Guatemala in deutschen Medien: der Fall Rosenberg im ZEIT-Magazin
Fijáte 461 vom 26. Mai 2010, Artikel 2, Seite 2
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Guatemala in deutschen Medien: der Fall Rosenberg im ZEIT-Magazin
Guatemala/Hamburg 6. Mai 2010 Ein vergilbt wirkendes Foto eines Transparents "Rodrigo Rosenberg - Héroe de los buenos Guatemaltecos - no moriste en vano, Guatemala te rinde homenaje" (Rodrigo Rosenberg - Held der guten Guatemalteken - dein Tod ist nicht umsonst, Guatemala schuldet Dir ein ehrenhafts Andenken") prangt auf dem Titelbild des ZEIT-Magazins Nr. 19 vom 6.5.2010. Darunter steht "Killer erschossen den Politiker Rodrigo Rosenberg. Er hatte sie selbst beauftragt." Auf dem zweiten Titelbild sieht man das unscharfe Bild einer dunkelblonden, attraktiven Frau mit der Unterschrift "Sein Freitod war ein Aufschrei: Klärt den Mord an der Liebe meines Lebens auf! Eine Geschichte aus Guatemala". Es folgt ein kitschiger Bericht über ein reiches Muttersöhnchen und Romantikers, der auch Anwalt und (erfolgloser) Politiker war. Zweimal heiratete er die optische Kopie seiner Mutter, die er "am liebsten geheiratet hätte". Der Autor Erwin Koch zitiert zeilenweise Rosenbergs schwülstige und immer gleiche Liebesschwüre per SMS an seine Geliebte, die Tochter des reichen Guatemalteken libanesischer Herkunft Khalil Musa. Daneben finden sich vergilbte Fotos eines Slums und einer paralysierten Tochter, die gerade von der Ermordung ihres Vaters erfahren hat, eine Grossaufnahme einer tiefen Blutlache, die mit einem Besen fortgewischt wird, ein verschwommenes Bild der nächtlichen Hauptstadt und eine tanzende Frau in einem Nachtclub - alle haben sie direkt nichts mit der Geschichte von Rosenberg zu tun. Was sagt uns diese "Geschichte aus Guatemala" über Guatemala? Und was sagt sie uns über das ZEIT-Magazin bzw. die Wahl ihrer Themen? In Guatemala ist Gewalt und Angst Alltag. Die Zahl der Toten ist höher als je während des Bürgerkrieges war. Kein Wort von Koch darüber, warum sie da ist und warum sie anders ist als zu Zeiten des Bürgerkriegs. Hingegen erwähnt er die faktische Gesetzlosigkeit, über die auch im !Fijáte! schon häufig etwas zu lesen war: nur 2 % aller schweren Verbrechen werden aufgeklärt. "Vielleicht drei", schreibt Koch. Und in dieser Zeit lebt ein knapp fünfzigjähriger Anwalt, der ein dickes Auto von seiner Mutter geschenkt bekommen hat, der nach seiner erfolglosen Kandidatur für den Stadtrat von Guatemala Stadt von ihr mit einer Karibik-Kreuzfahrt 'getröstet' wird. Ein hoffnungsloser Romantiker, "zu gut für diese Welt". Ist das Realsatire oder das Portrait der von den Realitäten völlig abgekapselten Welt der Reichen in Guatemala? Oder beides? Es ist das Portrait einer behüteten Welt, in welcher die Gewalt wie ein Naturereignis hineinschlägt und die Geliebte unseres Helden vernichtet - und damit auch den Helden selbst. Der schlägt um sich, macht den Präsidenten und seine Entourage für die Morde (seinen eigenen, den seiner Geliebten und den an ihrem Vater) verantwortlich, sorgt für Unruhen, die fast an einen Staatsstreich gegen den Präsidenten denken lassen (der wiederum seine armen und indigenen "FreundInnen" zur Gegendemonstration auf die Strasse bringt) und initiiert schliesslich seinen Selbstmord als seine eigene Ermordung. (Warum erinnert mich das an den Fallschirmabsturz des Selbstdarstellers Jürgen Möllemann?) Rosenberg initiiert es als ein Fanal gegen Korruption und Straflosigkeit. Aber ist er deswegen ein glaubwürdiger Mann? Darüber schweigt Koch sich aus. Hintergründe über den Mord an Khalil Musa und seiner Tochter finden die LeserInnen nicht. In einem Nebensatz wird der Präsident in Schutz genommen. Dass die ausführenden Mörder verhaftet sind, wird auch erwähnt (übrigens ein Erfolg von CICIG). Nach oben |
Kein Licht wirft er auf die Frage: was macht Rosenberg eigentlich zu einem Politiker, als der er in der Überschrift tituliert wird? Im Text ist er nur ein erfolgloser Kandidat für den Stadtrat, Kandidat einer Partei, die nicht gerade als Hort der Bekämpfung der Korruption und Straflosigkeit bekannt ist (Movimiento Renovador, Teil von GANA). Seine Mörder besorgte er sich über die Cousins seiner ersten Frau, den "Eigentümern mehrerer pharmazeutischen Unternehmen". So ein Nebensatz sagt viel über den Aspekt "Sicherheit der Reichen" und damit über Guatemala aus (siehe auch das Interview über private Sicherheit im letzten ¡Fijáte!). Und was ist mit den Zeugen, die Koch interviewt? - Einer davon, Rosenbergs Freund Luís Mendizábal, Besitzer einer noblen Herrenboutique, war auch "Sicherheitsberater mehrerer Regierungen". Was heisst das denn? ¡Fijáte!-LeserInnen wissen es: Er war Leiter der sog. "oficinita", einer parallelstaatlichen Geheimdienst-Gruppe und Mitgründer der rechtsgerichteten, vor einem Jahr an der Regierung von El Salvador abgelösten Partei ARENA. So gesehen, bleibt von dem Artikel tatsächlich nur ein realsatirischer Blick auf das Innenleben abgehobener Reicher. Aber erklären über die guatemaltekische Realität tut er nichts. |
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