Gefährlich oder notwendig? - Bedrohte StraftäterInnen sollen zum Schutz auf Militärgelände gebracht werden
Fijáte 464 vom 7. Juli 2010, Artikel 4, Seite 3
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Gefährlich oder notwendig? - Bedrohte StraftäterInnen sollen zum Schutz auf Militärgelände gebracht werden
Guatemala, 25. Juni. In einem Abkommen zwischen dem Innenministerium und dem Verteidigungsministerium wurde vereinbart, dass Angeklagte, die auf Kaution oder unter Auflagen freigelassen sind, deren Leben jedoch bedroht ist, in abgetrennten Bereiche einer Militärkaserne in der Hauptstadt untergebracht werden können. Die geschützten Personen würden von zivilen MitarbeiterInnen der Strafjustiz betreut und nicht von Militärpersonen. AnwältInnen, Familienangehörige, VertreterInnen der diversen Justizorgane, des Instituts der öffentlichen und strafrechtlichen Verteidigung (IDPP) und des Menschenrechtsprokurators hätten jederzeit freien Zugang zu den Gefangenen. Die Organe der Strafjustiz seien auch für die sanitären Einrichtungen und das Essen zuständig. Nery Morales, Sprecher des Innenministeriums, erklärte in der Zeitung El Periodico, dass das Abkommen auf eine Idee der CICIG zurückzuführen sei. Diese erhoffe sich, so die physische Sicherheit von Personen gewährleisten zu können, die in wichtige Fälle und Prozesse involiert seien, die auf den Ermittlungen CICIG beruhen. Man gehe davon aus, dass diese militärische Einrichtung sicherer sei als "normale" Untersuchungsgefängnisse. Die Unterbringung in diesem "Spezialgefängnis" könne nur auf Antrag der CICIG und von einem kompetenten Richter angeordnet werden. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Byron Gutiérrez Valdez, sagte, dass sein Ministerium nur die genannten Regeln einhalten werde. Es sei das erste Mal in der Geschichte des Landes, dass es eine Zusammenarbeit in dieser Form zwischen dem Militär und zivilen Institutionen gebe. Was sagt uns nun diese Vereinbarung? Ist es - pragmatisch gedacht - schlicht ein gesicherter Ort, an dem die Bedrohten nichts zu befürchten haben? Laut Prensa Libre wird die Mehrheit der landesweit 22 Gefängniskomplexe von gewaltbereiten Jugendbanden und Mitgliedern des organisierten Verbrechens beherrscht, die andere Verurteilte bedrohen oder gar umbringen. Im Februar 2007 waren vier Agenten der Zivilen Nationalpolizei (PNC), die als Mörder der drei salvadorianischen Mitglieder des PARLACEN und ihrer Fahrer im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses von Cuilapa (im Osten des Landes) einsassen, ermordet worden. Verdächtigt wurden zuerst andere Gefangene, die der "Mara Salvatrucha" angehörten, doch wurden alle 13 Beschuldigten (mindestens von dieser Straftat) freigesprochen. Die andere These, dass die Mörder von aussen in den Hochsicherheitstrakt eindringen konnten und dazu Mittäter unter den Wärtern hatten, ist nicht weniger beunruhigend. Aber bedeutet das Abkommen nicht, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, also die Bedrohten in Räumlichkeiten derjenigen zu bringen, die - mindestens zum Teil - die Bedroher decken? Und ist die Befürchtung, damit ginge eine weitere Militarisierung (vgl. allgemeiner: ¡Fijate! 449) einher, dadurch entkräftet, dass eben zivile Justizorgane in der Verantwortung stehen und das Militär nur Räumlichkeiten zur Verfügung stellt, aber sonst nichts weiter zu sagen hat? Nach oben |
MenschenrechtsaktivistInnen erkennen die Gefahr einer weiteren Militarisierung: Das Menschenrechtsbüro des Erzbistums (ODHAG), das Team für kommunale Studien und psycho-soziale Aktion Guatemalas (ECAP) und andere haben sich gegen die Vereinbarung geäussert, weil sie verfassungswidrig sei, da Artikel 10 der guatemaltekischen Verfassung verbiete, dass Mittel des Strafrechts in fachfremden Institutionen wie Militärbasen umgesetzt werden. "Mit dieser Vereinbarung sendet das Strafrechtssystem die Botschaft aus: wir sind nicht fähig, Angeklagte in den von dafür vorgesehenen Räumlichkeiten zu schützen.", sagte Oswaldo Samayoa vom ICCPG. Auch der Einwand, dass das Strafrechtssystem autonom auf den Militärbasen handeln werde und AnwältInnen, Familienangehörige oder VertreterInnen der Justiz Zugang gewährt würde, bringt die KritikerInnen von ihrer Meinung nicht ab. Einige AnalystInnen gehen davon aus, dass die Kriminalitätsrate zunächst zurückgehe, sofern gefährliche oder gefährdete Strafgefangene in Hochsicherheitsgefängnissen auf Militärgelände einsässen. Später jedoch, wenn einige der Strafgefangenen einen Antrag auf Haftverlegung gestellt haben, oder wenn Meutereien auch in diesen Gebäuden stattfinden werden, werde die Kriminalitätsrate wieder ansteigen. Offensichtlich hat das Thema viele Kommentare auf der Webseiten der Tageszeitungen angeregt: viele LeserInnen hängen einer "Kopf-ab"-Mentalität an und glauben, so dem Problem der StraftäterInnen (insesondere. Maras) begegnen zu können. Es gibt jedoch auch Leser wie Jorge Cárdenas, der schreibt: "Wer sagt eigentlich, dass die Militärs Glaubwürdigkeit beanspruchen können, und dass die Gefangenen in deren Räumlichkeiten sicherer sind, dass die Militärs nicht Schlüsselinformationen durchsickern lassen, dass den Gefangenen nicht die Flucht ermöglicht wird, wie es mit Valenzuela* und anderen Verbrechern passiert ist? Das läuft nicht gut so. Die Militärs sind in Verbrechen und in die skandalösesten Räubereien verwickelt, die Guatemala je gesehen hat. Schaut auf die Verträge mit dem Heer über Waren, die nie geliefert wurden, etc. etc. Das Militär ist nun wirklich keine glaubwürdige Institution." Mal wieder werden in Guatemala Lösungen angeboten, die keine sind. * Gemeint ist Tirso Román Valenzuela, Chef einer Bande von Entführern, zum Tode verurteilt und 2005 aus einem Hochsicherheitsgefängnis entflohen. Er wurde am 10. Dezember 2006 von Unbekannten erschossen. |
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