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Lynchjustiz statt Rechtsprechung

Fijáte 452 vom 20. Januar 2010, Artikel 1, Seite 1

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Lynchjustiz statt Rechtsprechung

So verwundert es nicht, dass die Bevölkerung heutzutage bei ihren Exekutionen die Methoden von damals kopiert: die Opfer werden vor den Augen der Gemeinde gefoltert und dann verbrannt. Verschiedene Berichte stimmen auch darin überein, dass viele der Anstifter der Lynchfälle Exmitglieder der VGZivilpatrouillenNF PAC sind.

Organisierte Spontaneität oder Mayarecht?

Lynchjustiz sind laut Definition impulsive Handlungen wütender BürgerInnen, die vermeintliche VerbrecherInnen zu bestrafen bzw. hinzurichten versuchen. Aber es gibt starke Hinweise darauf, dass in einigen Fällen, trotz augenscheinlicher Spontaneität die Exekutionen von jemanden geplant oder dazu angestiftet wurden, und zwar aus Gründen wie Rache oder aus wirtschaftlichen und politischen Interessen.

Oft wird die Lynchjustiz auch als Teil des Rechtssystem der indigenen Bevölkerung dargestellt. Dies ist aber unbegründet. Das mündlich überlieferte Mayarecht erlaubt den Mitglieder einer Gemeinde, die Verbrechen die in ihr geschehen, zu bestrafen. Es erlaubt aber nicht die VGTodesstrafe. Vielmehr soll das Individuum gegenüber der Bevölkerung blossgestellt werden, damit diese von den Straftaten erfährt, und der oder die Bestrafte muss nach dieser Demütigung das Dorf verlassen. Laut Alejandor Álvarez "geht die Kosmovision der Mayas davon aus, dass man nichts gewinnt, wenn man eine Person bestraft, sondern dass die Person den Schaden, den sie angerichtet hat, wiedergutmachen muss. Als ich 2003/2004 für den Staat arbeitete, stellte ich fest, dass es eine direkte Verbindung gibt zwischen den Gemeinden mit den meisten Fällen von Lynchjustiz und den Gemeinden, die während des Bürgerkriegs am meisten von Massakern betroffen waren. Meiner Meinung nach hat der Krieg die traditionellen Formen der Konfliktlösung zerstört, was dazu führte, dass das Lynchen heute als Antwort auf Konflikte und Gewalt benutzt wird." Oft ist auch in den hauptsächlich von Indigenen bewohnten Gemeinden der Staat weniger präsent, was sie anfälliger für Lynchjustiz macht.

Aktuelle Beispiele von Lynchjustiz

Am 27. November 2009 wurden in Sololá zwei Männer und eine Frau gelyncht, da sie vermeintlich einen Busfahrer ermordet hatten. Am 4. Dezember 2009 liessen drei weitere mutmassliche VerbecherInnen ihr Leben in einer Lynchaktion im Departement VGHuehuetenangoNF. Sie wurden beschuldigt, eine Frau entführt und ermordet zu haben. Ein Tag später wurde im Department VGQuichéNF ein Mann gelyncht, der bezichtigt wurde, einen 73-jährigen mit einer Machete zerhackt zu haben. Am 6. Dezember 2009 lynchte ein Mob in der Touristenstadt Panajachel, Departement Sololá, einen vermeintlichen Dieb (von 7000 Quetzales) und versuchte, seine drei Komplizinnen zu töten. Die Frauen wurden von der Polizei durch Einsatz von Tränengasbomben gerettet. Vier Polizeiwagen wurden dabei in Brand gesetzt. Ein weiterer Fall ereignete sich am 8. Dezember 2009 im Departement Huehuetenango: Ein Mob von 40 Personen verfolgte einen 30-jährigen, der drei Tage zuvor einen Einwohner erpresst hatte. Sie schlugen und verbrannten ihn.

Laut Innenminister Raúl Velásquez sind diese Fälle von DrogenhändlerInnen oder GemeindeanführerInnen angestiftet worden. Von Seiten des Staates werden Massnahmen diskutiert, um der Lynchjustiz vorzubeugen und den Prozessablauf bei Gericht zu beschleunigen mit dem Ziel, das Bild der Straflosigkeit in der Bevölkerung zu ändern.

Seit 1999 existiert ebenfalls die Nationale Kommission der Prävention der Lynchjustiz, die Polizei, Staatsanwaltschaft und Zivilgesellschaft koordiniert. Allerdings ist deren Arbeit oft nicht sehr effektiv, da z. B. in Sololá viele indigene AnführerInnen aus Angst um ihr Leben nicht teilnehmen wollen.

So bleibt also abzuwarten, und währenddessen lacht Mictlantecuhtli, der Señor des Todes, weiterhin.


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