"Das Echo der Migration" - hörbar nicht nur, aber auch in Guatemala!
Fijáte 459 vom 28. April 2010, Artikel 2, Seite 3
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"Das Echo der Migration" - hörbar nicht nur, aber auch in Guatemala!
Eine Buchbesprechung von Stephan Brües¡Fijáte! berichtet immer wieder darüber, wie Auslandsmigration die Gesellschaften im globalen Süden verändert,vor allem natürlich in Guatemala (zuletzt ¡Fijáte! 429; ¡Fijáte! 449; ¡Fijáte! 453). Nun ist soeben ein Buch erschienen, das genau dieses "Echo der Migration" anhand verschiedener Länder in Asien und Lateinamerika beleuchtet. Die HerausgeberInnen, Niklas Reese vom Philippinenbüro des Asienhauses Essen und Judith Welkmann vom Informationsbüro Nicaragua Wuppertal, haben knapp 40 AutorInnen versammelt, die das Phänomen der (Auslands-)Migration in seiner ganzen Bandbreite analysieren: Die Süd-Süd-Migration wird ebenso behandelt wie die Süd-Nord-Migration und sogar die Nord-Süd-Arbeitsmigration. Damit wird auch dokumentiert, dass Migration weder Traum noch Alptraum ist bzw. sein muss, sondern ein Zustand ist, der zwischen Hoffnung und Enttäuschung changiert. Wichtig ist den HerausgeberInnen auch, dass es zu kurz greift, MigrantInnen ausschliesslich als Opfer sozial ungleicher Wirtschaftsstrukturen zu betrachten. Natürlich sind sie das häufig, aber genauso oft ist die Migration eine persönliche Initiative, eine freie Entscheidung, sein/ihr Glück in die eigenen Hände zu nehmen. Genau diese Ambivalenz zeigt ein Beitrag des Buches über Guatemala, den der Autor dieser Zeilen beigesteuert hat. In den 1980er Jahren flohen die Opfer massiver Menschenrechtsverletzungen über die Grenze nach Mexiko. Dort wollten sie sich jedoch nicht mit der Rolle als Opfer abfinden. Als eine Rückkehr nach Guatemala möglich zu sein schien, organisierten sie sich und schliesslich ihre Rückkehr selbständig. Mit einer grossen Portion Hoffnung wurden sie zu retornad@s, politisch bewussten RückkehrerInnen (¡Fijáte! 31, ¡Fijáte! 32, ¡Fijáte! 44, ¡Fijáte! 52, ¡Fijáte! 380). Doch in Guatemala fingen ganz neue Probleme an: das wirtschaftliche Überleben in ihrer Gemeinde zu organisieren, war - wie auch sonst in den ruralen, indigenen Regionen des Landes - sehr schwierig (¡Fijáte! 214). Gerade für junge Leute gab es keine Perspektiven, sodass viele das Land wieder verliessen, diesmal als ArbeitsmigrantInnen (¡Fijáte! 217). Migration ist ein stetes Auf und AbDas 'Ab' zeigt Kathrin Zeiske (vgl. ¡Fijáte! 368) in ihrem Beitrag über den Rassismus der mestizischen oder ladinischen Bevölkerung in Chiapas gegenüber guatemaltekischen, honduranischen oder salvadorianischen MigrantInnen auf dem Weg in die USA. Dabei verbindet sich die rassistische Einstellung gegen Indigene mit einer klassistischen gegen Arme oder Einkommensschwache und schliesslich einer materialistischen, in der die AufsteigerInnen auf die herabschauen, die es (noch) nicht sind. Diejenigen, die so denken, begrüssen die vielen Abschiebungen von zentralamerikanischen MigrantInnen. 2008 waren es 95'000, die Hälfte davon wurden aus Chiapas abgeschoben. Die MigrantInnen selbst schreckt eine Abschiebung nicht ab. Sie ist Teil des Weges nach Norden. Irgendwann klappt es, so hoffen sie. Dabei werden schätzungsweise jede/r Dritte, möglicherweise sogar die Hälfte aller MigrantInnen auf ihrem Weg von mexikanischen StaatsbürgerInnen beraubt, gelegentlich auch von den berüchtigten Mara-Banden. Nach oben |
Aber trotz dieser und manch anderer Unbill gibt es auch hier 'Aufs': MigrantInnen bilden soziale Netzwerke, unterstützt von meist kirchlichen Herbergen. Manche MigrantInnen finden auch mexikanischen HeiratspartnerInnen und können so ihren Aufenthalt legalisieren. Manche etablierte MigrantInnen helfen anderen bei der Arbeitssuche. Auch wenn bei der Lektüre des Artikels das Alptraumhafte überwiegt, zwischen den Zeilen zeigen sich Aufhellungen im schwarzmalerischen Bild. Im dritten Beitrag über Guatemala in diesem Buch behandelt Stefanie Kron den "Ort ohne Gesetz", San Pedro Soloma im Departement Huehuetenango. Dieses Munizip wird von MigrantInnen in den USA und von coyotes, den Mittelsmännern irregulärer Migration, beherrscht. So haben sie in der sonst weitgehend von staatlichen Einrichtungen freien Gemeinde den Kandidaten der UNE unterstützt, der mutmasslich selbst ein coyote ist. Ansonsten zeichnen sich die coyotes, die in dem sehr soziologisch geschriebenen Text vorgestellt werden, durch ein transnationales Verhalten und Sprachartikulationsfähigkeiten aus, die von K'anjobal über mexikanisches Spanisch bis zum Chicano-Slang der USA reicht. So kommt über ihren Einfluss eine synkretistische Machismo-Kultur in die Gemeinde, die gerade auf junge Männer sehr anziehend wirkt; gleichzeitig aber auch transnationales und multi-kulturelles Denken. Die Frauen in der Gemeinde sind zwar öffentlich nicht so sichtbar, aber dennoch sind auch sie von dieser transnationalen coyote-Kultur erfasst. Sie äussert sich in der Verwaltung der Rimessen der Migrierten (vgl. ¡Fijáte! 449) oder auch in der Gründung von Frauengruppen, die sich gegen häusliche Gewalt und Alkoholismus engagieren, z. T. im Rahmen kirchlicher Gemeindearbeit. Dabei werden die Gefahren des Migrationsweges durch Schmerzens- und Todesrituale bearbeitet, in der die Muttergottes Maria als Fürsprecherin der Frauen und der Armen eine Rolle spielt. Die Autorin spricht davon, dass die Rituale - verbunden mit dem sozialen Engagement - zu einer "Politisierung der Mutterschaft" führe. Insgesamt zeigt das Munizip San Pedro Soloma wie Migration sowohl finanziell, aber auch kulturell eine K'anjobal-Gemeinde beeinflussen und bereichern kann - und einen abgelegenen Ort in den Cuchumatanes-Bergen mit der weiten Welt verbindet. Wer sich auf das Echo der Migration in all seinen Facetten einlassen und über den guatemaltekischen Tellerrand schauen möchte, findet viele weitere anregende Beiträge in diesem Buch. Niklas Reese/Judith Welkmann (Hrsg.) Das Echo der Migration. Wie Auslandsmigration die Gesellschaften im Süden verändert, Horlemann Verlag 2010, 19,90 € |
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