Hijóle, die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: "Haare ins Meer" und anderen Ironien
Fijáte 461 vom 26. Mai 2010, Artikel 6, Seite 4
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Hijóle, die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: "Haare ins Meer" und anderen Ironien
Es erschien mir so eigenartig, dass ich es gleich nochmals lesen musste: Menschen aus der ganzen Welt spenden ihr eigenes Haar und jenes ihrer Haustiere, um schwimmende Barrieren zu bauen, die das Öl binden sollen, das aus der versunkenen Plattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko entweicht (AFP/EFE, in Prensa Libre, 14/05/10). Ich musste sofort an den Ausdruck "Haare ins Meer" denken, den die Kinder in gewissen Regionen Spaniens noch heute gebrauchen, wenn sie ihre Streitigkeiten beenden wollen. Doch die Nachricht bezog sich auf unschuldiges Haar, das hilfsbereite Menschen anbieten, um dem Desaster etwas entgegenzusetzen. Derweilen versteckt der Ölgigant BP (der im letzten Quartal 6 Milliarden US-$ Gewinn gemacht hat, jener mit dem unschuldigen Logo der gelben und grünen Blümchen) Fotos und Informationen darüber, was wirklich vor sich geht, und verhehlt seine langen Katastrophen-Geschichten in Sachen Politik und Umweltzerstörung. (Manchmal überkommen einen perverse Gefühle: Schade, dass Arizona, der Staat der rassistischen Migrationsgesetze, nicht am Golf von Mexiko liegt, damit, wenn sie uns Latinos schon nicht wollen, sie wenigstens an ihrem Öl ersticken.) Dieses Bild der Haare erinnerte mich an ein anderes aus dem letzten Jahr, als die Weltgesundheitsorganisation WHO, beraten von Albert Osterhaus, der wiederum von Roche bezahlt wurde, die Schweinegrippe, Entschuldigung die A/H1N1, ausrief und entschied, die ganze Welt müsse Masken anziehen und sich mit diesem verdächtigen Tamiflu impfen lassen, das zufälligerweise in den Laboren der Roche Holding AG entwickelt wurde. Kein Wort seitens der WHO über die Ursachen dieser Grippe (die immensen Schweinezuchten einer US-amerikanischen Firma im Staat Veracruz, Mexiko) und keine genauen Daten über ihre tödliche Kapazität, die in Wahrheit insignifikant war, verglichen mit den Toten, welche unsichtbare Epidemien unter den Bevölkerungen des Südens fordern. Aber es gibt immer Leute, die ihrem Farbfernseher gehorchen und die fügsam bereit sind, zu helfen. Genauso wie sie letztes Jahr diese nervigen Masken trugen, rasieren sie sich heute die Köpfe und schneiden sich die Zöpfe ab … Die Anregungen des grossen neoliberalen Bruders werden zu Geboten, ausgesprochen von den Manipulationsmedien - gefragt wird gefälligst nicht. Da scheinen mir die Damen und Herren des jüngst in Cochabamba abgehaltenen Gipfels über Klimaveränderung intelligenter, wenn sie unter all den Perversionen der globalisierten kapitalistischen Diktatur am schärfsten die "landwirtschaftliche Industrie, den Bergbau, die Gewinnung von Kohlewasserstoff und andere grosse Industrien" verurteilen, weil sie "das fundamentale Menschenrecht auf Wasser für den täglichen Gebrauch der Menschen und zur Herstellung von Lebensmitteln" einschränken. Ebenso kritisieren sie "die industrielle Herstellung von Lebensmitteln, die Riesendeponien für Müll und Mist sowie die intensive industrielle Viehzucht". Oder "die Technologien, die den Interessen des Kapitals dienen und sich als Lösungen für die verschiedenen Krisen anbieten, denen wir ausgesetzt sind. Sie alle sind falsche Lösungen, Werkzeuge der Akkumulation und ein Riesengeschäft für die transnationalen Unternehmen …". Alle würden behaupten, dass wir in Guatemala in Sachen Schutz der Mutter Erde Fortschritt machen. Schliesslich behauptet unser Präsident von sich, ein Maya-Priester zu sein. Die Mutter Erde, genauso wie die Mayas, sind gut für die Touristenfotos, alles andere ist für die Transnationalen wie dieses andere Ölunternehmen, PERENCO, das im nächsten August seine Explotationslizenz in der Maya-Biosphäre "Laguna del Tigre" erneuern will. Die Abgeordneten im Kongress haben bereits grünes Licht gegeben (was haben sie wohl dafür kassiert?) und ein entsprechendes Gesetz bewilligt. Nun liegt die Entscheidung beim Präsidenten-Maya-Priester. Dieser sagt, dass er Väterchen Gott darum bitte, ihm die Inspiration im Schlaf einzugeben. Aber - und ich hoffe, ich irre mich - alles deutet darauf hin, dass von oben Zeichen kommen, er solle dem Ölunternehmen und ihren guatemaltekischen Handlangern einen Gefallen erweisen. Habt ihr das Augenzwinkern nicht gesehen, mit dem Colom zu seinem Energieminister Carlos Meany (der eher wie ein Agent des Ölmultis aussieht) sagte: "Carlos, da haben wir immer noch eine kleine Schlacht zu gewinnen" (Prensa Libre, 8/05/10). Nach oben |
Unser Präsident ist wie ein Zauberer in der Cocktailbar: So, wie er den Maya-Priester mit der Zerstörung der Biosphäre kombiniert, sowenig stört es ihn, seine sogenannte Sozialdemokratie mit der blutrünstigen Partei des FRG zu mischen. Und so erscheinen sie dann zusammen auf dem Foto: der Mehrfachvölkermöder Ríos Montt mit der Ehefrau des Präsidenten, der linken Sandra Torres, deren Vorwahl-Allianz bereits gefressen zu sein scheint. Derweil geht es den Leuten in Guatemala beschissen. Gemäss jüngsten Daten der UNDP (2008) gehört ungefähr 80% des kultivierbaren Bodens 2% der Bevölkerung dieses wohlbemerkt bäuerlichen Landes. Der Gini-Koeffizient, der die wirtschaftliche Ungleichverteilung misst, ist mit 53.7 einer der höchsten des Kontinents. 50.9% der Bevölkerung lebt in Armut, 15.2% in extremer Armut. 70% arbeitet in der informellen Ökonomie. Mehr als 3 Mio. von 12 Mio. GuatemaltekInnen leiden Hunger. Aber glauben Sie nicht, dies würde die Kongressabgeordneten dazu bewegen, ein Gesetz über ländliche Entwicklung voranzutreiben, das seit acht Jahren in ihren Schubladen liegt. Die Väter der Nation sind vielmehr daran interessiert, ein Gesetz über privat-öffentliche Partnerschaften durchzubringen, das die transnationalen Unternehmen und ihre guatemaltekischen "Konkubinen" der nationalen Oligarchie privilegiert, auf Kosten der Rechte der Bevölkerung, ohne Berücksichtigung von Volksbefragungen, die in Guatemala per internationalem Recht verbrieft sind. Und zu guter Letzt: Ein Jahr nach dem medial aufgebauschten Mord (oder Selbstmord) an Rodrigo Rosenberg, präsentiert sich das Präsidentenpaar in Kommunionskleidern in der Kathedrale. Sie danken Gott, denn schlussendlich ist nichts passiert. Noch immer warten wir darauf, dass uns die CICIG sagt, wer die kollektiven Gefühle gegen die Regierung manipulierte, und dafür die plötzlich gewachsene Autorität des Opfers Rosenberg zu nutzen wusste. Wir warten darauf zu erfahren, welche grossen Fische den Kaffeeunternehmer Khalil Musa und seine Tochter umbrachten, und was sie damit vertuschen wollten. Und wir warten darauf, dass jemand über die Verzweiflung Rosenbergs nachdenkt, ausgelöst durch die unausstehliche Straflosigkeit, die in Guatemala herrscht. Dieselbe Verzweiflung, die auch andere Selbstmorde und Gewalttaten provoziert. Dieselbe Gewalt, die uns in einem Zustand des "Rette-sich-wer-kann" hält, die Öl ins Feuer der Lynchmorde giesst … Um etwas mehr von dem sozialen Chaos namens Guatemala zu verstehen, müssen wir das Rosenberg-Syndrom analysieren: Die selbstmörderische Verzweiflung ob so viel Straflosigkeit. |
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