Die privaten Sicherheitsfirmen schwächen die öffentlichen Institutionen
Fijáte 460 vom 12. Mai 2010, Artikel 1, Seite 1
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Die privaten Sicherheitsfirmen schwächen die öffentlichen Institutionen
Auf den Strassen Guatemalas sieht man immer mehr private Sicherheitsbeamte. Ihre Anzahl übersteigt längst jene der öffentlichen Sicherheitskräfte, doch die Gewalt steigt weiterhin an. Nachbarschaften organisieren sich, um ein privates Unternehmen zu beauftragen, ohne genau zu wissen, ob das nun die Lösung des Problems oder bloss ein Notbehelf ist. "Die private Sicherheit lebt von der Armut der Leute und der Straflosigkeit im Arbeitsrecht", sagt Otto Argueta, Spezialist in Sicherheitsfragen. Hinter den Uniformen und Waffen der Privatpolizisten versteckt sich ein riesiges Geschäft: Aus Angst um ihre Sicherheit zahlt die Bevölkerung jährlich 574 Mio. US-$ an private Sicherheitsunternehmen, während der Staat für die Gewährung der öffentlichen Sicherheit bloss über ein Budget von 251 Mio. US-$ verfügt. Das folgende Interview erschien am 18. April in der Tageszeitung elPeriódico. Argueta beendet zur Zeit sein Studium am GIGA Institut für Lateinamerikanische Studien in Hamburg. Seine Doktorarbeit trägt den Titel "Private Sicherheit in Guatemala - Faktoren und Auswirkungen". Frage: Der Staat hat bewiesen, dass er nicht in der Lage ist, seinen BürgerInnen Sicherheit zu garantieren. Ist es nun folgerichtig, die Sicherheit zu privatisieren? Otto Argueta: Sicher nicht. Kein Land hat diesen Bereich gänzlich privatisiert. Normalerweise geht man davon aus, dass das Aufkommen privater Sicherheitskräfte das Ergebnis der Unfähigkeit der öffentlichen Institutionen ist. In Nachkriegsgesellschaften hat man beobachtet, dass sich das private Sicherheitgeschäft paralell zum bewaffneten Konflikt entwickelt hat und es nicht das Resultat, sondern eine der Ursachen der Schwächung der öffentlichen Sicherheitskräfte ist. Der private Sicherheitssektor schwächt den öffentlichen Sektor nicht bloss, sondern er profitiert auch von dieser Situation. Die Sicherheitsfrage zu privatisieren, ist eine völlige Irreführung, denn diese privaten Unternehmen vermitteln bloss einen Schein von Sicherheit, während es eigentlich die Aufgabe des Staates wäre, die Grundlagen für Sicherheit zu schaffen. Eine formale Privatisierung der Sicherheit ist nicht realisierbar, aber die heute praktizierte informelle Privatisierung ist viel gefährlicher. Die privaten Sicherheitsunternehmen sind auf eine schwache und schlecht ausgerüstete Polizei angewiesen, die schlecht entlöhnt und korrupt ist und, unternehmerisch gesprochen, keine potentielle Konkurrenz darstellt. Die privaten Sicherheitskräfte sind seit den 70er Jahren innerhalb der öffentlichen Sicherheitsinstitutionen entstanden und leben im eigentlichen Sinne von diesen. Die Sicherheit zu privatisieren bedeutet, die Staatsidee aufzugeben und den Weg zum Kollaps zu ebnen. Frage: An der Sicherheitsfrage zeigt sich in Guatemala ja auch die grosse soziale Ungleichheit, denn nur wer dafür bezahlen kann, hat sie (vermeintlicherweise, die Red.). O.A.: Das stimmt völlig. Die Zunahme der privaten Sicherheitsunternehmen wirkt sich dadurch aus, dass der Zugang der Bevölkerung zu Sicherheit als einem öffentlichen Gut limitiert wird und massenhaft Geld in den privaten Sektor fliesst, das besser in öffentliche Güter investiert würde. Das führt auf der einen Seite dazu, dass es im privaten Sicherheitsgeschäft verschiedene Qualitätslevel gibt, entsprechend der Kaufkraft der KonsumentInnen. Im unternehmerischen Jargon nennt man das freie Marktwirtschaft, im guatemaltekischen Kontext ist es das Fehlen staatlicher Kontrolle und Qualitätsstandards, was sich meistens in illegalen Aktionen manifestiert. So gibt es exklusiven Sicherheitsservice für die Elite und prekäre Angebote für Minderbemittelte. Beide Extreme sind gefährlich, denn solange es an einer Regulierung fehlt, kontraktieren sowohl die Elite wie auch die weniger Betuchten ihren finanziellen Möglichkeiten entsprechend einen Service, der am Rande des Gesetzes agiert und gegen einen entsprechenden Betrag bereit ist, jedwelches persönliches Problem zu "lösen". Eine Standardisierung darf nicht vom Preis einer Leistung abhängen, sondern sie muss staatlich geregelt sein, und ihr Ziel muss der Schutz der KonsumentInnen sein. Kriterien müssten das Alter des Personals sein, ihr Professionalisierungsgrad, eine Waffenkontrolle, Transparenz sowohl bei den Preisen wie im fiskalischen Bereich etc. Die Sicherheitsunternehmen stellen Leute unter 18 Jahren ein, weil sie ihnen niedrigere Löhne bezahlen können. In Guatemala ist mehr als ein Viertel der Bevölkerung zwischen 18 und 25 Jahren alt, eine junge Bevölkerung also, arm und arbeitslos. Ihnen kann man problemlos Löhne unter dem offiziellen Minimum bezahlen, die Sozialversicherung streichen, die Ausbildung verkürzen, Arbeitssicherheit und Rechtshilfe verweigern. Was die Arbeitsrechte betrifft, sind die Sicherheitsfirmen keinen Deut besser als die Maquilas; dazu kommt, dass die Arbeitenden Waffen tragen und ihr Leben aufs Spiel setzen. Zum Thema Ungleichheit: Was hat denn jene soziale Gruppe für Alternativen, die nicht in der Lage sind, irgendeinen Sicherheitsdienst zu bezahlen und die nicht in den Genuss staatlicher Sicherheit kommt? Sich unsicher fühlen in einer ungleichen Gesellschaft, kann zu einer höheren individuellen Gewaltbereitschaft führen. Was nicht heisst, dass die Armen per se kriminell sind. Sondern dass Ausschluss und Marginalisierung dazu führen können, informelle Strategien der Selbstverteidigung zu suchen: soziale Säuberung, Bürgerwehren, im Krieg "gelernte" Verteidigungsmethoden, Lynchjustiz usw. Frage: Es gibt in Guatemala deutlich mehr private als staatliche "PolizistInnen". Die erstgenannten erhalten einen 15-tägigen Einführungskurs, die zweiten besuchen eine Polizeiakademie. In wessen Händen ist unsere Sicherheit ? O.A.: 15 Tage ist schon fast übertrieben. Gemäss meinen Untersuchungen dauert die sogenannte Ausbildung in den meisten Fällen nicht länger als zwei Tage. Das läuft etwa so ab: Das Unternehmen schreibt in verschiedenen Departementshauptstädten Jobs aus und zielt auf junge ungebildete Bauernjungs ab, die bereit sind, in die Hauptstadt zu ziehen und (im besten Fall) für den gesetzlichen Mindestlohn zu arbeiten. Interessenten müssen bloss ein Formular ausfüllen, wobei ihnen AssistentInnen helfen, denn meistens haben sie bloss die Primarschule besucht. Bei der Ausschreibung heisst es lediglich, dass man lesen und schreiben und spanisch sprechen können muss. Danach gibt es einen 48-stündigen Kurs, wo die Aspiranten eine Schnellbleiche im Umgang mit den KundInnen bekommen. Der Umgang mit Waffen beschränkt sich auf das Laden und Entladen einer Waffe. Je weniger Zeit ein Unternehmen in die Ausbildung seines Personals steckt, desto mehr kann es an ihm verdienen. Im Notfall wird ein "Sicherheitsmann" auch gänzlich ohne Instruktionen zu einem Job geschickt. Wenn der Kunde oder die Kundin jemanden mit Erfahrung im Umgang mit Waffen wünscht, bietet das Unternehmen die entsprechende Ausbildung an, sie muss allerdings vom Klienten / der Klientin bezahlt werden. Das Interessante an der Frage "in wessen Händen ist unsere Sicherheit" ist sicher das Aufdecken jener, die wir nicht täglich im Dienst sehen: Die AktionärInnen und BesitzerInnen der Unternehmen, die WaffenhändlerInnen, die GeheimdienstlerInnen und die verdeckten AgentInnen, die alle auch zum Geschäft der privaten Sicherheit gehören. Nach oben |
Frage: Viele der privaten Polizisten sind ehemalige Soldaten. Ist das ein Vor- oder ein Nachteil? O.A.: Da gilt es zu differenzieren. Zum einen ist die Idee, dass private Polizisten ehemalige Soldaten sind, immer weniger Wirklichkeit. Während dem bewaffneten Konflikt war das Militär das Rekrutierungsfeld der privaten Unternehmen. Mit der Reduktion der Armee wurden die Leute mit militärischer Erfahrung rarer und teurer und vor allem für private Elitetruppen angeheuert. Deshalb und um die steigende Nachfrage zu bedienen, wurde ein neuer Agententyp geschaffen: Das typische Bild vom jungen Mann mit Schrotflinte - der keinerlei Sicherheit ausstrahlt, der keine Erfahrung hat, sondern der bloss zur Abschreckung hingestellt wird und mit Garantie in einem heiklen Moment nicht weiss, wie er reagieren muss bzw. garantiert das Falsche macht. Diese Sorte Agent ist der in Guatemala am meisten kontraktierte, denn es ist der am einfachsten zugängliche. Der unerfahrene Agent mit niedriger Schulbildung, arm und garantiert mit grosser Angst vor der Hauptstadt, der Kundschaft, den anmassenden NachbarInnen, den Kriminellen und vor der Waffe, die er trägt, bildet das Gros der privaten Sicherheitskräfte. Dieser Agent ist nichts anderes als das Opfer einer sozialen Ungleichheit,die sich am Geschäft der privaten Sicherheit nährt und die Muster der Ausbeutung in der Landwirtschaft und in den Maquilas reproduziert. Die Militärs sind seit den 50er Jahren im Sicherheitsgeschäft involivert. Zuerst in der ambulanten Militärpolizei (PMA), später als Eigentümer oder Berater privater Unternehmen. Die private Sicherheit war eine Möglichkeit eines "aktiven Rücktritts" für Militärs, die ihnen einerseits ein Einkommen garantiert und anderseits erlaubt, weiterhin die Sicherheitsstrukturen zu kontrollieren. Wobei es hier darauf ankommt, ob wir von einem Soldaten oder von einem Offizier mittleren oder höheren Ranges sprechen. Die Eingliederung von Militärs in die private Sicherheit ist insofern ein Problem, als dass keinerlei Kontrolle darüber besteht, was der Grund für ihren Ausschluss aus dem Militär war (das betrifft wiederum sowohl Soldaten wie auch höhere Kader). Es gibt Beispiele von hochrangigen Offizieren, die nach Staatsstreichen ins private Geschäft gewechselt haben und durch die Gründung eines eigenen Unternehmens die Möglichkeit hatten, ihr militärisches Leben weiterzuführen. Dies fördert natürlich einen Autoritarismus und die Militarisierung der Gesellschaft. Die Ethik des Militärs wird zu einer Kultur des Militärs, und die Logik von Hierarchie und Treue lebt ausserhalb der Armee weiter und reproduziert sich im Privaten. Ein immer wieder erlebtes Beispiel ist, wenn die staatliche Polizei eine Kontrolle in einem privaten Sicherheitsunternehmen durchführen will und sich der Supervisor als ehemaliger Offizier entpuppt, der (im Privaten, denn sein militärischer Rang zählt nicht mehr) Gehorsam von den "untergebenen" PolizistInnen fordert. Diese Untergebung ist historisch, und jeder Versuch, daran etwas zu ändern oder die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Sicherheitssektor zu verbessern, wird als unloyale Konkurrenz gegenüber den privaten Unternehmen gewertet und da die Besitzer dieser Unternehmen auch politische Macht haben und ihre Lobby im Kongress stark ist, ist es relativ offensichtlich, dass die Zunahme der privaten Unternehmen mit einer systematischen Rückgang des öffentlichen Sektors einhergeht. Frage: Gibt es andere Möglichkeiten für die guatemaltekischen Familien, als ein privates Sicherheits-unternehmen zu kontraktieren? O.A.: Wichtig ist, dass die BürgerInnen vom Staat die enstprechenden Dienstleistungen sowie eine Kontrolle der Sicherheitsunternehmen einfordern. Dies würde die staatlichen Institutionen stärken, den korrupten Strukturen etwas entgegensetzen und die Einflussnahme des privaten Interessen auf die politische Arena schwächen. Frage: Wer reguliert die private Sicherheit? Fast scheint es, als haben private Sicherheitsagenten mehr Freiraum als die Polizei? O.A.: Was hier als ein Mangel an Kontrolle erscheint, ist die Vormacht der informellen Regeln, die jene unter Kontrolle haben, die eigentlich kontrollieren sollten. So weiss man z. B. nicht genau, wie viele private Unternehmen es gibt, wer sie leitet, wer ihre Besitzenden sind, wieviel Steuern sie bezahlen, wer ihre Angestellten sind, wen sie beschützen, welche Informationen sie über wen besitzen. Dieses Informationsdefizit ist ein Mechanismus der Straffreiheit und bestärkt die Idee von einer Sicherheit, die von Desinformation und Geheimhaltung dominiert ist - früher unter dem Deckmantel der nationalen Sicherheitsdoktrin, heute und dem Deckmantel des freien Marktes. Regulierung von privaten SicherheitsagentenDer guatemaltekische Kongress will in diesen Tagen ein neues Gesetz verabschieden, welches das Mindestalter von privaten Sicherheitsagenten auf 18 Jahre festlegt. Offenbar ist diese Einigung mit Einverständnis von Vertretern privater Sicherheitsfirmen zustande gekommen. Max Huertematte, zentralamerikanischer Regionaldirektor des Unternehmens Wackenhut zeigt sich gegenüber der Presse zufrieden: "Wir konnten uns für die Gesetzesvorlage auf die Alterslimite 18 Jahre einigen, obwohl das Waffengesetz vorschreibt, dass man erst mit 25 eine Waffe tragen darf. Aber weil der entsprechende Artikel im Waffengesetz gerade vor dem Verfassungsgericht angefochten wird, glauben wir, dass er gänzlich suspendiert wird. Doch wir sind uns bewusst, dass am Schluss das Parlament entscheidet." Weiter soll in dem neuen Gesetz auch eindeutiger das Schulniveau der Sicherheitsagenten definiert werden. Noch streitet man sich darüber, ob Primarschule reicht oder ob es Sekundarschule sein soll. Sicher ist aber, dass Leute, die als Leibwächter arbeiten wollen, einen höheren Schulabschluss brauchen. |
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