Machen Gewaltverbrechen Minderjährige zu Erwachsenen?
Fijáte 431 vom 25. März 2009, Artikel 5, Seite 4
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Machen Gewaltverbrechen Minderjährige zu Erwachsenen?
Guatemala, 19. März. Gerade noch verabschiedete der Kongress die Resolution, mittels der eine Botschaft anlässlich des Tages gegen Gewalt an Kindern am 13. März entsendet wurde und die zum Nachdenken über die Situation anregen sollte, in der die Jungen und Mädchen angesichts der Gewalt leben, der sich direkt oder indirekt ausgesetzt sind. Die Initiative dieser Resolution geht zurück auf den Abgeordneten Óscar Córdoba von der Patriotischen Partei, der Präsident der Kongresskommission für Minderjährige und Familie ist. Demgemäss werden die Sicherheitskräfte des Staates aufgefordert, mit sofortiger Wirkung Programme und Massnahmen zu entwickeln und umzusetzen, die darauf ausgerichtet sind, die Gewalt gegen diesen Bevölkerungssektor einzudämmen. Laut einer Durchsicht der schriftlichen Presse, sind im laufenden Jahr mindestens 107 Minderjährige durch Gewalt zu Tode gekommen, in den meisten Fällen waren Erwachsene direkt dafür verantwortlich. Für José Felipe García Leiter der Sozialen Bewegung für die Rechte der Kindheit und Jugend ist diese Situation Teil einer systematischen Gewalt, die bislang durch die gemeine Delinquenz getarnt wurde, denn der Gebrauch von Schusswaffen dominiert in den meisten dieser Fälle. "Es ist eine gut orchestrierte Situation. Wir haben es mit einer immer grausameren Gewalt zu tun", so García. Von den 49 im Februar durch Gewalt getöteten Minderjährigen, sind laut Medienberichte 34 Jungen und 15 Mädchen. Von diesen wurden 30 erschossen, zwei wurden zerstückelt, ein Neugeborenes wurde von seiner Mutter erwürgt und sechs starben bei Verkehrsunfällen, bei denen alle FahrerInnenflucht begangen wurde. Und dann wurde auch schon eine andere, diametral dagegen stehende Facette der Situation der Minderjährigen im öffentlichen Leben präsent: Nämlich die Gewalt, die von Jugendlichen selbst ausgeübt wird. Auslöser für diese heftige Diskussion war eine Schlägerei in einer Jugendstrafanstalt - die in Guatemala stets unter dem irreführenden Begriff der "Korrekturzentren" geführt werden - die Anfang März mutmasslich von älteren, "volljährigen" inhaftierten Jugendbandenmitgliedern provoziert worden war, weil zwei ihrer Führungsleute in ein anderes Gefängnis verlegt worden waren. Zunächst nahmen die Jugendlichen drei ihrer Lehrer und zwei Wächter als Geiseln, schliesslich schlugen sie einen der Lehrer tödlich zusammen, angeblich rissen sie ihm anschliessend Herz und Gedärme aus dem Leib. Diese Tat, die ihre Vorläufer in den Gefängnissen für Erwachsene hat, sorgte in Guatemala für die Eröffnung zweier Strafgesetzdebatten: Die eine bezieht sich auf die Überlegung, Heranwachsende, die im Jugendknast ihre Volljährigkeit erlangen, mit ihrem 18. Geburtstag in Haftanstalten für Erwachsene zu verlegen, was bislang untersagt war, auch wenn die Häftlinge wegen Mordes einsassen. Die andere, die laut Medienforen auch von der Zivilgesellschaft unterstützt wird, ist der Vorschlag, Jugendliche, die schwere Verbrechen vergehen, strafrechtlich direkt wie Erwachsene zu behandeln. Selbst die Abgeordnete Nineth Montenegro von der Partei Encuentro por Guatemala (EG), die der Kongresskommission für die Reform des Justizsektors vorsitzt, plädiert dafür, Wege zu finden, die Minderjährigen, die zum Teil gar die von ihnen begangenen Verbrechen auch gestehen, angemessen zu bestrafen. Dafür müsse jedoch die Verfassung geändert werden, die besagt, dass Minderjährige nicht voll strafbar sind. Diese Gesetzeslücke wird immer offensiver von Gruppen des organisierten Verbrechens und von den Jugendbanden genutzt, indem sie Minderjährige losschicken, um Auftragstaten auszuführen. Nach oben |
Die Fraktionschefin der Patriotischen Partei (PP), Roxana Baldetti, hat noch eine krassere Idee: Sie verkündete, dass ihre Partei bereits 2005 einen Gesetzesvorschlag eingereicht habe, der die Bestrafung von Minderjährigen ab einem Alter von 15 Jahren zum Gegenstand habe. Dem Vorschlag nach sei es nicht nötig, gleich die Verfassung zu ändern. Stattdessen müsse bloss das Bürgerliche Gesetzbuch reformiert werde, denn darin würde die Volljährigkeit definiert. Die patriotische Idee besteht nun darin, für bislang Minderjährige, die ab einem Alter von 15 Jahren ein Verbrechen begehen, die Volljährigkeit und somit die volle Straffälligkeit auf eben 15 Jahre herabzusetzen. Baldettis Parteikollege Córdoba betrachtet das Problem derweil als ganzheitliches Thema, das vielmehr als Aufgabe der Wiedereingliederung betrachtet werden müsse. Nichtsdestotrotz schlachten die Kommentaristen die Daten der Justiz aus, denen zufolge die Justizprozesse gegen Minderjährige, die in Morde verwickelt sind, von 2007 auf 2008 um 153% gestiegen seien. In anderen Schwerstverbrechen wie Totschlag, Vergewaltigung, Drohung, schwerer Raub und Erpressung, sind die Fälle, in denen Jugendliche als Täter vor Gericht erscheinen, ebenfalls, jedoch in geringerem Masse angestiegen. So betitelt Carlos Ajanel seinen Beitrag in der Tageszeitung Siglo XXI mit "Mörderkinder". Er ist der Ansicht, dass "die nationale Wirklichkeit [es] verbietet (…), das aktuelle Strafmass beizubehalten: höchstens 2 Jahre für Mörder, Totschläger, Geiselnehmer, Vergewaltiger, etc. die zwischen 13 und 15 Jahren weniger einem Tag alt sind, 6 Jahre Gefängnis höchstens für die, die zwischen 15 und 18 Jahre weniger einem Tag alt sind. Die Strafe muss die Eltern, Familienangehörige oder Kriminellen erreichen, die die Heranwachsenden in diese Art von Aktionen involvieren." |
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