Die doppelte Moral des Handels
Fijáte 266 vom 14. August 2002, Artikel 4, Seite 6
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Die doppelte Moral des Handels
Wenn wir einem Profi-Ringkämpfer der Schwergewichtsklasse einen Federgewichtler gegenüberstellen, der in seiner frühen Entwicklung an Unterernährung gelitten hat: wer wird Ihrer Meinung nach in diesem Kampf gewinnen? Wir können mit ziemlicher Sicherheit voraussagen, dass der zweite nach zehn Minuten aus dem Ring ist, ohne Chance, in diesen zurückzukehren. Wenn wir zwei und zwei zusammenzählen, wissen wir, dass sowohl in einer Verhandlung, in einem Wettbewerb als auch in einer Konfrontation die Dinge gerechter verteilt sind, wenn die beteiligten Seiten die selben Regeln beachten und über ähnliche Qualifikationen und Möglichkeiten verfügen. Wenn dies nicht der Fall ist, wird das übliche passieren: der grosse Fisch frisst den kleinen bevor dieser es merkt. Deswegen kommt in mir ein gewisser Groll darüber auf, dass Guatemala sich ein Hemd anziehen will, das ihm noch viel zu gross ist, in dem es sich in Verhandlungen über bi- oder andere multilaterale Abkommen wie den Freihandelsvertrag (TLC) oder den Plan Puebla Panamá (PPP) begibt. Neben der Tatsache, dass sich solche Vereinbarungen immer als wesentlich vorteilhafter für unsere Nachbarn im Norden erweisen, haben wir noch nicht einmal das kleinste Forum geschaffen, um zu verhandeln; wir wollen freien Handel ohne über Nahrungsmittel, Dach über dem Kopf, Kleidung, qualifizierte Arbeitskräfte oder Bildung zu verfügen. Man müsste zuerst einen Blick nach Taiwan und Korea werfen, wo man zuerst die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbesserte und diese leistungstüchtig machte, bevor man sich in den Wettbewerb des internationalen Handels begab. (Wobei ich an dieser Stelle nicht über Lebensqualität reden will, dass hebe ich mir für einen anderen Artikel auf.) Man redet über freien Markt und freie Kommerzialisierung von Produkten, als ob für alle Länder dieselben Regeln gelten würden. Doch ausser in den vornehmen Plaudereien zwischen PolitikerInnen und UnternehmerInnen wissen wir doch alle, dass die armen Länder dazu verurteilt sind, von vornherein aus einer Position des Nachteils zu verhandeln, was den Auflagen jener Länder entspricht, die die Richtlinien bestimmen. Die Wege zur Vermarktung werden geöffnet, aber nicht zu allen Seiten in der gleichen Art und Weise. Es wird von Liberalisierung geredet, aber der Markt ist für einige Länder mehr geschlossen als für andere. Die Regeln müssen geändert werde, denn dieser doppelte Standard des Marktes ist pervers und hat zur Folge, dass, während einige mehr zu geringem Preis produzieren und ohne grössere Hindernisse vermarkten, andere alles, was sie haben, investieren, um Produkte zu erzeugen, die sie vielleicht gar nicht so vermarkten können, wie sie es geplant hatten. Wenn ein armes Land in ein reiches Land exportiert, sieht es sich Zollschranken gegenüber, die viermal schärfer sind, als jene für die reichen Länder in demselben. Vor etwas mehr als einem Monat habe ich den Bericht von OXFAM gelesen, der Teil ihrer Kampagne "Gerechter Handel" ist. In diesem habe ich einen Satz gefunden, der für mich hinsichtlich des Themas im vorliegenden Artikel sehr viel Sinn macht. "Wenn Afrika, der Osten und der Süden Asiens und Lateinamerika jeweils um ein Prozent hinsichtlich ihrer Beteiligung an den weltweiten Exporten wachsen würden, könnte das daraus resultierende Mehr 128 Millionen Menschen aus der Armut befreien." Nach oben |
Wir wissen, dass in der jetzigen Zeit der Handel die zentrale Tätigkeit der Menschheit ist, aber wir haben auch feststellen können, dass dies eine Tätigkeit mit wenig klaren Regeln ist. Die Handelsbilanz der Welt hat sich ständig in Richtung der reichen Länder verschoben und eine verstärkte Verarmung in den armen Ländern ausgelöst. Die Ausrottung der Armut müsste aufhören, ein Diskurs zu sein, um sich in eine wahre Absicht zu verwandeln. Die internationalen Finanzorganismen sind Teil dieser ganzen Montage; es ist bekannt, dass die reichen Länder ihre Märkte schliessen, wie und wann sie wollen, aber den armen Ländern Bedingungen auferlegen, damit diese die ihren öffnen, wann die reichen es fordern. Die Tatsache, dass in den reichen Ländern keine Arbeitskräfte eingestellt werden, weil dies superteuer ist, soll auf der anderen Seite nicht heissen, dass man sich in den armen Ländern jämmerliche Arbeitsbedingungen aufzuerlegen hat und darüber hinaus auch noch dankbar sein muss für die Drecksarbeit, die aus dem Norden zu uns kommt. Eine weitere Facette desselben Falls ist die der Normen über die Patentrechte, welche den Ländern des Südens die Möglichkeit entziehen, an neue Technologien, Medikamente und Pflanzensamen zu kommen und diese auszutauschen. Es müsste viel mehr zugunsten eines gerechten Handels getan werden, der es unterlassen würde, die Welt in zwei so perverse Extreme zu teilen; es müsste uns allen wichtig sein, gut zu leben ohne dass andere schlecht leben. (Carolina Escobar Sarti) |
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