Fünf mafiöse Organisationen und 12 kriminelle Netzwerke haben den Staat im Griff
Fijáte 458 vom 14. April 2010, Artikel 2, Seite 4
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Fünf mafiöse Organisationen und 12 kriminelle Netzwerke haben den Staat im Griff
Guatemala Stadt, März/April 2010 Wie aus Regierungskreisen verlautet, seien die fünf Organisationen und die 12 Netzwerke der organisierten Kriminalität, die mehrheitlich die Verursacher der Unsicherheit im Lande sind, identifiziert worden. Die Netzwerke, deren Wurzeln in staatlichen Institutionen lägen, seien verantwortlich für den Drogenhandel, Raub von Drogen und Autos, Geldwäsche, Entführungen, Menschen- und Waffenhandel, illegale Adoptionen, Bandenunwesen, Korruption, Erpressung und Auftragsmorde. Die meisten dieser Kriminellen seien ehemalige Militärs, die während des bewaffneten Konfliktes Personen für ihre Dienste einspannten, um gegen die Guerilla zu kämpfen. Diese Arbeitsweise blieb auch nach Ende des Bürgerkrieges erhalten. Heute sichern sie ihre Geldquellen, verwalten Latifundien, sind Aktionäre von Unternehmen und Finanziers politischer Kampagnen. Ermittler hätten versichert, dass jede Gruppe ihren eigenen Chef habe; im Rahmen der Untersuchungen seien unter anderem die Namen Napoleón Rojas, Jacobo Salán Sánchez, Francisco Ortega Menaldo und Alfredo Moreno gefallen. Die kriminellen Machenschaften seien allerdings - so der Stand bisheriger Untersuchungen - nicht auf Guatemala beschränkt, vielmehr bestehe die Sorge, dass US-Banken dazu benutzt worden seien, das illegal verdiente Geld rein zu waschen. Um weiterhin die lukrativen Geschäfte und die Straffreiheit garantieren zu können, ist nach Ansicht der Ermittler der Einfluss dieser Gruppen auf staatliches Handeln an drei Punkten besonders sichtbar: die Einbindung von Polizeikräften im Drogenhandel, die Veruntreuung von Staatsgeldern im Verteidigungsministerium und eine Vielzahl von Richtern, die Urteile zugunsten der Kriminellen gefasst haben. Die bisherigen Untersuchungen hätten gezeigt, dass jede Gruppe in verschiedenen Regionen operiere, besonders stark betroffen von deren Aktivitäten seien allerdings die Departments Huehuetenango, Alta Verapaz, Zacapa, Escuintla und Quiché (alle an den Grenzen zu Nachbarländern gelegen). Die internationale Organisation Transparency International (TI) und die guatemaltekische BürgerInnenaktion (AC) stellten in diesem Zusammenhang eine Studie vor "Netzwerke der Korruption und korrumpierende kriminelle Netzwerke" vor. In dieser zeigen sie auf, wie diese Gruppen den Staat durch Finanzierung von politischen Parteien, zivile Dienstleistungen und Kauf öffentlicher Güter übernahmen. Dazu erklärte Alejandro Urízar von der AC: "Die Finanzierung von PolitikerInnen ist ein Türöffner, mit der diese angehalten werden, zu den Investitionen beizutragen. Im Falle des Erwerbs öffentlicher Güter und dem Anbieten von zivilen Dienstleistungen geht es nicht darum, Verträge zu erhalten, sondern darum, Personen in Schlüsselpositionen zu gewinnen." Nach Einschätzung der Studie näherten sich die Mafiosi bestimmten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Kontexten an, je nachdem, wie ähnlich sie ihren Interessen sind. "Um die Straffreiheit zu sichern, suchen die Netzwerke die Beihilfe der politischen Autoritäten und ihrer Funktionäre", heißt es weiter in der Studie. Die US-Menschenrechtsorganisation Washingtoner Büro für lateinamerikanische Angelegenheiten (WOLA) hatte bereits im Jahre 2003 in ihrem Buch "Hidden Powers in post-conflict Guatemala" konkrete Namen der fünf Organisationen genannt, die seit Jahrzehnten für die organisierte Kriminalität in Guatemala verantwortlich zeichnen: Die Mafiagruppen La Cofradía und El Sindicato, der inzwischen offiziell aufgelöste Präsidiale Sicherheitsstab (EMP), die Zivilpatrouillen (PAC) und das Netzwerk Moreno mit seiner Gruppe Salvavidas. Nach Angaben von WOLA sind die Mitglieder von La Cofradía noch aktive oder ehemalige Offiziere des Militärgeheimdienstes, eine Art Bruderschaft innerhalb der Streitkräfte, die sich während der Zeit der korrupten Verwaltung unter der Militärjunta von Romero Lucas García herausbildete. Bekannteste Namen sind Luis Francisco Ortega Menaldo, der von 1991 bis 1993 Chef der EMP war, und Manuel Callejas y Callejas, ehemaliger Chef der Obersten Zollbehörde. (Hier zeigt sich, dass die Durchdringung perfekt funktioniert hat.) Nach oben |
El Sindicato tauchte erstmals 1969 auf, hervorgegangen aus dem 73. Jahrgang der Polytechnischen Schule, der sogenannten Militärakademie, und galt innerhalb der Streitkräfte als reformorientiert, beeinflusst von der Strategie der Aufstandsbekämpfung niedriger Intensität der USA. Man nannte sie auch "institutionelle Aufstandsbekämpfer, da sie das 30-70-Schema bevorzugten: bringe 30 % der Bevölkerung um und rette die restlichen 70% durch Entwicklungsprojekte.", zitiert der Bericht den Verteidigungsminister von 1987-90, General Héctor Alejandro Gramajo. Prominentestes Mitglied dieser Klassenkameraden ist Otto Perez Molina, der frühere Geheimdienstchef, von 1993-96 auch Chef des EMP, ehemaliger Abgeordneter der GANA, später Gründer der Patriotischen Partei (PP), und schließlich Präsidentschaftskandidat bei der letzten Wahl und jetziger Oppositionsführer. WOLA beschuldigt Molina unter anderem, als Chef des EMP die Ermordung des Richters Edgar Ramiro Elías Ogaldez 1994 angeordnet zu haben sowie die Entführung und Ermordung des Guerillaführers Efraím Bámaca. Auch der durch Korruptionsvorwürfe bekannte General Roberto Letona Hora gehört mutmaßlich zum Sindicato. Der EMP hatte für die geheimen Strukturen zwei Funktionen: auf der einen Seite Schutz, logistische Hilfe und dem Präsidenten 'gute' Ratschläge zu gewähren, auf der anderen, Aktivitäten im militärischen Geheimdienst und verdeckte Aktionen. Deren Arbeit begann in der Amtszeit von Efraín Ríos Montt im Generalarchiv und in anderen Diensten, wie z.B. die spätere präsidiale Abteilung für Sicherheit. WOLA berichtete außerdem, dass das Netzwerk Moreno (d.i. Alfredo Moreno) und deren Gruppe Salvavidas aufzeigen, wie weit es die geheimen Mächte in Guatemala gebracht hätten, sowohl in ihren illegalen Aktivitäten, wie in ihren Beziehungen zur politischen und wirtschaftlichen Macht im Land. Transparency International betont in seiner Studie, dass die Machenschaften des organisierten Verbrechen nur mit Hilfe der CICIG beendet werden können durch eine Neuausrichtung der politischen Parteien und durch Reformen der politischen Ökonomie; denn durch die bestehende Korruption würden die mafiösen Unternehmen bei aktuellen Gesetzesänderungen und Strafprozessen Vorgänge veranstalten, die Versteigerungsauktionen glichen. All die Informationen, die hier zusammengetragen wurden, sind schon seit vielen Jahren bekannt. Die meisten der genannten Personen dürfen aufgrund ihrer mutmaßlichen Verwicklung in Verbrechen der organisierten Kriminalität nicht in die USA einreisen. Die Informationen waren Gegenstand vieler Berichte, Erklärungen von guatemaltekischen Menschenrechtsorganisationen, der UNO, der OAS, selbst dem US-Botschafter und dem US-Außenministerium. Was also ist neu an dem, was hier berichtet wird: dass die Regierung Colom all das zugibt und dass es mit der CICIG eine Institution gibt, die zusammen mit den nicht mafia-infiltrierten JustizvertreterInnen ernsthaft gegen die Strukturen anzugehen bereit ist. Der WOLA-Bericht von 2003 ist abrufbar unter: HiddenPowersFull. Ein Bericht über geheime Strukturen in Lateinamerika aus dem Jahr 2008 siehe: WOLA-rpt-OrganizedCrimeFinal.pdf">WOLA-Report. |
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