Bis wohin ja, bis wohin nicht?
Fijáte 325 vom 29. Dez. 2004, Artikel 2, Seite 1
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Bis wohin ja, bis wohin nicht?
In Guatemala erscheint dieser 29. Dezember des Jahres 1996 so weit weg, wenn wir mit Personen sprechen, die in passiver Routine stecken oder keine Möglichkeiten haben, ihre BürgerInnenschaft auszuüben. Im Gegensatz dazu hat dasselbe Datum eine starke Bedeutung für diejenigen, die seitdem Räume der Beteiligung einnehmen, die ihnen während Dekaden von willkürlichen Regierungen verwehrt waren. Tausende Frauen und Männer, die an jenem denkwürdigen Tag die Plaza Central in der Hauptstadt füllten, sind die gleichen Menschen, die, allen Enthusiasmus zusammennehmend, trotz der schrecklichen Repressionserlebnisse Vorschläge erarbeiteten und verteidigten, die der sozialen Ungerechtigkeit ein Ende machen sollten. Grundlage dafür waren die Friedensverträge. Die, die ihre Rechte auf Beteiligung in Anspruch genommen haben, haben mittlerweile wertvolle Erfahrungen gesammelt, sind in ihren Erwartungen enttäuscht worden oder suchen andere Wege. In diesen acht Jahren haben die Friedensverträge unzählige sich widersprechende Bewertungen erfahren, abhängig davon, ob sie auf- oder abgewertet werden sollten. Sie wurden demagogisch genutzt, um Stimmen zu gewinnen oder Gelder von der internationalen Gemeinschaft aufzutreiben. Ebenso haben sie als Referenzpunkte für Lösungsforen von tief greifenden Problematiken dieses Landes gedient, das verwüstet war durch Militärdiktaturen und erhebliche soziale Ungleichheiten. Wie auch immer, wenn von der Situation in Guatemala die Rede ist, ist ein obligater Bezugspunkt das Vor oder Nach den Friedensverträgen. Dialoge ohne Resultate Die friedlichen Mechanismen für die Lösung von Konflikten wurden willkommen geheissen, als die Gespräche zwischen Staatsinstitutionen und VertreterInnen der Zivilgesellschaft durch das Verhalten der Regierenden versperrt wur- den. Auf diese Weise hat es zahlreiche Verhandlungs- oder Rundtische seit Dezember 1996 gegeben. Dialoge mit Lösungen ist die Forderung der sozialen AkteurInnen, denen jegliche Entwicklungsoption negiert wird. Drei Regierungen haben an solchen Gesprächen teilgenommen, ohne als öffentliche Macht ihre Verantwortung zu übernehmen, sich direkt einzumischen, um die Erfüllung der Friedensverträge zu sichern. Die Regierungen von Álvaro Arzú, Alfonso Portillo und Óscar Berger haben die Rolle von Veranstaltern der Plauderstunden übernommen und nicht als Verantwortliche der Staatsmacht, die den Respekt gegenüber den Menschenrechten zu garantieren haben. Zu diesen zählen u.a. die Rechte auf Versammlungsfreiheit, Gedanken- und Meinungsfreiheit, Eigentum, Legitimität von Widerstand und alle anderen Rechte, die dem Menschen laut Konvention inhärent sind. FunktionsträgerInnen des Staates vertraten bei den Gesprächen die Perspektive, sozialen Druck zu vermeiden, dem Volk Almosen zu geben anstelle von dauerhaften Lösungen, grosse Unternehmen zu bevorzugen und deren neoliberales Marktmodell sowie eine paramilitärische Struktur wieder zu beleben. All dies tritt die Friedensverträge und die demokratischen Praktiken mit Füssen. In den Gesprächen muss mit dieser bösartigen Tendenz abgeschlossen werden, die öffentliche FunktionärInnen gerne vorschieben, die jegliche Schuld abweisen wollen mit dem Argument, es seien andere Regierungen gewesen, die Rechtswidrigkeiten und Verspätungen in der Bearbeitung der Forderungen zu verantworten haben. Vorsicht, Fallen! Eine der Lehren daraus besteht darin, dass Aspekte der Friedensverträge das neoliberale Projekt und den Verlust der Autonomie der sozialen Organisation unterstützt haben. Zwei Beispiele: der Landfond FONTIERRA und das Frauenforum. Angesichts des Mangels an Alternativen für die Fa- Nach oben |
milien der BäuerInnen, wurde der Landfond als Gelegenheit für die Leute ohne Landbesitz qualifiziert, ohne in Betracht zu ziehen, dass dieser Mechanismus nicht die notwendigen Ressourcen für Investitionen zuteilt und seine ,,Begünstigten" dazu verpflichtet, deutliche Gewinne innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren zu schaffen, bevor sie überhaupt mit den Rückzahlungen von Kredit und Zinsen beginnen konnten. Gleichzeitig waren für diese Familien jedoch die Ausgaben für Bildung, Dienstleistungen, Kleidung etc. zu tätigen. Nach sieben Betriebsjahren ist der Landfond unfähig, die Anfragen zu bewältigen. Um sich an die Marktpolitiken anzupassen, bietet er ein günstiges Panorama für die Grossgrundbesitzenden an, die daran interessiert sind, ihr ertragschwaches Eigentum zu verkaufen. Mit wenigen Ausnahmen haben die BewohnerInnen der durch FONTIERRA vergebenen Fincas weder ihre Lebensqualität verbessert noch sind sie solvente SchuldnerInnen. Mit der Umwandlung des Fonds zum einzigen Weg, Ländereien zu vergeben, hat sich der Staat von der Verantwortung befreit, die Entwicklung der Bäuerinnen und Bauern zu garantieren. Dabei ist es ganz offensichtlich, dass es anderer Optionen bedarf, die die Gründung kleiner erfolgreicher Unternehmen stützen. Vor 1996 fehlten den organisierten Guatemaltekinnen noch Vertreterinnen in allen Departements und allen indigenen Völkern. Das Frauenforum öffnete diese Möglichkeit. Verschiedenste Gruppierungen sammelten sich in der Anstrengung und in einem kurzen Zeitraum multiplizierten sich die Gruppen bereits. Mit der Fähigkeit, Vorschläge zu machen aus dem öffentlichen Raum und als Zivilgesellschaft, nahmen Tausende von Frauen an einem Prozess teil, der zur Strukturierung des Forums als nationale Instanz führte. Viele von diesen tru- gen dazu bei, eine Politik zu entwerfen, um die integrale Entwicklung der Guatemaltekinnen zu fördern und zusätzlich Gesetze zu Gunsten der weiblichen Bevölkerung zu modifizieren und zur Abstimmung zu bringen. Die historischen Bedingungen der Diskriminierung und das Fehlen von Möglichkeiten für die Organisation der Frauen erforderten eine weiterreichende Übereinstimmung. Heute sieht die Sache anders aus. In den Institutionen müssen gerade die Stimmen der sozialen Bewegung ihre Fähigkeit für Kritik und Druck bewahren. Zahlreiche Fragen warten auf Antworten: Ist es möglich, Teil der Institutionenlandschaft zu werden ohne die Autonomie zu verlieren? Ist es nötig, dass die soziale Repräsentation des Segens der Regierung bedarf, wie es mit den paritätischen Kommissionen gemacht wurde? (Rosalinda Hernández Alarcón) |
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