Hört endlich auf! - Zum Internationalen Tag gegen die Gewalt an Frauen
Fijáte 449 vom 2. Dezember 2009, Artikel 5, Seite 5
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Hört endlich auf! - Zum Internationalen Tag gegen die Gewalt an Frauen
Guatemala, 25.Nov. Anlässlich des Internationalen Tages gegen die Gewalt an Frauen beschäftigt sich Politik und Gesellschaft in Guatemala in verschiedenen Veranstaltungen mit diesem alarmierenden Thema (siehe ¡Fijáte! 446). Bereits am 10. November riefen VertreterInnen der Vereinten Nationen in Guatemala eine lateinamerika-weite Kampagne gegen die Gewalt an Frauen aus. Mauricio Valdés, Vertreter des UN-Entwicklungsprogramms (PNUD) in Guatemala, erklärte, dass die regionale Kampagne das Ziel habe, die Regierungen, Zivilgesellschaften, Frauen- und Jugendorganisationen sowie die Medien aufzufordern, ihre Kräfte zu vereinen, um die Welle von Gewalt gegen Frauen und Mädchen einzudämmen. Mit konkreten Aktionen soll gemeinsam mit den Regierungen Programme entwickelt werden, die der Gewaltprävention dienen und gleichzeitig die Einhaltung der vorhandenen lokalen Gesetze und internationalen Vereinbarungen fördern. Rita Cassisi von der UN-Frauenorganisation (UNIFEM) war ihn ihren Äusserungen konkreter. Sie warb für eine grundsätzliche Bewusstseinsänderung in der Gesellschaft. Gewalttaten gegen Frauen seien nicht einfach ein Teil der allgemeinen Gewalt, sondern eine grundsätzliche Infragestellung der Menschenrechte. Sie verursachten zudem enorme soziale und wirtschaftliche Kosten und diskreditierten den Beitrag, den Frauen zur Entwicklung des Landes beitrügen. Laut UNIFEM sind Millionen Frauen und Mädchen in Lateinamerika Opfer verschiedenster Formen der Gewalt. Eine Ursache sieht Cassisi in der männerdominierten Kultur (Machismo), die auf dem Kontinent herrsche. Sie verwies darauf, dass die lateinamerikanischen Staaten, welche die "Konvention gegen jegliche Form der Frauendiskriminierung" unterschrieben hätten, bisher nur drei von 76 Forderungen eingehalten hätten, was auch daran liege, dass Frauen weiterhin nur eine Minderheit sowohl in der Legislative wie auch in der Exekutive seien. Auch die guatemaltekische Regierung hat sich eine Woche später (am 16. November) des Themas in einer öffentlichen Veranstaltung angenommen. Auf Einladung des Vizepräsidenten diskutierten diverse ExpertInnen unter dem Motto "Sehen, Entgegentreten, Lösen" über die Gewalt gegen Frauen. Vizepräsident Rafael Espada sagte, die Exekutive habe ihren Fokus darauf gelegt, die Kultur der Misshandlung durch Erziehungsmassnahmen anzugehen, sodass die Frau erkennen könne, in welchem Moment sie zu einem Opfer werde und wohin sie sich wenden könne. Er gab zu, dass diese von ihm nicht weiter spezifizierten Massnahmen nur langfristig Erfolge erzielen können. Guatemala ist - so bilanzierte Carlos Castresana von der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) - nach Mexiko und El Salvador das zentralamerikanische Land mit der höchsten Zahl an Frauenmorden. Castresana kritisierte, dass effiziente Massnahmen des Staates gegen Frauenmorde gegen Null gingen und damit dazu beitrügen, dass diese Untaten weitergingen. Es könne mitnichten von Präventionsmassnahmen des Bildungs- und Gesundheitsministeriums gesprochen werden. Die Straflosigkeit belegte Castresana mit folgenden Zahlen: Von den zwischen 2005 und 2007 bekannt gewordenen fast 2000 Frauenmorden wurden nur 93 Fälle vor die Justiz gebracht, nur 43 dieser Fälle endeten mit einer Verurteilung des Täters. Das bedeute eine Effektivität von 2,1 Prozent und eine Straffreiheit von 97,9 Prozent aller Mordfälle. Nach Ansicht von Norma Cruz von der Stiftung Überlebende (Fundación Sobreviventes) hat die Zahl der Frauen, die Gewalttaten anzeigen, zugenommen. Allein ihre Organisation betreue sechzig Prozesse wegen Misshandlungen und dreissig Prozesse wegen Mordes, und es gebe noch mindestens zehn weitere ähnliche Organisationen. Allein im Jahre 2009 seien bis Mitte November 632 Frauen und mehr als 500 Kinder getötet worden. Nach oben |
Was tun? Nach Einschätzung von Castresana ist es wichtig, die Männer in den Kampf gegen die Gewalt an Frauen einzubeziehen, da die Gewalt mit der Dominanz des männlichen über das weibliche Geschlecht verbunden sei. Auf diese Frage geht auch die Kolumnistin der Prensa Libre Marielos Monzón ein. Gewalt gegen Frauen - so schreibt sie - habe viele Gesichter: die der angegriffenen Frauen und die der Agressoren, die Gewalt in der Öffentlichkeit und die im Privaten. Die extremsten Gesichter seien jene der ermordeten Frauen, die zuvor gefoltert und missbraucht wurden, oder der Kinder, die von ihren Familien misshandelt und sexuell ausgebeutet wurden. Die Gewalt habe das Gesicht einer Arbeiterin, einer Hausangestellten, der Studentin, der indigenen Frau, der Mitbewohnerin und der Migrantin. In jedem dieser Fälle sei Hass und eine Diskreditierung der Frau als solcher vorhanden, ein Verhältnis von Ungleichheit, das von Generation zu Generation weitergetragen werde - auch durch Bücher, Filme oder Werbung. Die Reduktion der Frau auf ihre Rolle als Opfer, sexuelles Objekt oder Privatbesitz. Nach einer UN-Studie hat mehr als die Hälfte der zentralamerikanischen Frauen in ihrem Leben einen gewalttätigen Übergriff erlebt, meist von engen Angehörigen. Eine solche Kultur im Privaten werde dann in Zeiten der politischen Gewalt und des Bürgerkriegs, in denen in Guatemala unvorstellbare Gräuel ungestraft stattgefunden haben, noch verstärkt. Daher - so schliesst Marielos Monzón mit den Worten des Direktors von PNUD, Xavier Michon - sei der erste Schritt im Kampf gegen diese Geissel der Menschheit, das Bewusstsein über deren Natur und ihre Tragweite und Konsequenzen für die gesamte Gesellschaft zu schärfen. Es gebe eine einzige universelle Wahrheit, die für alle Länder, alle Kulturen und alle Gemeinschaften gelte: die Gewalt gegen die Frauen ist niemals akzeptabel, niemals zu entschuldigen und niemals zu tolerieren. Damit schliesst sich der Kreis, und wir sind wieder bei den Zielen der Kampagne der Vereinten Nationen, der Gewalt gegen Frauen ein Ende zu setzen. Am 25. November machten CICIG und UNIFEM in einer Presseerklärung anlässlich der offiziellen Zeremonie im guatemaltekischen Kongress deutlich, dass der Schutz der Frauen zwar hauptsächlich in der Obhut des Staates liege. Was aber sei - so fragt Gladys Acosta von UNIFEM - , wenn es nicht-staatliche Akteure gäbe, die mehr Einfluss hätten als der Staat bzw. die von diesem nicht kontrolliert werden könnten? Die Situation der Frauen könne nur wirklich verstanden werden, wenn die Zusammenhänge zwischen der organisierten Kriminalität in Zentralamerika und den Gewaltakten gegenüber den Frauen offengelegt werden. NEIN zur Gewalt zu sagen, ergänzte Rebeca Grynspan von PNUD, heisse gleichzeitig NEIN zur Straflosigkeit zu sagen. Straflosigkeit nicht nur im juristischen, sondern auch im gesellschaftlichen Sinne. Eine Kultur des Friedens könne nicht ohne die Anerkennung der grundlegendsten Rechte entwickelt werden - und sei es das Recht, eine Frau zu sein, ohne in Gefahr zu leben und nur aufgrund dieser Tatsache ermordet zu werden. Vizepräsident Estrada hat sicher in dem Punkt recht, dass sich die machistische Kultur und - möchte man hinzufügen - ihre Verbindung mit klandestinen gesellschaftlichen Strukturen nicht von heute auf morgen ändern lassen. Aber seine Hausaufgaben muss seine Regierung schon machen. Ein Gesetz gegen die Gewalt an Frauen zu verabschieden, sich in öffentlichen Diskussionen dem Thema zu stellen, offiziöse Veranstaltungen abzuhalten, mögen erste Schritte sein. So lange aber die Täter so gut wie immer straffrei davonkommen, solange die Verbindung zwischen klandestinen Strukturen und staatlichen Stellen nicht gekappt werden, so lange wird sich nichts ändern - weder kurzfristig, noch langfristig. |
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