde, veröffentlichte das Ministerium letzte Woche überraschend das Dekret 581-2006, mit dem die Ausbildung von Lehrkräften für die Vor- und Grundschule von bislang 3 Jahren auf 4 erhöht werden soll. Vorgesehen ist dabei eine Umstrukturierung zu Gunsten einer Verbesserung der DozentInnen-vorbereitung, schneiden die als LehrerInnen Graduierten bei den Aufnahmetests der Universitäten im Vergleich doch erschreckend schlecht ab; sie sollen gleichzeitig aber für das Unterrichten von GrundschülerInnen befähigt sein. Nun sollen die künftigen LehrerInnen eine zweijährige Allgemeinausbildung geniessen, die sie auf dem Niveau eines Fachabiturs in Wissenschaft und Literatur abschliessen und anschliessend zwei Jahr lang in Sachen Pädagogik belehrt werden. Die Ablehnung der Betroffenen bezieht sich wenig aufs Inhaltliche. Vielmehr erzürnen sich die Studierenden über die Arroganz des Ministeriums - nicht nur trotz gesetzlicher Grundlage - die existierende LehrerInnenschaft völlig aussen vor gehalten zu haben. Dabei handelt es sich doch erstens um eine grundlegende Veränderung des Ausbildungssystems, zweitens, ist in der bereits in den Friedensverträgen verankerten Bildungsreform durchaus von einer Qualifizierung der Lehrausbildung die Rede, diese sollte jedoch gleichzeitig auf einem generell höheren akademischen Niveau stattfinden und nicht einfach die mittlere Niveau-Ausbildung verlängern, drittens, wird mit der Reform für viele Interessierte die Ausbildung nun unerschwinglich sein, reichen doch die finanziellen Kapazitäten der Eltern, für die Professionalisierung ihrer Kinder aufzukommen, in vielen Regionen wenn überhaupt gerade einmal für die bisherigen drei Jahre. In ganz Guatemala gibt es 219 sog. und traditionsreiche "Normalschulen" - eben auf die LehrerInnenausbildung spezialisierte Institute - die unter Präsident Juan José Arévalo (1945-51) gegründet wurden, sowie 3.000 colegios, in denen diese Laufbahn angeboten wird. Jährlich schliessen 20.000 LehrerInnen ihre Ausbildung ab, von denen im Schnitt 2.000 eine Stelle in einer Schule finden. Während landesweit von den LehramtsschülerInnen, oft unterstützt von Lehrkräften, Eltern und sogar Munizipalautoritäten, Strassen blockiert und vor allem in der Hauptstadt Verkehrschaos provoziert, Lehrstätten besetzt und mit weiteren Massnahmen gedroht wird, solange das Ministerium das Dekret nicht zurücknimmt, reagiert das Ressort indes stur und spiegelt wider, dass die getroffene Entscheidung und vor allem die Konsequenzen für die SchülerInnen wenig durchdacht sind, versuchen Ministe-riumsangestellte die Protestierenden doch zu beruhigen, dass die, die bereits in der Ausbildung sind, von der Massnahme gar nicht betroffen seien, sondern diese erst ab 2007 in Kraft trete. Dass die jetzigen LehramtsaspirantInnen zum einen solidarisch mit den zukünftigen AnwärterInnen sein könnten und möglicherweise zudem um ihre eigene Deklassifizierung fürchten, scheint den Ministerialen nicht einzuleuchten. Nach oben |
Ein anhaltender Streitpunkt zwischen den Parteien, der auch in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt, ist die Befürchtung der LehrerInnen, dass das Bildungssystem über kurz oder lang privatisiert werden soll, das genannte Dekret wird als weiterer entsprechender Schritt interpretiert. Ein anderes schon immer heisses "Privatisierungsthema" sind die selbstverwalteten PRONADE-Schulen, für die lokale Elternkomitees verantwortlich sind und ohne die, laut Ministerin Aceña, 450´000 Mädchen und Jungen in ländlichen Gebieten keinen Zugang zur Schule hätten. Joviel Acevedo, Hauptakteur der LehrerInnenvereinigung ANM, kritisiert derweil, dass die PRONADE-Schulen die reinsten Korruptionsnester seien. Dem Programm stünden mehr als 1 Mrd. Quetzales zur Verfügung, von denen 75% in die Verwaltung flössen und bloss 25% tatsächlich bei den Lernenden ankämen. Besser würde dieses Programm geschlossen und der Etat in die allgemeine Bildungskasse fliessen, um die grundlegenden Notwendigkeiten zu decken. Die Anfang des Monats von Präsident Berger angekündigte Aufstockung des Bildungshaushalts um 800 Mio. Quetzales auf 6 Mrd. für 2007 reichten laut Acevedo lange nicht aus, um wie von der Ministerin angekündigt, ausreichend Textbücher, Schulspeisung und eine Gehaltserhöhung der LehrerInnen zu decken. Das gestellte Ultimatum wurde von beiden Parteien akzeptiert, der Dialog wieder aufgenommen. |
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