Der Erfolg der katholischen charismatischen Erneuerung in Guatemala
Fijáte 294 vom 8. Okt. 2003, Artikel 1, Seite 1
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Der Erfolg der katholischen charismatischen Erneuerung in Guatemala
Die Charismatische Erneuerung zählt in Guatemala inzwischen zur erfolgreichsten und mitgliederstärksten Bewegung innerhalb der Katholischen Kirche. Anders allerdings als die protestantische Pfingstbewegung in Guatemala, ist der Erfolg der katholischen Charismatiker bislang weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit geblieben. In dem folgenden Artikel sollen speziell die Auswirkungen der charismatischen Erneuerung auf die innerkirchlichen Strukturen des Katholizismus und die Gründe für ihren Erfolg näher erläutert werden. Der Artikel wurde von Andrea Althoff verfasst, die zur Zeit an einer Dissertation über religiöse Organisationsformen innerhalb der indigenen Bevölkerung arbeitet. In der umfassend angelegten Studie untersucht sie neuere religiöse Entwicklungen in der guatemaltekischen Gesellschaft nach dem Abschluss der Friedensverhandlungen im Dezember 1996. Dabei werden die Charismatische Erneuerung, die Pfingstkirchen sowie traditionelle und neuere religiöse Ausdrucksformen der Mayaspiritualität miteinander verglichen. Für die Studie hielt sich die Autorin über den Zeitraum von einem Jahr überwiegend in verschiedenen indigenen Hochlandgemeinden in Guatemala auf. Die Gründung der Charismatischen Erneuerung und ihre Position in Guatemala Die Charismatische Erneuerung entstand 1967 in den USA im Rahmen eines ökumenischen Austauschs zwischen Katholiken und Protestanten. Ziel der Katholiken war es, ihre in den protestantischen Gemeinden neu gesammelten Erfahrungen, die in erster Linie ein verändertes Verständnis über die Rolle des Heiligen Geistes in der Kirche betrafen, in die Katholische Kirche hineinzutragen. Ein wichtiger Gedanke war und ist bis heute, dass das Herz und die Gefühle genauso stark in der Religion engagiert sein sollen, wie der Kopf und der Intellekt. In Guatemala wurde die Charismatische Erneuerung 1973 offiziell von Kardinal Mario Casariegos eingeführt. Bereits in den 70er Jahren wurde die Bewegung vom damaligen Papst, Paul VI, als katholische Erneuerungsbewegung anerkannt. Sein Nachfolger Johannes Paul II hat ein besonders gutes Verhältnis zur charismatischen Erneuerung; er leitete beispielsweise persönlich eine Reihe von charismatischen Versammlungen. Trotz dieser guten Beziehungen zu Rom, ist die Verbindung zwischen der katholischen Amtskirche und der charismatischen Erneuerung ambivalent und oft gespannt. Dies gilt speziell für Guatemala, einem Land, in dem sich gegensätzliche Positionen, wie spirituelle und historisch-rationale theologische Ansätze, stark auf die praktische pastorale Arbeit auswirken. Die verhärteten Positionen sind zum Teil Ergebnis des bewaffneten Konfliktes und der Verfolgung, der besonders die nach befreiungstheologischen Grundsätzen ausgebildeten Katecheten ausgesetzt waren. Priester und Ordenspersonal, die an der christlich-katholischen Soziallehre orientiert sind, werfen den Charismatikern häufig vor, zu sehr auf das individuelle Heil ausgerichtet zu sein und deshalb sozialen und politischen Reformen entgegenzuwirken. Spirituelle und konservative Bewegungen, wie die Charismatische Erneuerung, Opus Dei oder in jüngster Zeit die Legionarios de Cristo (die allerdings in Guatemala keine Rolle spielen), werden aus diesem Grunde von Teilen des Klerus als Instrument gesehen, um konservative Strukturen innerhalb der Kurie und der Gesellschaft zu erhalten und auszubauen. Darüber hinaus war die Charismatische Erneuerung in Guatemala nie, anders als die Katholische Aktion, ein Instrument der Kirchenhierarchie, um den Einfluss der Kirche unter den Laien zu stärken und gleichzeitig soziale Massnahmen zu verwirklichen. Die Charismatische Erneuerung: Eine katholischfundamentalistische Bewegung? Die Charismatische Erneuerung vertritt in ihrer Doktrin viele konservative Inhalte, wie zum Beispiel ein konventionelles Familienbild, ein traditionelles Rollenverständnis in Bezug auf die Geschlechter, insbesondere gegenüber Frauen obgleich überwiegend Frauen in ihr vertreten sind. Letzteres kann man unter anderem damit erklären, dass rigide Verhaltensvorschriften oft positive Auswirkungen auf schwierige Familienverhältnisse haben, denn zentrale Probleme, die vorher unlösbar erschienen, können mit Hilfe einer religiös motivierten Grundlage gelöst werden. So wird auf das psychosoziale Verhalten vieler Männer Einfluss genommen, indem sie angehalten werden, mit Alkoholkonsum, Ehebruch und der Gewalt gegenüber ihren Ehefrauen aufzuhören. An diesen Punkten werden noch einmal die Ähnlichkeit zu protestantischen Pfingstkirchen und besonders der Zusammenhang mit christlichen Idealen deutlich, die den Mann als Familienvorstand und Autorität sehen und der Frau die passive Rolle als Hausfrau und Mutter zuweisen. Es wäre jedoch falsch, die Motivation von Frauen für eine Mitgliedschaft ausschliesslich auf ein Interesse zurückzuführen, das sich darauf gründet, die Ehemänner ebenfalls zu einem Beitritt zu bewegen. Häufig ist eine ganze Reihe von Motiven miteinander verwoben, die sogar im Widerspruch zu stehen scheinen. So ist beispielsweise die Charismatische Erneuerung für viele Frau- en auch deshalb attraktiv, weil sie die Ausübung von Führungspositionen ermöglicht und gesellschaftliche Freiräume eröffnet, die ihnen aufgrund ihres Geschlechts in anderen Bereichen versagt bleiben. Die Charismatische Erneuerung nun per se als konservativ zu bezeichnen, ist nicht ganz gerechtfertigt, denn wie der Name bereits besagt, ist ihr an einer innerkirchlichen Erneuerung gelegen. Von Bedeutung ist hierbei der Heilige Geist und die Charisma, so genannte Geistesgaben. Die Kraft des Heiligen Geistes soll innerhalb der Individuen, aber auch innerhalb der Kirche wirken, um die gewünschten Erneuerungen und Veränderungen herbeizuführen. Viele der Charismatiker kritisieren die formelle Liturgie der traditionellen Messe, die sie als Zwang empfinden. Hauptherausforderung sei die Überwindung der Starrheit der traditionellen Kirche, die sich aus dem Fehlen der Erwartung von Gottes Gegenwart und dem Fehlen der persönlichen Glaubensentscheidung herleitet. In jüngster Zeit werden konservative Bewegungen häufig auch als fundamentalistisch bezeichnet. Diese Interpretation gründet sich auf ein Verständnis, welches fundamentalistische Bewegungen als Reaktion gegen die Moderne beschreibt, genauer als Zusammenschluss von Akteuren die gegen all jenes kämpfen, was nicht ihren Vorstellungen von Religion, Gesellschaft und Lebenskonzeption entspricht. Meines Erachtens ist die Bezeichnung fundamentalistisch für die katholische Charismatische Erneuerung deshalb nicht zutreffend, weil die eigene Glaubensposition nicht mit einem radikalen Absolutheitsanspruch und vor allem nicht mit der Militanz christlicher Fundamentalisten eingefordert wird. Konflikte mit der Kirchenhierarchie Die Bedeutung des Heiligen Geistes innerhalb der Charismatischen Erneuerung enthält aus der Doktrin heraus eine spezielle Brisanz, da sie den Priester als ursprünglichen Mediator und religiösen Experten aufgrund seiner Ordination zwischen Gläubigen und Gott bzw. Jesus Christus überflüssig macht. Der Heilige Geist werde spürbar in den Individuen, die restlichen Sakramente (Eucharistie, Sündenbeichte) werden somit ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt. Die Sündenbeichte ist nach der Konversionsentscheidung nicht mehr so wichtig, denn die Lebensführung wird nach Logik der Charismatiker vom Heiligen Geist, d.h. von Gott direkt, bestimmt. Es ist dies wohl auch eine der Gefahren, die die Kurie erkannt hat, wenn sie in letzter Zeit darauf drängt, dass sich alle charismatischen Gruppen bei der jeweiligen Pfarrei melden und sich dem pastoralen Plan der Diözese unterordnen müssen, andernfalls würden sie ausgeschlossen. Problematisch ist für die Kirchenobrigkeit die fehlende Verehrung Marias, der Heiligen und des Papstes nicht nur, weil so die Unterordnung unter die offizielle Lehre erschwert wird, sondern auch, weil sich Charismatiker stärker auf die Bibel berufen. In der Katholischen Kirche hingegen spielen viele traditionelle Elemente eine Rolle, die sich biblisch nicht begründen lassen, sondern aus der Tradition erwachsen sind. Aus dem bereits genannten biblischen Literalismus heraus ergibt sich zudem, dass die katholischen Charismatiker gegen jede Form von Volksreligiösität eingestellt sind, die sich nicht im Einklang mit der christlich-biblischen Lehre befindet. Dies gilt in besonderer Weise für die Mayaspiritualität, weshalb traditionelle Mayapriester, aber auch AktivistInnen aus der Mayabewegung, in ihren Praktiken oft radikal abgelehnt werden. Für die Inkulturationsbemühungen einiger katholischer Geistlicher, Ordensfrauen und Katecheten ist die Charismatische Erneuerung deshalb ein ernstzunehmendes Problem, da sie in den Pfarreien mit Gruppen konfrontiert werden, die eine Einbindung von indigenen Elementen in die pastorale Liturgie und Praxis nicht tolerieren. So ist die ganze Thematik um Inkulturation durchaus als grosse Herausforderung zu begreifen, denn Generationen von indigenen Katecheten erhielten eine Ausbildung in der die indigene Kultur von der Kirche als unvereinbar mit dem Katholizismus und in umfassenderem Sinne als Hindernis für eine Reformierung und Modernisierung des Landes begriffen wurde. Insgesamt betrachtet hat sich die Haltung der Amtskirche in Guatemala gegenüber der Charismatischen Erneuerung in den letzten Jahren stark gewandelt. Man ist zur Einsicht gekommen, dass nur eine gezielte pastorale Betreuung das Abwandern charismatischer Katholiken zur protestantischen Konkurrenz verhindern kann. Diese Einschätzung hat zudem eine positivere Haltung zur Charismatischen Erneuerung bewirkt: In der Vergangenheit überwogen meist Befürchtungen, es könne sich fernab vom Einfluss des Klerus eine parallele autonome katholische Gruppe etablieren. Ein weiterer Kritikpunkt betraf die Nach oben |
Sorge, dass die Charismatische Erneuerung für viele Gläubige eine Zwischenstation auf dem Weg zum Protestantismus darstellt. Heute gilt sie in den Augen der guatemaltekischen Bischofskonferenz und innerhalb der Bewegung selbst als wirksamste Kraft, um einem Abwandern der Katholiken zum Protestantismus Einhalt zu gebieten. Gründe für den Erfolg Man kann den Glauben der Charismatiker als eine Form von Krisenreligion bezeichnen. Nicht nur, weil sie dort zu finden sind, wo sich gesellschaftliche Marginalisierung besonders stark manifestiert. Sie bieten religiöse Lösungskonzepte an, die, wie bereits angedeutet, mit den existentiellen Problemen vieler Guatemalteken verknüpft sind: Alkoholprobleme, Gewalt in den Familien, Krankheit. Ausser rein religiösen Gründen gibt es eine Reihe von anderen Gründen, die den Erfolg erklären: Charismatische Gebetsgruppen (Grupos de Oración) sind kleine Solidargemeinschaften, denen etwa fünfzehn bis zwanzig Personen angehören, die sich kennen und gegenseitig unterstützen. In ländlichen Gegenden sind diese Gruppen teilweise das einzige religiöse Angebot, da der offizielle katholische Klerus unter permanentem Priester- und Personalmangel leidet. Einer der Gründe für den Erfolg der Charismatischen Erneuerung ergibt sich auch aus ihren Konflikten mit bereits bestehenden katholischen Gruppen, wie beispielsweise der Katholischen Aktion (Acción Católica). Überraschenderweise hat sich in den Interviews gezeigt, dass die meisten der interviewten Charismatiker über einen langen Zeitraum hinweg, teilweise über zehn Jahre, als Katecheten äusserst aktiv waren. Diese Katecheten kennen die innerkirchlichen Strukturen sehr genau, weshalb es nicht verwundert, dass in den Interviews der Eintritt in die Charismatische Erneuerung häufig mit der Unzufriedenheit hinsichtlich bestehender Strukturen und Inhalte begründet wurde. Die Kritik gründet sich auf hauptsächlich zwei Aspekten: Zum einen die bereits angesprochene Ablehnung der Inkulturationsbemühungen der Kirche, d.h. genauer einer stärkeren Einbindung von indigener Kultur in die Liturgie und pastorale Praxis. Auf der anderen Seite werden eine fehlende Spiritualität und eine die Religiösität erstickende Rationalität bemängelt. Der Glaube wurde, nach den Aussagen der Charismatiker, in der Bewegung gefestigt und neu erfahrbar. Während vorher eine ,,religiöse Routine" und eingefahrene religiöse Praktiken vorherrschten , ei- ner der Befragten spricht von ,,mechanischem Beten" ist nach der Konversion der Gottesbezug zu einem direkt körperlich erfahrbaren Erlebnis geworden. Die körperliche Erfahrung des Transzendentalen ist meines Erachtens ein weiterer Schlüssel, um den Erfolg der Bewegung zu erklären. Verständlich wird in diesem Zusammenhang auch, warum Emotionen und eine empatische Liturgie so bedeutsam sind. Gefühle bestätigen aus dieser Perspektive heraus die Existenz des Transzendenten, die dann zur subjektiven Wirklichkeit und Wahrheit wird. Diese subjektive Wahrheit erhält zusätzlich an Gewicht, wenn man bedenkt, dass körperliche Erfahrungen wie die Glossolalie (Zungenrede) bereits in der Bibel, einem Text von ungeheurem symbolischem Wert, beschrieben werden. Zusammenfassend hat sich die Charismatische Erneuerung in Guatemala zu einer Bewegung entwickelt, die zunächst sehr stark von der Mittel- und Oberschicht geprägt war und sich inzwischen zu einer katholischen Massenbewegung gewandelt hat. In der Vergangenheit von der Kirche marginalisiert, dies gilt insbesondere für ländliche Gruppen in abgelegenen Gegenden, bemüht man sich heute um mehr Integration in die Kirche. Die Frage ist aber, ob die Katholische Kirche eine stärkere Einbindung der Charismatiker in die Kirche leisten kann, oder ob dadurch nicht vielmehr die eigentliche Kraft der Bewegung zerstört wird, die sie aus ihrem autonomen Status gewonnen hat. |
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