Das Volk denkt immer an die StudentInnen...
Fijáte 211 vom 24. Mai 2000, Artikel 1, Seite 1
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Das Volk denkt immer an die StudentInnen...
Aus Protest gegen die Freigabe der Fahrpreise im Nahverkehr in Guatemala Stadt entschied sich eine Gruppe StudentInnen der nationalen Universität San Carlos (USAC), in den Hungerstreik zu treten. Sie forderten, dass die Diskussion um die Problematik des Transportwesens in der multisektoriellen Kommission erneut aufgenommen werde. Die Aktion der StudentInnen fand in einem Klima des Machtkampfes zwischen der Stadtverwaltung und der Regierung der Republikanischen Front Guatemalas (FRG) statt, was in schwere Unruhen ausartete und fünf Todesopfer und über zwanzig Verletzte forderte. Nach zwei Tagen Hungerstreik und einer Woche Gewalt in den Strassen hoben die Behörden die Preiserhöhung auf und beriefen erneut die multisektorielle Kommission ein. Gilligan, Studentenführer der USAC, berichtet von den Gründen und Resultaten ihrer Kundgebung. Das Interview führte Judith Jäggi, Mitarbeiterin des Centro de Estudios de Guatemala (CEG). Frage: Welches ist die Ursache der Problematik des Busverkehrs in Guatemala Stadt? Gilligan: Es handelt sich um ein politisches Problem, hinter dem grosse Interessen stecken, ein Disput zwischen der PAN und der FRG. Die Busunternehmer argumentieren, dass ihre Gewinne ungenügend seien, obwohl sie nie bereit waren, die Zahlen über ihre Einnahmen zu veröffentlichen. Die StudentInnen innerhalb der multisektoriellen Kommission machten deshalb eine Studie über die Busbelegung. Die Busunternehmer kriegten Wind davon und brachten an diesem Tag mehr Transporteinheiten auf die Strasse, damit die Autobusse leer unterwegs waren. Offensichtlich sind die Gewinne für die Unternehmer zurückgegangen, da sie Kredite zurückzahlen müssen, die sie aufgenommen haben, um ihre Fahrzeuge zu kaufen. Es stimmt aber nicht, dass sie in den roten Zahlen stecken. Ihre Gewinne sind momentan zurückgegangen, aber als Geschäftsleute wissen sie, dass sich, wenn sie alle Schulden abbezahlt haben, ihre Gewinne wieder steigern werden. Die Busunternehmer sind einfach nicht fähig, ihre Geschäfte zu verwalten. So sagen sie dem Fahrer, "bring mir am Abend 800 Quetzales, der Rest ist für dich". So behält der Fahrer den Rest, was ungefähr 600 Quetzales sind, zahlt damit den Gehilfen aus und der Rest ist für ihn. Der offizielle Lohn eines Busfahrers liegt zwischen 750 und 800 Quetzales pro Monat. Wenn die Unternehmer keine gute Lohnpolitik haben, ist es offensichtlich, dass der Fahrer seinen Lohn stehlen muss. Weshalb habt Ihr die Form des Hungerstreik für Euren Protest gewählt? Gilligan: 1995 machten wir bereits einen Hungerstreik. Damals forderten wir die Verurteilung der Mörder von unserem Compañero Alioto Sánchez, der 1994 bei Protesten ebenfalls wegen des Transportproblems ums Leben kam. Der Tod von Alioto war entscheidend für die Wahl unserer Kampfform. Wir wollten unseren Leuten zeigen, dass es eine pazifistische Form des Widerstandes gibt, dass auf legale Weise protestiert werden kann. Wir hatten nicht direkt Angst davor, aber die Vorstellung, dass ein weiterer Compañero der Universität bei den Protesten sterben könnte, hat uns ziemlich beunruhigt. Den Hungerstreik begannen neun Compañeros/as der Jurafakultät, später kamen Leute der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und der Schule für politische Wissenschaften dazu. Zum Schluss waren etwa dreissig Compañeros und Compañeras dabei. Unser Hauptziel konnten wir erreichen: Ein pazifistischer Protest während einer ausreichend langen Zeit, um unsere Wut über die Fahrpreiserhöhung kundzutun und einen Ort zu etablieren (der Platz vor der Stadtverwaltung), welcher der unzufriedenen Bevölkerung als Versammlungspunkt dienen konnte. Wie war die Reaktion der Bevölkerung? Gilligan: Sehr positiv. Zum Schluss hatten wir sogar ein Zelt, die Leute begannen mitzuhelfen, brachten Geld, Wolldecken, Kleider, jemand brachte sogar Hemden, damit wir uns umziehen konnten. Es kamen VerkäuferInnen von den Märkten und brachten uns Körbe mit Orangen und Bohnen, damit wir nach dem Streik etwas zum Essen hatten. Nach oben |
Habt Ihr auch Unterstützung von anderen Sektoren erhalten? Gilligan: Es ärgerte uns sehr, dass Sektoren der Zivilgesellschaft, die bisher alles schweigend hingenommen haben (die Unterzeichnung der Friedensabkommen, die Privatisierung der Telefongesellschaft, die Ablehnung der Verfassungsreformen und des Kinderschutzgesetzes) nun plötzlich versuchten, sich in den Vordergrund zu stellen. Sie nutzten die liebevolle Beziehung zwischen den StudentInnen und der Bevölkerung für ihre Zwecke, eine mystische Beziehung, die seit jeher besteht. Das Volk denkt immer an die StudentInnen in einem solchen Moment, weil es weiss, dass die StudentInnen immer da sind, wegen ihres aufrührerischen Geistes, wegen ihrer Jugend. Wir sind konkret drei Sektoren für ihre Unterstützung dankbar: Der Presse, den StudentInnen der Mittelstufe und der guatemaltekischen Bevölkerung, die vielleicht in keinem Sektor organisiert ist, die aber ihr Gesicht gezeigt hat, im Moment, in dem dies nötig war. Ist es wahr, dass es Drohungen gegen StudentInnen gegeben hat? Gilligan: Wir haben die Infomationen über die Todesdrohungn veröffentlicht. Wir entdeckten einen Plan, fünf Compañeros der Universität zu entführen. Dies war anscheinend für Mittwoch, einen Tag vor den Unruhen, gedacht. Bis heute wissen wir nicht, ob der Plan echt war, wahr ist aber, dass wir die notwendigen Massnahmen getroffen haben, wie zum Beispiel die Veröffentlichung dieser Information. Was bedeuten diese Geschehnisse für die StudentInnenbewegung? Gilligan: Trotz aller internen Probleme, die eine StudentInnenbewegung haben kann, haben wir mit der nötigen politischen und menschlichen Reife gehandelt, um zusammenarbeiten zu können. Es handelt sich um ein soziales Problem und so haben wir es auch ins Auge gefasst. Zusätzlich haben wir erreicht, der Bevölkerung im Allgemeinen, den PolitikerInnen und dem System zu zeigen, dass die StudentInnenbewegung immer noch präsent ist. Und das Ergreifendste ist, dass wieder eine StudentInnenbewegung der Mittelstufe entstanden ist. Früher oder später werden auch sie an die Universität kommen und wir möchten ihnen jetzt schon helfen, sich zu Führungspersönlichkeiten zu entwickeln. Wir haben Kontakt mit den Compañeros/as in den Schulen aufgenommen und sie sind bereits in die multisektorielle Kommission integriert. Dies war eine unserer Bedingungen, um überhaupt wieder an der Kommission teilzunehmen. Mit welchen Zielen werdet Ihr in der multisektoriellen Kommission weiterarbeiten? Gilligan: Die StudentInnenbewegung des neuen Jahrtausend ist unpolitisch, sie ist in erster Linie 'studentisch', liebt das Volk, das Volk liebt sie und in diese Richtung wollen wir arbeiten. Im Vordergrund sollen unsere Interessen als StudentInnen und jene des Volkes stehen, zu dem wir uns zugehörig fühlen. Nach unserer Meinung wäre es das beste, das Transportwesen zu verstaatlichen. Wenn es private Transportunternehmen gibt, sollen sie unter staatlicher Führung funktionieren. Wir sind aber offen für den Dialog, um die beste und logischste Lösung für dieses Problem zu suchen, ohne daraus politischen Eigennutz ziehen zu wollen. |
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